Blei im Blut und Wut im Bauch
La Oroya liegt in den peruanischen Anden auf knapp 4000 Höhenmetern und steht auf der Liste der zehn meistverseuchten Städte der Welt. Der einzige größere Arbeitgeber ist die Zinnschmelze, die der US-Konzern Doe Run jahrzehntelang nach veralteten Umweltstandards betrieben hat.
„Bienvenidos en la capital metalúrgica de Sud América“, verheißt das Schild am Ortseingang, willkommen in der südamerikanischen Hochburg der Metallverarbeitung. Wobei das mit der Verarbeitung so eine Sache ist, wie Jaime Hurtado erklärt:
„Da drüben, das ist die Hütte der Firma Doe Run. Im August 2009 wurde die Produktion eingestellt, vor anderthalb Jahren. Seitdem steht der Betrieb still.“
Daran, dass hier kein Metall mehr verarbeitet wird, hat Jaime Hurtado großen Anteil. Er arbeitet für Filomena Tomaira Pacsi, eine lokale Organisation, die sich für Kinderrechte einsetzt. Weil dies auch das Recht auf Gesundheit einschließt, hat sich Filomena in den letzten Jahren auf den Umweltschutz konzentriert.
Jaime führt durch die Altstadt von La Oroya. Er trägt einen Parka als Schutz gegen die schneidende Kälte. Die Stadt hat 35.000 Einwohner und liegt in einem Talkessel in den peruanischen Anden auf 3.750 Höhenmetern. Durch den Ort schlängeln sich zwei Flüsse, der Río Mantaro und der Río Yauli, beides biologisch tote, übel riechende Kloaken.
In den Bergen um La Oroya wird in einem Dutzend Minen Erz abgebaut – die dabei verwendeten Chemikalien gelangen ungeklärt in die Flüsse. Aus den Erzen selbst werden in der Hütte von Doe Run Metalle gewonnen.
„Hier wächst nichts, kein Baum, kein Strauch. Die Hügel um La Oroya sind kahl, manche kalkweiß, andere pechschwarz. Weiß sind sie wegen des sauren Regens, der hier jahrzehntelang niedergegangen ist. Das Schwarz ist Blei, je dunkler, umso höher ist die Konzentration.“
Jaime deutet auf einen Schornstein. Mit 167 Metern ist er eines der höchsten Bauwerke ganz Südamerikas. Darauf waren die Leute in La Oroya stolz, sagt er, viele sind es immer noch. Bis vor zwei Jahren ragten dort drei Schornsteine in die Höhe. Sie rauchten Tag und Nacht.
„Morgens bis du aufgewacht und es lagen Nebelschwaden über der Stadt. Es stank bestialisch, dir brannte die Kehle, dir tränten die Augen. Und an manchen Tagen schien es zu schneien, nur dass es Asche war, die vom Himmel fiel.“
Die Umweltverschmutzung hat La Oroya einen zweifelhaften Ruf eingebracht. Im Jahr 2006 nahm das Blacksmith Institute, eine renommierte US-amerikanische Umweltorganisation, den Ort in die Liste der zehn meistverseuchten Städte der Welt auf. Vor allem wegen Doe Run, erklärt Jaime Hurtado, aber nicht nur.
Seit 1922 wird in La Oroya Metall verarbeitet – ohne Rücksicht auf die Umwelt. Doch nachdem der US-Konzern die Hütte im Jahr 1997 von der staatlichen Minengesellschaft Centromin übernommen hatte, wurde die Produktion in der überalterten Anlage auf das Dreifache hochgefahren. Und es wurden Metallreste und Abfälle verhüttet – bei höheren Temperaturen und einem größerem Ausstoß an Schadstoffen.
