Blick auf das Down Under der 70er

Von Michael Meyer · 08.03.2013
Peter Weir ist bekannt für "Club der toten Dichter" oder "Die Truman Show". Bevor der Regisseur aber in Amerika drehte, machte er Filme in seiner Heimat Australien. Eine DVD-Box stellt nun vier dieser Frühwerke Peter Weirs vor.
Ein gutaussehendes, grell gekleidetes Paar im Cabrio, das durch die Landschaft braust, ihre blonden Haare wehen im Wind, auf dem Schoß eine Cola, und er raucht am Steuer eine Menthol-Zigarette – ein Bild wie aus der Werbewelt der Siebziger - Sekunden später ist alles aus – das Auto rast eine Böschung herunter, das Paar ist tot. Kurz darauf kommt ein weiteres Auto von der Straße ab, einer der Insassen wird getötet, doch ein Bruder namens Arthur überlebt:

"Sie wissen, dass ihr Bruder tot ist…die Beerdigung ist für 11 Uhr angesetzt. In der Zwischenzeit sollten Sie nochmal in mein Sprechzimmer kommen. - Willkommen in Paris."

Willkommen in Paris, Australien – und willkommen in der bitterbösen und satirischen Welt des australischen Regisseurs Peter Weir. Der Film "Die Autos, die Paris auffraßen" ist eine garstige Satire auf das Kleinstadtleben, aber auch eine Westernparodie, Weir ist hier gnadenlos. Der überlebende Arthur ist plötzlich Objekt der Begierde der Dorfbewohner. Und viele wollen ihn am liebsten tot sehen:

"Hey, Daryl sagt, Du hattest einen Bruder – was ist aus ihm geworden? George ist zerquetscht worden, Du hättest auch zerquetscht werden sollen, du solltest besser auch so ein Gehirnkrüppel sein, … man sagt, er hasst Autos. Er hasst Autos, ehrlich?"

Ohne zu viel zu verraten: Hinter den vielen Unfällen, die sich in ihrer Gegend ereignen, stecken die Kleinstadtbewohner des besagten Ortes Paris, irgendwo in Australien. Wie Weir das porträtiert, ist nicht so sehr meisterlich zu nennen – eher sucht der Regisseur noch seine Filmsprache, manche Handlungswendungen sind geradezu bizarr und einiges ist – selbst für Satireverhältnisse – total unglaubwürdig.

Im nächsten Film "Picknick am Valentinstag", der auch bei uns bekannt wurde, hat Peter Weirs Filmsprache schon deutlich an Profil gewonnen. Die Geschichte, eine Romanverfilmung, spielt um die Jahrhundertwende 1900 irgendwo auf dem Lande in Australien in einem Mädcheninternat. Die Pointe verrät der Film bereits am Anfang: Drei Mädchen und eine Lehrerin werden von einem Ausflug nach Hanging Rock, einem Gebirge, nicht wieder zurückkehren. Was den Film so ungemein spannend macht, sind die vielen fast Hitchcock-artigen Andeutungen drohenden Unheils: Schwarze Vögel am Himmel, eine unheilvolle Hitze und eine strenge, unfreiwillig komische Internatsleiterin, die ihren weiblichen Schützlingen mitgibt:

"Ich darf Sie nochmal darauf aufmerksam machen, dass das Felsmassiv voller Gefahren steckt. Und ich verbiete ihnen, irgendwelche eigenen Entdeckungsreisen auf eigene Faust zu unternehmen, auch nicht am Fuß des Felsens."

Weir lässt seine Protagonistinnen in langen weißen Tüll-Kleidern am Berghang herumwandern, und da man als Zuschauer schon weiß, dass vom Berg Unheil ausgeht, ahnt man das böse Ende.

"Miranda… Miranda… Miranda… geht nicht darauf, kommt zurück, … (Schreien)"

Es kommt wie es kommen muss – eine Gruppe von Mädchen geht am Berg verloren:

"Was ist geschehen? Nun, Mrs. Appleyard, das ist es ja eben... niemand weiß, was geschehen ist…"

Der Film bezieht seinen Reiz aus einer Mischung aus subtilen Andeutungen unter stechender australischer Sonne, psychedelischer Musik und Traumsequenzen jener ratlosen britischen Einwanderer, die sich an alten Gewissheiten festhalten. Der Film wird in Australien bis heute kultisch verehrt, wohl auch deswegen, weil kaum ein anderer Film die Gegensätze des Kontinents so auf den Punkt bringt: Wenn Polizisten, die wie britische Bobbys aussehen, am australischen Berg herumwandern, hat das eine ziemliche Komik: In der brutalen Weite der Wüste wirkt diese Szene hilflos und die Polizisten geradezu lächerlich. "Picknick am Valentinstag" – ein Klassiker, der sich lohnt, mal wieder anzuschauen.

