Blaues Blut im Regal

Von Paul Stänner · 06.12.2006
Die Archive enthalten persönliche Briefe und Verträge über Haushaltslisten bis hin zu Landkarten und Staatsaktionen von europäischen Dimensionen. Norbert Reimann, Direktor der Vereinigten Westfälischen Adelsarchive, erzählt von ihrer Geschichte.
Steinfurt: " Ich hatte hier doch diese wunderbare, … ach ja, das was man sucht ... ist auch in einem gepflegten Archiv nicht zu finden. (Geraschel mit Seidenpapier) "

Im Archiv der Burg Steinfurt in Westfalen ist Prinz Oskar zu Bentheim und Steinfurt damit beschäftigt, eine Urkunde zu suchen, die eigentlich ganz leicht zu finden sein sollte.

Steinfurt: " Ja , das ist das, was ich suchte. Ich hatte bis dahin immer geglaubt, die bentheimschen Vorfahren, das wären relativ ortsfeste Leute gewesen, aber nein, hier war einer um 1700, ein holländischer Kapitän, ich habe daraufhin mich damit beschäftigt mit diesem Herrn und stelle fest, wir haben eine wunderbar auf Ziegenleder gezeichnete Seekarte der Karibik mit der Insel Kuba, der Insel Hispaniola, und Florida und so weiter. Man sieht, der ist weit gereist der Herr, ist ihm aber schlecht bekommen, denn er ist von dieser Kubareise leider tot nach Hause gekommen, er hat das nicht überlebt. "

Zweierlei ist bemerkenswert: Zum einen, dass sich in den Archiven einer westfälischen Adelsfamilie, also relativ weit von allen Küsten entfernt, eine Seefahrts-Karte der Karibik entdecken lässt...

Steinfurt: " … das ist das berühmte Bahamadreieck, jetzt wissen wir’s, ... "

..., obwohl man sie heute nicht ernsthaft zur Navigation benutzen würde, denn das Bahamadreieck wurde bis heute nicht gefunden, zum anderen fällt auf die außerordentliche Schönheit der alten Karte.

Steinfurt: " Die Karte ist wunderschön verziert mit Ranken. Man hat dann hier überall einen schönen Maßstab angelegt, aber Ranken und Blattwerk drumherum und eine Kartusche, das steht drin, descriptio de la costa und so weiter und so fort, die Maßstäbe sind angegeben, die Heiligen, die man im Notfall anrufen muss, hier die Mutter Gottes sitzt hier in einer Kartusche drin, und das ist hier Ignatius von Loyola oder ist der das, jedenfalls – die ist von 1698, das ist ein richtig schönes Schmuckstück, in Grüntönen gehalten und nur so schön der Küstenverlauf eingezeichnet und im übrigen scheint man sich doch über verschiedene Dinge nicht so ganz im klaren zu sein, wie man dahin segeln muss. "

Eine selten schöne Karte, die im Planschrank auf Burg Steinfurt lagert – einsam und unbemerkt, wie es scheint. Wer weiß überhaupt von dem Exemplar?

" Das ist relativ unbekannt, das Archivamt in Münster weiß es natürlich, denn da war sie lange zu Restaurierung. "

Das Archiv auf Schloss Steinfurt dürfte ungefähr 22.000 Archivalien enthalten – von Verträgen über Haushaltslisten bis hin zu Landkarten und Staatsaktionen von europäischen Dimensionen. In einem romantischen Gewölbe liegen die alten Stücke zumeist in unscheinbaren Pappkartons, so dass die Blätter nicht gelocht und aufgestellt werden müssen. Für größere Formate stehen metallene Planschränke zur Verfügung, in denen auch Landkarten flach gelagert werden können. Zeitnahe Blätter finden sich in herkömmlichen Aktenordnern - ein Staatsarchiv im Kleinen. Eine solche Sammlung zu unterhalten ist außerordentlich aufwendig und kostspielig. Eine einzelne Adelsfamilie wird dazu oft nicht in der Lage sein. Der Adel als solcher schwimmt ja nicht notwendig im Geld. Die Lösung dieses Problems liegt dort, wo in Westfalen alles Wichtige liegt, in Münster.