Mit dem Kauf hatte sich Doe Run auch verpflichtet, die Anlage binnen zehn Jahren nach festgelegten Umweltkriterien umzurüsten. Nach Ablauf der Frist im Jahr 2007 wurde der Firma eine Verlängerung gewährt – trotz eines Rekordumsatzes von 150 Milliarden Dollar hatte Doe Run wirtschaftliche Schwierigkeiten geltend gemacht. Im Sommer 2009 beantragte das Unternehmen einen erneuten Aufschub. Jaime Hurtado:
„Tatsächlich ist Doe Run den Auflagen zu 90 Prozent nachgekommen. Aber die Firma hätte auch eine moderne Schmelze für Zink und Kupfer mit einer fachgerechten Entsorgung für die toxischen Gase bauen müssen, die vorher ungefiltert durch die Schornsteine in die Umwelt gelangt waren. Diese Schmelze war das wichtigste Umweltanliegen, ausgerechnet die Kernauflage hat Doe Run also nicht erfüllt.“
Obwohl die peruanische Regierung von Präsident Alan García Entgegenkommen signalisierte, legte die Firma den Betrieb im August 2009 still und beantragte Insolvenz. Wie sich herausstellte, ist Doe Run hoch verschuldet und vor allem mit den Zahlungen an die Erzlieferanten in Rückstand. Die Belegschaft wurde beurlaubt, bei 70 Prozent der vormaligen Bezüge. Seitdem wird mit undurchsichtigem Frontverlauf um die Zukunft der Hütte und La Oroyas gerungen, wobei sich Stadt, Staat, Gewerkschaften und die Firma selbst in wechselnden Allianzen gegenüberstehen.
Wie sehr La Oroya von Doe Run abhängt, offenbart ein Rundgang durch den Ort. Die Hälfe der Ladenlokale ist geschlossen, ebenso das Hotel vor dem Werkstor. Die Stände an der Hauptstraße haben kaum Kundschaft. Gut besucht sind nur die Kneipen, schon morgens. Nur wenige der 3.500 Beschäftigten von Doe Run haben wie Luis González andere Arbeit gefunden. Marlene Gonzáles:
„Mein Mann war fast 13 Jahre bei Doe Run. Seit kurzem ist er bei Electroandes beschäftigt, in Carhuamayo, das ist sehr weit weg. Er hat einen Arbeitsvertrag für Singles unterschrieben. Familien dulden sie dort nicht. Nach Hause kommt er einmal im Monat.“
Marlene González wirkt abgekämpft, ihr schwarzes Haar ist von grauen Strähnen durchzogen. Sie lebt in einem zweigeschossigen Hinterhofhaus in La Oroyas Altstadt. Unten die Wohnküche, oben der Schlafraum für die ganze Familie. Ihre Söhne, Juan und Marco, sind zwölf und elf und viel zu klein für ihr Alter. Marlene Gonzáles:
„Als sie drei waren, wurde bei ihnen eine Bleikonzentration von 45 gemessen. Die Leute haben uns gefragt, warum wir nicht weg gegangen sind. Aber wo hätten wir hin sollen, hier haben wir unser Haus, hier hatte mein Mann Arbeit.“
45 Mikrogramm Blei pro Deziliter Blut, das ist mehr als vier mal so viel wie gesundheitlich unbedenklich. Auch die zulässigen Werte für Arsen und Cadmium überschreiten Juan und Marco um ein Vielfaches. Und nicht nur sie. Nach einer Studie der Universität von St. Louis im US-Staat Missouri – dort sitzt Renco, die Muttergesellschaft von Doe Run – sind 98 Prozent aller Kinder und mehr als zwei von drei Erwachsenen in La Oroya mit Schwermetallen verseucht.
Behandelt werden diese Menschen nicht, dafür fehlt es in La Oroya an Geld und Kapazitäten. Dabei verursacht vor allem Blei Hirn- und Nervenschäden, die sich bei Kindern in Wachstumsstörungen, Konzentrationsmängeln und motorischen Defiziten niederschlagen.
Seit zwei Jahren sind Juan und Marco bei der Kinderhilfsorganisation Filomena Tomaira Pacsi aktiv. Dort hat man ihnen erzählt, dass auch die Böden in La Oroya hochgradig verseucht sind. Seitdem meiden sie Spiel- und Bolzplätze und waschen sich vor jedem Essen ausgiebig die Hände. „Vorher hatten wir doch keinen Ahnung, wie schlimm es wirklich ist“, sagt Marlene González.
