Blesewitz in Mecklenburg-Vorpommern

Ein Dorf wählt rechts

Seelsorger Karl-Heinz Thielke und der Bürgermeister Frank Zibell vor der Dorfkirche von Blesewitz
Seelsorger Karl-Heinz Thielke und der Bürgermeister Frank Zibell vor der Dorfkirche von Blesewitz © Thilo Schmidt
Von Thilo Schmidt · 10.10.2016
48,2 Prozent für die AfD, 17,3 Prozent für die NPD – in keiner anderen Gemeinde haben rechte Parteien bei der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern so viele Stimmen geholt. Thilo Schmidt hat Blesewitz besucht und was er vor allem hörte, ist ein Hilferuf.
"Und da kann ich nur sagen, wir haben es nicht verdient, dass wir jetzt irgendwie in eine Ecke gestellt werden. Diese hohe Prozentzahl, die hat mich selber erschüttert. Aber ich muss sagen: Ich hab die AfD auch gewählt, aus Gnatz! Weil mir das über war. Um ein Zeichen zu setzen: Ihr müsst uns doch mal hören… alles, was nicht funktioniert, ist hier zu haben…"
Karl-Heinz Thielke, Seelsorger im Rentenalter, sitzt vor dem Blesewitzer Jugendklub. Den immerhin leistet sich die 230-Einwohner-Gemeinde noch, die sich sonst kaum noch etwas leisten kann. Selbst die Straßenlaternen gehen um 22 Uhr aus. Auch Bürgermeister Frank Zibell hat Platz genommen, es wird Kaffee serviert. Um ihren Jugendklub müssen sie kämpfen hier: Die Gemeinde, die mit anderen, ebenso verschuldeten Gemeinden fusionieren soll, ist angehalten zu sparen.
"Das heißt, sie würden gerne, dass wir das einstellen. Das werden wir nicht machen! Ich lass mich doch nicht so weit in die Ecke drängen, dass ich denn sag: Ich mach hier gar nichts mehr. Das wollen wir eigentlich gar nicht. Wir wollen ja hier zusammen in unserem Dorf leben."
Der Jugendklub gleich neben der hübschen Dorfkirche ist der einzige im weiten Umkreis. Er ist das soziale Zentrum des Dorfes. Kinder spielen Fußball auf dem Rasen, diese und jene kommen vorbei.

Mitbestimmung findet nicht mehr statt

Maria Wolter führt durch den kleinen Jugendklub, den sie und eine Kollegin auf Minijob-Basis leiten:
"Wir hatten von nebenan dem Dorf die Kinder, die gekommen sind: 'Boah, das ist ja cool hier'. Und ich sag: Habt ihr sowas bei Euch gar nicht? 'Nee, haben wir nicht'. Das ist halt traurig. Weil die Kinder, die kommen dann mit Fahrrad halt kilometerweit hier her, weil sie hier eine Gemeinschaft sehen, weil sie hier mit den Kindern toben können. Was sie bei sich halt nicht können. Ne?"
Manche Häuser in Blesewitz sind herausgeputzt, andere verfallen. Das Gutshaus aus dem 18. Jahrhundert ist kaum noch zu retten, neues ensteht nicht. Außer Windräder. Die sollen, so sagen alle hier, viel zu nah ans Dorf. Alle hier waren dagegen, interessiert hat es keinen. Mitbestimmung, so der Bürgermeister, findet nicht mehr statt.
"Weil, wenn ne Demokratie vorhanden sein soll, dann darf man uns auch nicht entmündigen und sagen: Nein, ihr habt hier kein Mitspracherecht. Und das ging uns wirklich total gegen den Strich. Und da denke ich haben einige Bürger denn auch so reagiert, wie sie reagiert haben."
Reicht das als Begründung für fast 50 Proeznt AfD-Stimmen? Vielleicht sagen Prozentzahlen bei 111 abgegebenen Stimmen wenig aus. Vielleicht ist es unfair, sich jetzt auf Blesewitz zu stürzen. Vielleicht ist Blesewitz auch nur die Illustration eines viel größeren Problems.

Verbittert, einsam, hoffnungslos

"Die Menschen verbittern, die vereinsamen, sie haben keine Hoffnung mehr und vegetieren da vor sich hin. Wenn hier nicht irgendwelche Impulse gesendet werden – das ist mit Geld alleine nicht getan, sicher auch mit Aktivitäten – wir würden gerne behilflich sein, und das ist ne wichtige Sache. Sonst fällt irgendwas zusammen und die Demokratie kriegt an dieser Stelle nen Bruch."
Von der Kirche die Dorfstraße entlang. Unter den alten Bäumen ein kleiner Weiher und eine Holzbank. Von weitem fällt ein altes Gutshaus auf, ein bunter Farbfleck: Auf der Wiese davor steht ein Campingbus, mehrere alte Wohnwagen, selbstgebaute, bunte Klettergerüste. Ein großer Abenteuerspielplatz.
Lilia: "Pferde, Katzen und Hunde."

Gianna: "Und Hasen haben wir. Die laufen hier auf dem Grundstück rum. Große deutsche Riesen…"
Hier wohnt Familie Webley in drei Generationen. Eine Hippie-Familie. Gianna, eine junge, hübsche Frau, öffnet das Gatter.
Sie führt mit ihrer Tochter Lilia über den Hof. Und sagt, dass sich weniger die erwachsenen Blesewitzer für sie interessieren, dafür die Kinder des Dorfes um so mehr.
Gianna: "Hier können sie - umsonst – spielen. Ne, Lilly? Spielen, Wasserspiele, Reiten, Putzen, Traktor fahren… Ich find's schön, Leute lachen zu sehen."
Giannas Mutter Angelika, Yoga-Lehrerin, hat sich auch einen Teil des Gutshauses ausgebaut.
Angelika: "Für die Leute hier sind wir auch halt ein bisschen… die denken halt, wir sind Tschacka. Aber dabei sind die Tschacka."
Gianna: "Ja, ist wirklich so, die denken, wir sind es, aber ist gar nicht so."
Angelika: "Weil wir machen eben, was wir wollen."

Der Schock sitzt tief

Die Webleys wohnen gerne hier, lieben ihr Dorf. Doch der Schock des Wahlabends sitzt tief.
Gianna: "Das kann ich gar nicht beantworten. Weil ich das sowieso gar nicht verstehe. Aber das ist ja sowieso hier oben in der Gegend so. Ne? Und… ja. Die fühlen sich alle nicht gehört, ne? Missverstanden…"
Zurück am Jugendklub. Vorpommern ist das Armenhaus Deutschlands, sagt Karl-Heinz-Thielke. Und er fürchtet um nicht weniger als die Zukunft seines Dorfes.
"Und wenn hier nicht ne Unterstützung kommt, durch Maßnahmen, durch Förderprogramme, dann… gehen hier die Lichter aus."
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