„Bleibt der Erde treu“
Wie haben die antiken Philosophen über den Kosmos gedacht und wie denken die modernen? Welche Zusammenhänge werden behauptet zwischen kosmischen Abläufen und menschlichem Leben? In dem Buch „Die Weisheit der Welt. Kosmos und Welterfahrung im westlichen Denken“ beschäftigt sich Rémi Brague mit Weltbildern vom antiken Babylon bis heute.
„Herr Holmes wusste nicht, ob sich die Erde um die Sonne dreht oder umgekehrt. Über den Sachverhalt belehrt, verkündete er, er wolle das schleunigst wieder vergessen, weil ihm ein solches Wissen nichts nütze.“ Das berichtet Dr. Watson über seinen Kollegen Sherlock Holmes. Der Meister-Detektiv aus London ist eben ein moderner Mensch, und als solcher schert er sich nicht um den Kosmos. Die Welt ist das eine, der Kosmos das andere. Was geht der uns an? Rein gar nichts. Oder jedenfalls verschwindend wenig.
Rémi Brague erinnert uns:
„Es gab Zeiten, da hat man die Dinge völlig anders gesehen.“
Ziemlich lange sogar. Im alten Babylon und in Ägypten, im antiken Griechenland und im christlichen Mittelalter, sogar bis ins 18. Jahrhundert der Neuzeit wurde die Menschenwelt, wie selbstverständlich, vom Kosmos her gedacht.
Es galt als ausgemacht: Eine göttliche Vernunft hat diesen Kosmos geschaffen. Wohl geordnet, gut und schön. In dieser Sache waren die Kirchenväter des Christentums sich einig mit Platon und Aristoteles. Dazu noch hatten die christlichen Theologen von der jüdischen Bibel gelernt: Der Mensch ist die Krone der Schöpfung. Der Himmel meint es gut mit ihm, und die Erde ist ihm von Gott unterstellt.
„Die Übel dieser Welt sind alle unter dem Mond, über dem Mond gibt es keine“ hat Aristoteles gesagt. Und noch im Zeitalter des Barock glaubte man ganz selbstverständlich an einen gütigen Vater im Himmel, trotz Tod und Teufel auf Erden, trotz Pest und Dreißigjährigem Krieg. Gott hat den Kosmos als „die beste aller möglichen Welten“ geschaffen. Und wenn sich die Menschenwelt am harmonischen Miteinander von Sonne, Mond und Sternen orientiert, dann wird auf Erden alles gut.
Die Moderne hat den Glauben erschüttert. Die Entwicklung der Naturwissenschaften hat eine philosophische Revolution angezettelt: das alten Weltbild wird sukzessive vernichtet. Kopernikus ist der „Urknall“ dieser Revolution. Seitdem weitet sich der Gedanke des „Kosmos“ sukzessive zu dem des Universums, und die Erde, bisher als Mittelpunkt der Schöpfung geglaubt, driftet ab in unendliche Räume. „Seit Kopernikus“, schreibt Friedrich Nietzsche „rollt der Mensch vom Zentrum ins x“.
Was die angeblich „göttliche Ordnung“ betrifft: Sie erweist sich als Ausnahme in einem unendlichen Chaos, und von „Güte“ kann dort keine Rede sein: Die Planeten vernichten sich gegenseitig. Und vor allem lehrt der Blick durchs Teleskop: Ein „gütiger Vater überm Himmelszelt“ ist zwar eine sehr poetische, aber auch eine ziemlich naive Vorstellung. Das neue Bild des Kosmos bringt Enttäuschung mit sich und Erschrecken.
„Ich beschwöre Euch, meine Brüder, bleibt der Erde treu, und glaubt denen nicht, welche Euch von überirdischen Hoffnungen reden! " Diese Parole hat Nietzsche ausgegeben. Sie bringt das Wesen der Moderne auf den Begriff. Denn seit dem Ende des 18. Jahrhunderts benimmt der Mensch sich zunehmend als „Herr der Erde“ ohne Gottes Gnaden und schert sich immer weniger um den Kosmos – falls doch, dann höchstens, um ihn auszubeuten für irdische Zwecke.
„Gott ist tot, der Kosmos interessiert uns nicht, der Mensch ist der Herr der Erde, es lebe die Wissenschaft! " Diesen ganz und gar irdischen Geist, den findet man bei vielen großen Denkern des 19. Jahrhunderts: bei Auguste Comte und Friedrich Nietzsche, bei Karl Marx und Sigmund Freud.
Ab der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts allerdings, und das ist der Ausblick des Buches, zeichnet sich eine weltanschauliche Gegenbewegung ab. Neben dem kontinuierlichen Wissenschaftsenthusiasmus gibt es auch eine neue Spiritualität: Man denkt wieder über den Kosmos als Ganzes nach. Man geht auch in wieder auf Gottsuche. Diesmal allerdings ohne Fernrohr. Der Belgier George-Henri Lemaitre, Vater der „Urknall"– Theorie, war Astronom und katholischer Priester.
Zuviel akademisches Fach-Chinesisch, zuwenig straffe Zusammenfassung. Den roten Faden durch das Buch muss sich der Leser selber häkeln: Der Autor, sehr ums Detail bemüht, scheut sich vor Verallgemeinerungen.