Norberto sitzt in seiner Stammkneipe in La Oroyas Altstadt. Wie sie heißt soll nicht verraten werden, sein richtiger Name auch nicht. Eine Anwaltskanzlei aus St.Louis hat Renco vor einem US-Gericht im Namen von 107 Kindern auf Schadenersatz verklagt, auf eine Million Dollar pro Kind.
Bei den ehemaligen Arbeitern von Doe Run ist das nicht gut angekommen. Eine Informationsveranstaltung der Kanzlei endete im Tumult, der Bischof von Huancayo, ein ausgewiesener Umweltschützer, wurde tätlich angegriffen. immer wieder blockieren Hüttenarbeiter die Hauptstraße, über die der Schwertransport zu den meisten Minen im Umland führt. Oder sie bedrohen Andersdenkende. Die Arbeiter sehen die Klage als Sargnagel für die Hütte, erläutert Norberto.
„Die Menschen sind verzweifelt, weil es keine Arbeitsplätze gibt. Es gibt einfach keine. Und jeden Tag wird die Situation schlimmer, in vielen Familien spielen sich schreckliche Dramen ab. Die Leute haben sich darauf verlassen, dass es immer Arbeit gibt und Kredite aufgenommen. Jetzt begleichen sie die Raten von dem wenigen Geld, das sie haben, und fürs Essen reicht es nicht mehr.“
Auch Norberto muss einen Kredit abbezahlen, für ein Haus als Altersicherheit. Was es wert sein wird, sollte Doe Run tatsächlich liquidiert werden, möchte er lieber nicht wissen. Über 20 Jahre hat er auf der Hütte gearbeitet, schon sein Vater war dort beschäftigt. Norberto ist Mitte 40, er hat zwei schulpflichtige Kinder. Einen anderen Job würde er nicht finden, auch wenn er aus La Oroya fortginge.
Ende November ist das ursprünglich auf drei Monate befristete Überbrückungsgeld ausgelaufen, das Doe Run nach einem Vertrag mit der Gewerkschaft der Metallarbeiter zahlt. Auf den letzten Drücker wurde es ein letztes Mal verlängert, bis zum 31.12. Und dann? Norberto zuckt mit den Achseln. Natürlich hofft er, dass die Hütte wieder in Betrieb genommen wird. Aber nicht um jeden Preis. Mit dieser Meinung steht er ziemlich allein unter seinen Kollegen. Deshalb gibt er seinen richtigen Namen nicht preis.
„Lange hat sich hier niemand um die Umwelt gekümmert. Natürlich war uns klar, dass die Luft verpestet wird, aber wir wussten nichts Genaues. Wir wollten es auch nicht wissen. Menschen wurden krank, sie starben, aber niemand fragte nach. Das war alles ganz normal. Mein Vater zum Beispiel. Er hat Staublunge, ist taub und fast blind. Niemand will dafür verantwortlich sein. Bei mir geht’s auch langsam los, ich habe ständig Kopfschmerzen. Aber das kann auch am Alter liegen.“
Javier García ist Steuerberater. Er hat drei Angestellte, die sich ein winziges Vorzimmer teilen, in dem sich Aktenmappen bis unter die Decke stapeln. Auch sein Büro ist kaum größer. Javier García setzt die Lesebrille ab und fährt sich durch das dichte schwarze Haar. Im Oktober wurde er zum Bürgermeister von La Oroya gewählt, am 1. Januar hat er sein Amt angetreten. Er sitzt mit am Tisch, wenn über die Zukunft der Hütte verhandelt wird. Javier García:
„Unsere Position war von Anfang an klar: Erstens muss sich Doe Run an die peruanischen Gesetze halten. Weil die Firma das nicht getan hat, fordern wir sie auf, einen Rekonstruktionsplan für die Hütte vorzulegen. Das ist unsere Forderung an Doe Run. Auf der anderen Seite ist der Staat verpflichtet, die Zivilgesellschaft zu schützen. Deshalb fordern wir einen Sonderetat zur Linderung der Probleme in La Oroya. Und wir fordern den Bestand der aktuellen Arbeitsplätze, ob von dieser Firma oder einen anderen.“
Für Forderung Nummer eins sieht es schlecht aus. Längst hat Renco Doe Run Peru aus dem Konzern ausgegliedert, die Firma läuft nun als Partnerunternehmen. Dadurch dürften Finanzspritzen vom Mutterkonzern ausgeschlossen sein. Javier García schwant, dass der US-Konzern die Hütte ausgepresst hat, so lange sich die Rohstoffpreise in exorbitanten Höhen bewegten, und nun nach Wegen sucht, sich der Altlasten möglichst kostengünstig zu entledigen.