Reimann: " Mein Name ist Norbert Reimann, ich bin Leiter des Westfälischen Archivamtes und Direktor der Vereinigten Westfälischen Adelsarchive. "

Professor Norbert Reimann ist groß und schlank, trägt weiße zurückgekämmte Haare, insgesamt ein gut erhaltener Archivar. Neben seiner Arbeit in Münster beschäftigt ihn noch ein Lehrauftrag an der Fachhochschule in Potsdam, wo Diplomarchivare ausgebildet werden. Norbert Reimanns Büro liegt in einem ehemaligen Psychiatrischen Krankenhaus, genau im früheren Haus für halbruhige Frauen. Ganz ruhig bemüht sich Norbert Reimann zu erklären, was die Vereinigten Westfälischen Adelsarchive sind, dazu geht es ein Stück zurück in die Geschichte.
Reimann: " Das Jahr 1918 stellt für den Adel ja eine ganz einschneidende Zäsur dar, denn mit der Weimarer Reichsverfassung, die 1919 in Kraft trat, verlor der Adel seine Vorrechte als Stand. Adel war von da an kein Stand mehr, sondern auch der adelige Name ist nur noch eine Namensbezeichnung und es gab keine Vorrechte mehr, die mit dem Adel verbunden waren. Dann hatte sich natürlich in den adeligen Familien in den Jahrhunderten hatten sich zu Teil sehr große und sehr wertvolle Archive angesammelt, die dann ab 1918 reine Privatarchive waren. "

Und nun kommt eine Figur mit einem ausgesprochen farbigen Lebenslauf ins Spiel. Der junge Heinrich Glasmeier hatte in Münster und München studiert – unter anderem "Archivwesen", obwohl das Fach weder hier noch dort angeboten wurde. Wie auch immer, er schaffte es, 1913 als Archivar beim Grafen von Merveldt angestellt zu werden. So kam er noch als Student mit dem Wesen und Unwesen adeliger Archive in Berührung.

Reimann: " Und es stellte sich die Frage, was wird damit? Rechtlich hatten diese Archive keine Bedeutung mehr, im Gegensatz zur Zeit davor, wo durchaus noch Privilegien dort dokumentiert waren, sie hatten nur noch historische Bedeutung und dementsprechend fristeten sie zum großen teil ein kümmerliches Dasein in irgendwelchen Remisen oder Kellergewölben der Schlösser und nur wenige wussten um den bedeutsamen kulturellen und historischen Wert. "

Dann brach der 1. Weltkrieg aus, Glasmeier ging zur Kavallerie und überstand den Krieg unversehrt. Eine Zeitlang trieb er sich bei verschiedenen rechtsradikalen Freikorps herum.

Reimann: " Da kam 1923 der Gedanke auf, sich doch dieser Archive anzunehmen und sie sozusagen vor dem Untergang zu retten, in eine Form zu bringen, dass sie auch die Zukunft überdauern und auch benutzbar wurden. "

Der clevere Glasmeier wollte diese Idee gefunden haben, während er als Soldat vor Reims in Frankreich Wache stand. Es wurde also ein Verein westfälischer Adeliger gegründet, der sich zur Aufgabe stellte, das in den Archiven gelagerte Erbe zu sichten und zu erhalten. Was bedeutete, dass irgendjemand von einem Sammellager zum nächsten, von der einen Burg zum nächsten Schloss reisen musste und suchen, was immer man wo finden konnte.