Diese Schwäche des Buches ist eine Stärke für alle, die es genau wissen wollen: Wie hat Platon über den Kosmos gedacht? Oder Goethe? Oder Karl Marx? Das Buch empfiehlt sich zum Nachschlagen. Durchlesen ist geistige Schwerstarbeit.
Rémi Brague: Die Weisheit der Welt. Kosmos und Welterfahrung im westlichen Denken
Übersetzt von Gennaro Ghiradelli
C. H. Beck, 2006
381 Seiten, 29,90 Euro
Rémi Brague erinnert uns:
„Es gab Zeiten, da hat man die Dinge völlig anders gesehen.“
Ziemlich lange sogar. Im alten Babylon und in Ägypten, im antiken Griechenland und im christlichen Mittelalter, sogar bis ins 18. Jahrhundert der Neuzeit wurde die Menschenwelt, wie selbstverständlich, vom Kosmos her gedacht.
Es galt als ausgemacht: Eine göttliche Vernunft hat diesen Kosmos geschaffen. Wohl geordnet, gut und schön. In dieser Sache waren die Kirchenväter des Christentums sich einig mit Platon und Aristoteles. Dazu noch hatten die christlichen Theologen von der jüdischen Bibel gelernt: Der Mensch ist die Krone der Schöpfung. Der Himmel meint es gut mit ihm, und die Erde ist ihm von Gott unterstellt.
„Die Übel dieser Welt sind alle unter dem Mond, über dem Mond gibt es keine“ hat Aristoteles gesagt. Und noch im Zeitalter des Barock glaubte man ganz selbstverständlich an einen gütigen Vater im Himmel, trotz Tod und Teufel auf Erden, trotz Pest und Dreißigjährigem Krieg. Gott hat den Kosmos als „die beste aller möglichen Welten“ geschaffen. Und wenn sich die Menschenwelt am harmonischen Miteinander von Sonne, Mond und Sternen orientiert, dann wird auf Erden alles gut.
Die Moderne hat den Glauben erschüttert. Die Entwicklung der Naturwissenschaften hat eine philosophische Revolution angezettelt: das alten Weltbild wird sukzessive vernichtet. Kopernikus ist der „Urknall“ dieser Revolution. Seitdem weitet sich der Gedanke des „Kosmos“ sukzessive zu dem des Universums, und die Erde, bisher als Mittelpunkt der Schöpfung geglaubt, driftet ab in unendliche Räume. „Seit Kopernikus“, schreibt Friedrich Nietzsche „rollt der Mensch vom Zentrum ins x“.
Was die angeblich „göttliche Ordnung“ betrifft: Sie erweist sich als Ausnahme in einem unendlichen Chaos, und von „Güte“ kann dort keine Rede sein: Die Planeten vernichten sich gegenseitig. Und vor allem lehrt der Blick durchs Teleskop: Ein „gütiger Vater überm Himmelszelt“ ist zwar eine sehr poetische, aber auch eine ziemlich naive Vorstellung. Das neue Bild des Kosmos bringt Enttäuschung mit sich und Erschrecken.
„Ich beschwöre Euch, meine Brüder, bleibt der Erde treu, und glaubt denen nicht, welche Euch von überirdischen Hoffnungen reden! " Diese Parole hat Nietzsche ausgegeben. Sie bringt das Wesen der Moderne auf den Begriff. Denn seit dem Ende des 18. Jahrhunderts benimmt der Mensch sich zunehmend als „Herr der Erde“ ohne Gottes Gnaden und schert sich immer weniger um den Kosmos – falls doch, dann höchstens, um ihn auszubeuten für irdische Zwecke.
„Gott ist tot, der Kosmos interessiert uns nicht, der Mensch ist der Herr der Erde, es lebe die Wissenschaft! " Diesen ganz und gar irdischen Geist, den findet man bei vielen großen Denkern des 19. Jahrhunderts: bei Auguste Comte und Friedrich Nietzsche, bei Karl Marx und Sigmund Freud.
Ab der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts allerdings, und das ist der Ausblick des Buches, zeichnet sich eine weltanschauliche Gegenbewegung ab. Neben dem kontinuierlichen Wissenschaftsenthusiasmus gibt es auch eine neue Spiritualität: Man denkt wieder über den Kosmos als Ganzes nach. Man geht auch in wieder auf Gottsuche. Diesmal allerdings ohne Fernrohr. Der Belgier George-Henri Lemaitre, Vater der „Urknall"– Theorie, war Astronom und katholischer Priester.
Zuviel akademisches Fach-Chinesisch, zuwenig straffe Zusammenfassung. Den roten Faden durch das Buch muss sich der Leser selber häkeln: Der Autor, sehr ums Detail bemüht, scheut sich vor Verallgemeinerungen.
Diese Schwäche des Buches ist eine Stärke für alle, die es genau wissen wollen: Wie hat Platon über den Kosmos gedacht? Oder Goethe? Oder Karl Marx? Das Buch empfiehlt sich zum Nachschlagen. Durchlesen ist geistige Schwerstarbeit.
Rémi Brague: Die Weisheit der Welt. Kosmos und Welterfahrung im westlichen Denken
Übersetzt von Gennaro Ghiradelli
C. H. Beck, 2006
381 Seiten, 29,90 Euro