Das ist kein Einzelfall. Bergbau und Metallverarbeitung in Peru sind fest in ausländischer Hand, in eine nachhaltige Entwicklung der meist strukturschwachen Standorte investiert kaum eines der Unternehmen. Zurück bleiben allzu oft veraltete Industrieanlagen, für die sich nur schwerlich Käufer finden.
Javier García lehnt sich zurück und holt tief Luft:
„Wenn Doe Run tatsächlich liquidiert wird, haben wir einen Plan B, dann erklären wir den ökonomischen Notstand, unter zwei Aspekten. Zum einen lokal. Als Stadtverwaltung können wir dann Restrukturierungsmaßnahmen ergreifen, etwa Steuern für Kleinstunternehmen senken. Damit verschaffen wir ihnen Luft zum Atmen und kurbeln die lokale Wirtschaft an. Zum anderen rufen wir den wirtschaftlichen Notstand über die gesamte Provinz Yauli aus. Wir haben hier sehr viele Minengesellschaften. Sie werden wir mit einer Sondersteuer belegen, mit der wir dann wiederum einen strategischen Arbeitsbeschaffungsplan umsetzen können.“
Jaime Hurtado, der Umweltschützer von der Organisation Filomena Tomaira Pacsi, betrachtet die Pläne des neuen Bürgermeisters mit Skepsis. In seinen Augen ist das Ausrufen des wirtschaftlichen Notstandes nur eine leere Drohung. Jaime Hurtado:
„Bei möglichen Investoren wird das nicht gut ankommen, sollte überhaupt jemand daran interessiert sein, die Hütte komplett zu reaktivieren oder wenigstens Teile des Komplexes zu übernehmen. Das spricht eindeutig dagegen, den wirtschaftlichen Notstand auszurufen. Aber selbst wenn der Komplex dicht gemacht würde, müsste irgendeine Lösung für die wirtschaftlichen Folgen gefunden werden. Von der Hütte hängt schließlich die gesamte wirtschaftliche Entwicklung in La Oroya ab.“
„Da drüben, das ist die Hütte der Firma Doe Run. Im August 2009 wurde die Produktion eingestellt, vor anderthalb Jahren. Seitdem steht der Betrieb still.“
Daran, dass hier kein Metall mehr verarbeitet wird, hat Jaime Hurtado großen Anteil. Er arbeitet für Filomena Tomaira Pacsi, eine lokale Organisation, die sich für Kinderrechte einsetzt. Weil dies auch das Recht auf Gesundheit einschließt, hat sich Filomena in den letzten Jahren auf den Umweltschutz konzentriert.
Jaime führt durch die Altstadt von La Oroya. Er trägt einen Parka als Schutz gegen die schneidende Kälte. Die Stadt hat 35.000 Einwohner und liegt in einem Talkessel in den peruanischen Anden auf 3.750 Höhenmetern. Durch den Ort schlängeln sich zwei Flüsse, der Río Mantaro und der Río Yauli, beides biologisch tote, übel riechende Kloaken.
In den Bergen um La Oroya wird in einem Dutzend Minen Erz abgebaut – die dabei verwendeten Chemikalien gelangen ungeklärt in die Flüsse. Aus den Erzen selbst werden in der Hütte von Doe Run Metalle gewonnen.
„Hier wächst nichts, kein Baum, kein Strauch. Die Hügel um La Oroya sind kahl, manche kalkweiß, andere pechschwarz. Weiß sind sie wegen des sauren Regens, der hier jahrzehntelang niedergegangen ist. Das Schwarz ist Blei, je dunkler, umso höher ist die Konzentration.“
Jaime deutet auf einen Schornstein. Mit 167 Metern ist er eines der höchsten Bauwerke ganz Südamerikas. Darauf waren die Leute in La Oroya stolz, sagt er, viele sind es immer noch. Bis vor zwei Jahren ragten dort drei Schornsteine in die Höhe. Sie rauchten Tag und Nacht.