Das gilt in noch viel stärkerem Maße auch für Weirs nächsten Film "The last wave" / "Die letzte Flut". Es ist, wenn man so will, Weirs australischster Film. Richard Chamberlain spielt darin den Anwalt David Burton, der den Mörder eines Abrorigines verteidigt. Burton wird von düsteren Träumen und Visionen verfolgt:

"David? Was ist mit dir, was ist passiert? Alpträume, nur ein Traum, schon vorbei…"
Auf einer zweiten Ebene geht es um das koloniale Erbe Australiens. Burton versucht als Anwalt, den Mordfall an einem Aborigine zu verstehen, ihn als Akt eines Stammesrituals zu begreifen. Doch ein befreundeter Anwalt meint, dass die Aborigines in Sydney Stadtmenschen seien, die man auch so behandeln müsse:

"Wir zerstören ihre Sprache, ihre ureigenen Riten, ihre Lieder, ihre Tänze und auch ihre Stammesgesetze… wir müssen sie dazu bringen… das sie sich schuldig bekennen, von Anfang an."

Eines Abends kommt einer der angeklagten Aborigines zu Burton nach Hause – seine Frau, in vierter Generation Australierin, hat noch nie einen Ureinwohner gesehen. Das ist ein ganz besonderer Culture Clash – auf den Peter Weir letztlich hinauswill. Was wissen wir von den Ureinwohnern? Steht es uns zu, über ihr Leben zu urteilen? Anwalt Burton verliert im Film all die Gewissheiten eines westlich geprägten Mannes: Wer sind wir, woher kommen wir? Auf all diese Fragen haben die Aborigines die überzeugenderen Antworten – so mag man die These des Films formulieren.

Der letzte Film der Collection "The Plumber" – auf deutsch hat er den dümmlichen Titel "Wenn der Klempner kommt" - ist ein spannender Vorläufer des Films "Cable Guy" mit Jim Carrey. In "The Plumber" bekommt ein akademisches Mittelstandspaar in Adelaide ungebetenen Besuch von einem Klempner namens Max:

"Ich bin der Klempner – Sie müssen sich in der Wohnung geirrt haben – das hier ist doch 15C – aber wir haben keinen Klempner bestellt – keine Sorge, nur eine Routineüberprüfung, ich komme von der Verwaltung."

Regisseur Peter Weir lässt es offen, ob Max nun ein echter Handwerker ist, oder nicht – in jedem Fall bekommt es Jill, die Ehefrau, mit der Angst zu tun – zu übergriffig ist Max, zu vertraulich, zu interessiert:

"Ich musste daran denken, wie ich ihn gestern in die Wohnung ließ, nur weil er sagte, er ist der Klempner. Ist ein komisches Gefühl, einen Wildfremden in die Wohnung zu lassen. – Einen Mann meinst Du? – Genau! Du machst die Tür auf und im Hintergrund hast du schon diese bestimmte Angst. – Angst vor Vergewaltigung? – Ja, das spielt auch mit."

Am Schluss wird Jill sich auf ihre Art revanchieren.

Die frühen Filme Peter Weirs entwerfen ein düsteres Gesellschaftsbild Australiens, da mag die Sonne über der Wüste oder der Stadtskyline noch so hell scheinen – unter der Decke der Bürgerlichkeit herrschen Ängste, Unsicherheiten, Phobien und Rassismus.

Schön wäre es gewesen, wenn man als Extra eine Dokumentation über Peter Weir sehen könnte – aber das ist leider nicht der Fall. So muss man sich mit seinen Filmen begnügen, um zu erfahren, wie der Regisseur von "The Truman Show" und "Club der toten Dichter" filmisch angefangen hat. Aber das ist nicht die schlechteste Möglichkeit, Peter Weir neu zu entdecken.
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