Blick ins Zellinnere

Es gibt kein Leben ohne Zellen. Der Mensch besteht aus Milliarden dieser winzigen Einheiten des Lebens. Jede Zelle ist eine eigene Welt mit einer Kommandozentrale (Zellkern), einem Transportsystem aus Eiweißfäden und Membranen, winzigen Proteinfabriken (Ribosomen) und einer Hülle, die genau kontrolliert, was hinein darf, und was draußen bleiben muss.
Lewis Wolpert erklärt auf anschauliche Weise, wie biologische Informationen gespeichert werden, und wie sie im Alltag der Zellen umgesetzt werden. Immer wieder fügt er Rückblenden ein, die erklären, wie frühere Biologengenerationen nach und nach Licht in das geheime Leben der Zellen gebracht haben.

Besonders spannend, aber auch kompliziert, ist das Zusammenspiel verschiedener Zellen. Wann dürfen sie sich teilen? Wie verändern sich Zellen? Wann wachsen sie und wann müssen sie sterben? Eine besondere Rolle spielen dabei die Stammzellen, die jeder Mensch in seinem Körper trägt. Stammzellen in den unteren Hautschichten sorgen zum Beispiel dafür, dass die Haut sich immer wieder neu bildet. Der Mensch erneuert sich ständig. Alte Zellen sterben ab, Stammzellen sorgen für Nachwuchs. Wenn wir einen Menschen nach einer Woche wieder treffen, hat sich seine Oberfläche stark verändert. Kaum eine Hautzelle ist identisch mit den Hautzellen, die wir vor einer Woche gesehen haben. Dennoch erkennen wir die Person wieder, denn ihr Aussehen verändert sich nur langsam. Dabei gibt es keinen inneren Plan, der den Zellen sagt, wie die Person auszusehen hat. Vielmehr ist es ein kompliziertes Wechselspiel, in dem sich die Zellen gegenseitig steuern. Durch Botenstoffe stehen sie untereinander in Kontakt und beeinflussen einander.

Anschaulich und kompetent liefert Lewis Wolpert eine Einführung in die Zellbiologie. Dennoch ist die Lektüre seines Buches nicht immer leicht. Trotz farbiger Formulierungen kann sich der Leser manche Strukturen nicht vorstellen, denn es gibt keine Abbildungen. Ohne Bilder aber ist es schwer, sich das Innere von Zellen vorzustellen. Auch verfällt der Autor gelegentlich in Biologenjargon, der für Laien fremd und unverständlich klingt. Zu selten erklärt Wolpert, was bestimmte biologische Abläufe für das Leben des einzelnen Menschen bedeuten.

Der Titel „Wie wir leben und warum wir sterben“ weckt Erwartungen, die leider nicht erfüllt werden. Auch der kritische Blick von außen auf die Wissenschaftswelt fehlt. Zu sehr ist Lewis Wolpert in der Forscherszene seiner Zeit verhaftet. Genomforschung und Forschung mit embryonalen Stammzellen beschreibt er als Segen für die Menschheit. Die Wissenschaft erscheint als Fortschrittsmotor, der ständig neue Erkenntnisse liefert zum Nutzen der Menschheit. Kontroverse Positionen und der Wettstreit verschiedener Theorien kommen in seinem Buch nicht vor.

Auch die umstrittene Klontechnik, von der sich viele Wissenschaftler inzwischen abgewandt haben, kommt bei Wolpert gut weg. In der deutschen Übersetzung ist von „Nukleartransplantation“ die Rede. Was nach Atomenergie klingt, meint die Verpflanzung von reifen Zellkernen in eine Eizelle, auch Klonen genannt. Selbst die umstrittenen Mensch-Tier-Hybride, wie sie von englischen Forschern erzeugt wurden, beschreibt er als interessante Forschung mit Nutzen für die zukünftige Medizin. An diesen Stellen hätte mehr Sachlichkeit und weniger Wissenschaftsbegeisterung dem Buch gut getan.

Besprochen von Michael Lange

Lewis Wolpert: Wie wir leben und warum wir sterben. Das geheime Leben der Zellen
Aus dem Englischen von Elsbeth Ranke
C.H. Beck, 2009
240 Seiten, 19,90 Euro