„Morgens bis du aufgewacht und es lagen Nebelschwaden über der Stadt. Es stank bestialisch, dir brannte die Kehle, dir tränten die Augen. Und an manchen Tagen schien es zu schneien, nur dass es Asche war, die vom Himmel fiel.“
Die Umweltverschmutzung hat La Oroya einen zweifelhaften Ruf eingebracht. Im Jahr 2006 nahm das Blacksmith Institute, eine renommierte US-amerikanische Umweltorganisation, den Ort in die Liste der zehn meistverseuchten Städte der Welt auf. Vor allem wegen Doe Run, erklärt Jaime Hurtado, aber nicht nur.
Seit 1922 wird in La Oroya Metall verarbeitet – ohne Rücksicht auf die Umwelt. Doch nachdem der US-Konzern die Hütte im Jahr 1997 von der staatlichen Minengesellschaft Centromin übernommen hatte, wurde die Produktion in der überalterten Anlage auf das Dreifache hochgefahren. Und es wurden Metallreste und Abfälle verhüttet – bei höheren Temperaturen und einem größerem Ausstoß an Schadstoffen.
Mit dem Kauf hatte sich Doe Run auch verpflichtet, die Anlage binnen zehn Jahren nach festgelegten Umweltkriterien umzurüsten. Nach Ablauf der Frist im Jahr 2007 wurde der Firma eine Verlängerung gewährt – trotz eines Rekordumsatzes von 150 Milliarden Dollar hatte Doe Run wirtschaftliche Schwierigkeiten geltend gemacht. Im Sommer 2009 beantragte das Unternehmen einen erneuten Aufschub. Jaime Hurtado:
„Tatsächlich ist Doe Run den Auflagen zu 90 Prozent nachgekommen. Aber die Firma hätte auch eine moderne Schmelze für Zink und Kupfer mit einer fachgerechten Entsorgung für die toxischen Gase bauen müssen, die vorher ungefiltert durch die Schornsteine in die Umwelt gelangt waren. Diese Schmelze war das wichtigste Umweltanliegen, ausgerechnet die Kernauflage hat Doe Run also nicht erfüllt.“
Obwohl die peruanische Regierung von Präsident Alan García Entgegenkommen signalisierte, legte die Firma den Betrieb im August 2009 still und beantragte Insolvenz. Wie sich herausstellte, ist Doe Run hoch verschuldet und vor allem mit den Zahlungen an die Erzlieferanten in Rückstand. Die Belegschaft wurde beurlaubt, bei 70 Prozent der vormaligen Bezüge. Seitdem wird mit undurchsichtigem Frontverlauf um die Zukunft der Hütte und La Oroyas gerungen, wobei sich Stadt, Staat, Gewerkschaften und die Firma selbst in wechselnden Allianzen gegenüberstehen.
Wie sehr La Oroya von Doe Run abhängt, offenbart ein Rundgang durch den Ort. Die Hälfe der Ladenlokale ist geschlossen, ebenso das Hotel vor dem Werkstor. Die Stände an der Hauptstraße haben kaum Kundschaft. Gut besucht sind nur die Kneipen, schon morgens. Nur wenige der 3.500 Beschäftigten von Doe Run haben wie Luis González andere Arbeit gefunden. Marlene Gonzáles:
„Mein Mann war fast 13 Jahre bei Doe Run. Seit kurzem ist er bei Electroandes beschäftigt, in Carhuamayo, das ist sehr weit weg. Er hat einen Arbeitsvertrag für Singles unterschrieben. Familien dulden sie dort nicht. Nach Hause kommt er einmal im Monat.“
Marlene González wirkt abgekämpft, ihr schwarzes Haar ist von grauen Strähnen durchzogen. Sie lebt in einem zweigeschossigen Hinterhofhaus in La Oroyas Altstadt. Unten die Wohnküche, oben der Schlafraum für die ganze Familie. Ihre Söhne, Juan und Marco, sind zwölf und elf und viel zu klein für ihr Alter. Marlene Gonzáles:
„Als sie drei waren, wurde bei ihnen eine Bleikonzentration von 45 gemessen. Die Leute haben uns gefragt, warum wir nicht weg gegangen sind. Aber wo hätten wir hin sollen, hier haben wir unser Haus, hier hatte mein Mann Arbeit.“
45 Mikrogramm Blei pro Deziliter Blut, das ist mehr als vier mal so viel wie gesundheitlich unbedenklich. Auch die zulässigen Werte für Arsen und Cadmium überschreiten Juan und Marco um ein Vielfaches. Und nicht nur sie. Nach einer Studie der Universität von St. Louis im US-Staat Missouri – dort sitzt Renco, die Muttergesellschaft von Doe Run – sind 98 Prozent aller Kinder und mehr als zwei von drei Erwachsenen in La Oroya mit Schwermetallen verseucht.