Reimann: " Dieser Verein hatte sogenannte Wanderarchivare angestellt, die zogen über Land, blieben dann in einem Schloss ein Wochen oder auch ein paar Monate, suchten das Archiv, wenn sie’s gefunden hatten, holten sie es ans Tageslicht, aus den Remisen heraus, es wurde dann gereinigt, neu verpackt und dann auch schon einer Grundordnung und Erschließung unterzogen. Und dann sorgte eben der Verein dafür, dass es dann auch im Hause des Eigentümers eine angemessene und passende Unterbringung fand und dadurch kein weiterer Schaden eintreten konnte. Das Wichtigste war aber, dass durch diese Arbeit des Vereins bei den Eigentümern das Bewusstsein für den hohen ideelen Wert dieser Archive geweckt wurde und dass ist mit ganz ganz großem Erfolg gemacht worden und hat damit die Grundlagen geschaffen, auf denen wir heute weiterarbeiten können. "

Die Erfahrungen der Wanderarchivare bestätigen die Notwendigkeit einer professionellen Fürsorge. Heinrich Glasmeier, der Archivar, war natürlich selbst unterwegs. Durch seine Kriegszeit in einem Kavallerieregiment, in dem viele Adelige gedient hatten, hatte er die besten Kontakte und somit auch die besten Möglichkeiten, gelegentlich etwas sturköpfige Blaublüter vom westfälischen Land zum Wohle des Archivwesens zu beraten.

Reimann: " Einmal schildert er einen Fall, da kam er in ein Schloss, da hatten die Söhne des Schlossherren das Archiv gefunden mit den Urkunden, an denen die zahlreichen Siegel hingen, haben die Urkunden dann an die Wand gehängt und mit dem Bogen Schießen auf die Siegel gemacht. Oder einmal schreibt er, dass er ein Archiv gefunden hätte, bei dem es ein so inniges Neben- und Miteinander zwischen Archivgut, Hühner und anderem Vieh gegeben hätte, dass es schwer festzustellen gewesen sei, wer eigentlich die älteren Rechte in diesem Raum gehabt hätte. "

Nach dieser sehr verdienstvollen Phase in der Kultur des Rettens beginnt die dynamische Phase in Glasmeiers Leben - irgendwann muss angesichts adeliger Vermögensverhältnisse in Glasmeier der Gedanke aufgekommen sein, dass ein Leben als kleiner Archivar seinem Potential nicht gerecht werde. Er strebte nach Höherem. Da er ohnehin stark rechts gewirkt war, waren die Nazis für ihn das Mittel zum gesellschaftlichen Aufstieg. Goebbels, der ebenso wie Hitlers selbst, Glasmeier von Wahlkampfreisen kannte, macht den Adelsarchivar, der gerade einmal wusste, wie man ein Radio einschaltet, zum Rundfunkintendanten - zunächst in Köln. Für diesen Karrieresprung dienerte er brav und lieb:

Glasmeier: " Heinrich Glasmeier: Erinnert an den Wahlkampf in Lippe, wo
Goebbels noch ohne Rundfunk auskommen mußte / Hohe Ehre, zum
ersten Mal einen Reichsminister beim WDR begrüßen zu können. "

Später wurde Glasmeier sogar Reichsrundfunkintendant. Ab 1942 übernahm er das Kloster St. Florian in Oberösterreich, das die Gestapo beschlagnahmt hatte. Hier hatte der Komponist Anton Bruckner gearbeitet, hier war auch sein Grab, hier sollte nach dem Willen des Brucknerverehrers Hitler eine gigantische Gedenkstätte mit einem eigenem Orchester und Chor eingerichtet werden. Alles vom Feinsten – Glasmeier, der braune Abt, konnte mit Geldern um sich werfen wie schon lange kein Adliger mehr. Aber auch der Traum ging zuende: Nachdem Glasmeier sich immer schön in den Samtfalten des Nazisystem eingekuschelt hatte, war ihm wohl klar geworden, dass für ihn als SS-Mann und als Nazi-Karierrist die Zukunft nicht so richtig gut aussah. Im Mai 1945 verschwand er in Österreich auf dem Weg zur Front, wo er versuchte, die Rote Armee aufzuhalten. Seitdem ist er verschollen.

