Blick in den biografischen Spiegel

Rezensiert von Astrid Kuhlmey |
In seinem neuen Buch "Ihr Unvergesslichen – 22 starke Begegnungen" porträtiert Georg Stefan Troller 22 prominente Künstler und sucht in all diesen Biografien auch ein Teil seiner eigenen Person. Der gebürtige Wiener, der im frühen Fernsehen der 60er Jahre in seinen Streifzügen durch Paris Clochards und Stars, Künstler und Lebenskünstler ganz nah porträtierte, ohne je distanzlos zu werden, sagt über seine Arbeit: "Im Erforschen und Beschreiben fremder Menschen konnte ich zu mir selber gelangen."
Troller hat für dieses Buch ausschließlich Prominente ausgewählt - alles Künstler – denn auch ein Muhammad Ali wird in gewisser Weise zum Künstler, zum großmäulig, begnadeten Entertainer. Er hat, um nur einige der 22 zu nennen, Woody Allen ausgewählt, Edith Piaf, Coco Chanel, Charles Bukowski, Roman Polanski, Jean Seberg oder Arthur Rubinstein.

Georg Stefan Troller gibt über seine Auswahl in seinem Vorwort selber Auskunft: er sucht in all diesen intensiv gelebten Biografien auch ein Teil seiner eigenen Person.

"Im Erforschen und Beschreiben fremder Menschen konnte ich zu mir selber gelangen. Indem ich ihren Problemen und Paradoxien nachspürte, kam ich auf meine eigenen Schliche", bekennt er offenherzig.

Das ist also auch ein Blick in den biografischen Spiegel. Denn Troller, der als 17-jähriger Jude aus seiner Heimatstadt Wien fliehen musste, hat im eigenen Leben viele Brüche, Wandlungen und Veränderungen erleben müssen, so dass er von anderen erfahren möchte, wie sie mit Verzweiflungen und Unerträglichkeiten fertig geworden sind. Er sucht nach Ähnlichkeiten und Fremdheiten – denn auch die können ja ein Spiegel sein.

Troller war Emigrant in den USA, studierte dort, kam als junger Soldat 1945 nach Deutschland, ging 1949 an die Sorbonne, um in Europa weiter zu studieren und wurde schon zwei Jahre später für verschiedene Rundfunkanstalten Paris- Korrespondent – und zu Beginn der 60er Jahre mit seinem "Pariser Journal" im deutschen Fernsehen eine Kultfigur.

Meine Familie besaß damals noch keinen Fernsehapparat. Aber ich hatte einer dieser Folgen zufällig mal bei Freunden gesehen und mietete mich danach immer als Gast bei Familien ein, die ein Fernsehgerät hatten – denn das "Pariser Journal" mit Georg Stefan Troller hatte für mich allerhöchstes Suchtpotential.

Die Art seiner ungewöhnlichen Fragestellungen, die Pausen, die er in Gesprächen zuließ, seine Sanftheit in der Stimme, das assoziative Gewebe seiner Interpretationen bestimmter Situationen. Das war gegen jede Norm der Gesprächsführung. Und immer spürte man, dass da jemand auch etwas von sich preisgab.

Natürlich habe ich die Stimme irgendwie mitgehört und dann ganz schnell bemerkt, dass Troller die Satzzeichen ganz eigenwillig benutzt, so dass man das geschriebene Wort nach wenigen Sätzen als ein gesprochenes Wort empfindet, das durch einen fließenden Rhythmus wie ein Sog wirkt.

Troller beschreibt sehr häufig zunächst die Situation vor den Begegnungen.

Zu Ali beispielsweise fährt er ins Trainingscamp nach Pennsylvania. Er liest eine Sportillustrierte, die über Ali schreibt: "Träume bewegen diesen Mann". Dabei gehen Trollers Gedanken kreuz und quer durch Alis Leben: Er erinnert sich an das Bild, als der an Parkinson erkrankte alte Mann das olympische Feuer in Atlanta mühsam entzündet. Millionen Menschen haben das per TV gesehen – so wie Millionen das Großmaul in der Zeit seiner großen Kämpfe erlebten.