Behandelt werden diese Menschen nicht, dafür fehlt es in La Oroya an Geld und Kapazitäten. Dabei verursacht vor allem Blei Hirn- und Nervenschäden, die sich bei Kindern in Wachstumsstörungen, Konzentrationsmängeln und motorischen Defiziten niederschlagen.
Seit zwei Jahren sind Juan und Marco bei der Kinderhilfsorganisation Filomena Tomaira Pacsi aktiv. Dort hat man ihnen erzählt, dass auch die Böden in La Oroya hochgradig verseucht sind. Seitdem meiden sie Spiel- und Bolzplätze und waschen sich vor jedem Essen ausgiebig die Hände. „Vorher hatten wir doch keinen Ahnung, wie schlimm es wirklich ist“, sagt Marlene González.
Norberto sitzt in seiner Stammkneipe in La Oroyas Altstadt. Wie sie heißt soll nicht verraten werden, sein richtiger Name auch nicht. Eine Anwaltskanzlei aus St.Louis hat Renco vor einem US-Gericht im Namen von 107 Kindern auf Schadenersatz verklagt, auf eine Million Dollar pro Kind.
Bei den ehemaligen Arbeitern von Doe Run ist das nicht gut angekommen. Eine Informationsveranstaltung der Kanzlei endete im Tumult, der Bischof von Huancayo, ein ausgewiesener Umweltschützer, wurde tätlich angegriffen. immer wieder blockieren Hüttenarbeiter die Hauptstraße, über die der Schwertransport zu den meisten Minen im Umland führt. Oder sie bedrohen Andersdenkende. Die Arbeiter sehen die Klage als Sargnagel für die Hütte, erläutert Norberto.
„Die Menschen sind verzweifelt, weil es keine Arbeitsplätze gibt. Es gibt einfach keine. Und jeden Tag wird die Situation schlimmer, in vielen Familien spielen sich schreckliche Dramen ab. Die Leute haben sich darauf verlassen, dass es immer Arbeit gibt und Kredite aufgenommen. Jetzt begleichen sie die Raten von dem wenigen Geld, das sie haben, und fürs Essen reicht es nicht mehr.“
Auch Norberto muss einen Kredit abbezahlen, für ein Haus als Altersicherheit. Was es wert sein wird, sollte Doe Run tatsächlich liquidiert werden, möchte er lieber nicht wissen. Über 20 Jahre hat er auf der Hütte gearbeitet, schon sein Vater war dort beschäftigt. Norberto ist Mitte 40, er hat zwei schulpflichtige Kinder. Einen anderen Job würde er nicht finden, auch wenn er aus La Oroya fortginge.
Ende November ist das ursprünglich auf drei Monate befristete Überbrückungsgeld ausgelaufen, das Doe Run nach einem Vertrag mit der Gewerkschaft der Metallarbeiter zahlt. Auf den letzten Drücker wurde es ein letztes Mal verlängert, bis zum 31.12. Und dann? Norberto zuckt mit den Achseln. Natürlich hofft er, dass die Hütte wieder in Betrieb genommen wird. Aber nicht um jeden Preis. Mit dieser Meinung steht er ziemlich allein unter seinen Kollegen. Deshalb gibt er seinen richtigen Namen nicht preis.
„Lange hat sich hier niemand um die Umwelt gekümmert. Natürlich war uns klar, dass die Luft verpestet wird, aber wir wussten nichts Genaues. Wir wollten es auch nicht wissen. Menschen wurden krank, sie starben, aber niemand fragte nach. Das war alles ganz normal. Mein Vater zum Beispiel. Er hat Staublunge, ist taub und fast blind. Niemand will dafür verantwortlich sein. Bei mir geht’s auch langsam los, ich habe ständig Kopfschmerzen. Aber das kann auch am Alter liegen.“
Javier García ist Steuerberater. Er hat drei Angestellte, die sich ein winziges Vorzimmer teilen, in dem sich Aktenmappen bis unter die Decke stapeln. Auch sein Büro ist kaum größer. Javier García setzt die Lesebrille ab und fährt sich durch das dichte schwarze Haar. Im Oktober wurde er zum Bürgermeister von La Oroya gewählt, am 1. Januar hat er sein Amt angetreten. Er sitzt mit am Tisch, wenn über die Zukunft der Hütte verhandelt wird. Javier García:
„Unsere Position war von Anfang an klar: Erstens muss sich Doe Run an die peruanischen Gesetze halten. Weil die Firma das nicht getan hat, fordern wir sie auf, einen Rekonstruktionsplan für die Hütte vorzulegen. Das ist unsere Forderung an Doe Run. Auf der anderen Seite ist der Staat verpflichtet, die Zivilgesellschaft zu schützen. Deshalb fordern wir einen Sonderetat zur Linderung der Probleme in La Oroya. Und wir fordern den Bestand der aktuellen Arbeitsplätze, ob von dieser Firma oder einen anderen.“
Für Forderung Nummer eins sieht es schlecht aus. Längst hat Renco Doe Run Peru aus dem Konzern ausgegliedert, die Firma läuft nun als Partnerunternehmen. Dadurch dürften Finanzspritzen vom Mutterkonzern ausgeschlossen sein. Javier García schwant, dass der US-Konzern die Hütte ausgepresst hat, so lange sich die Rohstoffpreise in exorbitanten Höhen bewegten, und nun nach Wegen sucht, sich der Altlasten möglichst kostengünstig zu entledigen.
Das ist kein Einzelfall. Bergbau und Metallverarbeitung in Peru sind fest in ausländischer Hand, in eine nachhaltige Entwicklung der meist strukturschwachen Standorte investiert kaum eines der Unternehmen. Zurück bleiben allzu oft veraltete Industrieanlagen, für die sich nur schwerlich Käufer finden.
Javier García lehnt sich zurück und holt tief Luft:
„Wenn Doe Run tatsächlich liquidiert wird, haben wir einen Plan B, dann erklären wir den ökonomischen Notstand, unter zwei Aspekten. Zum einen lokal. Als Stadtverwaltung können wir dann Restrukturierungsmaßnahmen ergreifen, etwa Steuern für Kleinstunternehmen senken. Damit verschaffen wir ihnen Luft zum Atmen und kurbeln die lokale Wirtschaft an. Zum anderen rufen wir den wirtschaftlichen Notstand über die gesamte Provinz Yauli aus. Wir haben hier sehr viele Minengesellschaften. Sie werden wir mit einer Sondersteuer belegen, mit der wir dann wiederum einen strategischen Arbeitsbeschaffungsplan umsetzen können.“
Jaime Hurtado, der Umweltschützer von der Organisation Filomena Tomaira Pacsi, betrachtet die Pläne des neuen Bürgermeisters mit Skepsis. In seinen Augen ist das Ausrufen des wirtschaftlichen Notstandes nur eine leere Drohung. Jaime Hurtado:
„Bei möglichen Investoren wird das nicht gut ankommen, sollte überhaupt jemand daran interessiert sein, die Hütte komplett zu reaktivieren oder wenigstens Teile des Komplexes zu übernehmen. Das spricht eindeutig dagegen, den wirtschaftlichen Notstand auszurufen. Aber selbst wenn der Komplex dicht gemacht würde, müsste irgendeine Lösung für die wirtschaftlichen Folgen gefunden werden. Von der Hütte hängt schließlich die gesamte wirtschaftliche Entwicklung in La Oroya ab.“