Dann springt Troller wieder ins Jahr 73, da hatte Ali den entscheidenden Kampf gegen Frazier vor sich. Aber auch in diesen Passagen gibt es Rückblenden in Alis Leben. Troller erzählt nie geradeaus, chronologisch. Er setzt Mosaiken zusammen, weil sich gerade vielschichtige Lebenswege immer auch aus Zufälligkeiten, nicht nur aus strengen Plänen entwickeln. Erlebnisse, die jemand vor 20 Jahren hatte, können ihre Wirkung mitunter erst viele Jahre später entfalten. Troller fügt diese entfernten Bilder zusammen und es entsteht ein ganz neues.

So wie bei Ali – die stille Szene mit dem kranken alten Ali rührt fast zu Tränen – dann ein Bruch: Troller beobachtet das Großmaul mit seinem devoten Hofstaat. Er beschreibt die Szenerie, beurteilt nicht. Beobachtungen, Erinnerungen und Recherche eines Reporters fließen ineinander.

Schon das zweite Porträt – Woody Allen - hat wieder andere Nuancen. Troller muss mehrere ausgeklügelte Verträge unterschreiben, um Allen überhaupt sprechen zu dürfen – Einschränkungen über Einschränkungen. Woody Allen ist griesgrämig und miesepetrig, findet alle Fragen Trollers irgendwie abwegig. Der steckt seine vorbereiteten Papiere weg, zeigt seine eigene Niederlage, Augenblicke, in denen er mit seinem Partner nicht weiterkommt und lässt dem so gar nicht angenehm wirkenden Allen jedoch trotzdem viel Sympathie zuteil werden.

Überhaupt ist Troller ein Meister der zärtlichen Beschreibungen, so wenn er Barbara oder die kleine verletzliche und verletzende Piaf beschreibt. Manche seiner Bilder sind wie aus einem sentimentalen französischen Film – Melancholie pur. Wenn er schildert wie Gerard Depardieu an Barbaras Grab redet und ihre Freunde noch stundenlang auf dem Friedhof Barbaras unvergesslichen Chansons singen.

Oder wenn er dem Klischee vom ganz und gar liederlichen und schmuddligen Bukowski widerspricht, weil er ihn anders erlebt hat – aber keineswegs langweilig oder gar spießig.

Nein, er hat nur genau beobachtet, dass Bukowski irgendwann sein Image mit sich selbst verwechselt hat.

Troller versteht Süchte, Obsessionen und Entgleisungen – denn nicht selten sind gerade sie Quelle von Inspiration. Doch er glättet sie nicht und bläst sie auch nicht auf – er findet sie auch nicht chic. Aber er bemerkt und beschreibt sie als Teil der Biografien.

Er beschreibt, was vor sich geht, bevor die Kamera läuft und die Scheinwerfer leuchten. Lässt sich gerne von Raffinesse und Schönheit verführen, kann bewundern.

Und er hat Spielregeln, die er bekannt gibt: Entweder – sagt er seinen Gesprächspartnern – Sie sagen die Wahrheit, oder Sie sagen; kein Kommentar.

Vielleicht fragt er darum oft auch sehr, sehr direkt – Roman Polanski zum Sex beispielsweise. Der schenkt Troller aber auch nichts. Und der ist wiederum nie schlüpfrig, sondern durchaus respektvoll. und immer auf Augenhöhe mit dem Partner. Und er glättet verquer wirkende Interviews auch nicht – er ist noch nicht durch langweilige Political Correctness gedämpft.

Manche der Geschichten könnten zu großen Filmen werden.

Georg Stefan Troller, Ihr Unvergesslichen – 22 starke Begegnungen
Artemis & Winkler, 290 Seiten, 19,90 Euro