In Münster schließt sich das neue Archivgebäude dem alten Krankenhausgebäude nahtlos an. Es ist nach modernsten Gesichtpunkten errichtet – es gibt zum Beispiel keine Wasserleitungen, so dass keine Rohrbrüche mit anschließenden Überschwemmungen passieren können. Es gibt keine Büros in dem Trakt, so dass es keine schmorenden Kaffeemaschinen und überlasteten Mikrowellenöfen gibt.

Reimann: " Das sind Archive aus westfälischen Adelshäusern, die aus irgendwelchen Gründen nicht in ihren angestammten Häusern bleiben konnten weil z.B. das Haus verkauft wurde wie hier vorne das Archiv Schloss Assen, das ist bei Lippborg gelegen, wo die Grafen von Galen früher gesessen haben, das Haus ist verkauft worden und deswegen musste das Archiv aus dem Hause herausgeholt werden und ist dann hier deponiert worden. "

Das Prinzip des Westfälischen Adelsvereins ist es, dass die Archive in den Häusern verblieben, denen sie gehören. Im Depot des Vereins in Münster lagern nur solche Archive, die gewissermaßen "obdachlos" geworden sind. Damit gehören die Archive immer noch ihren Eigentümern, der private Besitz bleibt gewahrt.

Reimann: " In solchen Archiven findet man für die ältere Zeit in erster Linie Urkunden, die zum Teil bis ins 10./11. Jahrhundert zurückreichen und dann aus der neueren Zeit zum einen Akten, die aus der hoheitlichen Funktion des Adels entstanden sind, also z.B. Gerichtsakten, dann natürlich viele Akten, die aus der Güterverwaltung des Adels entstanden sind, Listen von Besitzungen oder Unterlagen, die sich mit der Forst- und Landwirtschaft befassen aus dem 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart und aus jüngster Zeit natürlich auch persönliche Nachlässe von bedeutenden Persönlichkeiten. "

Persönliche Briefe, Urkunden, Verträge, das ist klar, dann geschäftliche Akten, Abrechnungen, Statistiken, Kontoführungen, das ist auch klar, denn ein Adelssitz ist ja meist auch eine wirtschaftliche Einheit, im Münsterland zumeist eine landwirtschaftliche. Aber wie geraten Gerichtsakten in das private Archiv eines Grafen von Werauchimmer?

Reimann: " Ja diese Funktionen sind bis 1803 nur schwer auseinander zu halten. Als Gutsherr hatte der Gutsbesitzer vielfach auch die örtliche Gerichtsbarkeit, insofern blieben die Akten in seinem Hause nachdem dann diese Rechte im 19. Jahrhundert mehr oder weniger abgelöst worden sind, verloren die Unterlagen auch ihre aktuelle Bedeutung und blieben halt dort, wo sie entstanden sind und sind dann in die privaten Familienarchive übergeführt worden, umgekehrt wie auch heute in den staatlichen Archiven Unterlagen sind, die von ihrer Provenienz her eigentlich in den kirchlichen Bereich gehören. Wenn sie die ganzen Klosterarchive nehmen, die hat der Staat, als er 1803 die Klöster aufgehoben hat, auch diese ganzen Archive an sich genommen und Klosterarchiven finden sich fast ausschließlich heute in Staatsarchiven. "

Mit dem so genannten Reichsdeputationshauptschluss werden 1803 kirchliche Grundherrschaften wie das Fürstbistum Münster aufgelöst und mit den frei werden Liegenschaften zumeist solche Adelige entschädigt, die durch Napoleon auf der linken Rheinseite enteignet worden waren. Dadurch entstanden neue Fürstentümer und Standesherrschaften, d.h. jede Menge Verträge, Urkunden und Beglaubigungen – Sachen, die man aufheben musste.

Reimann: " Ich dreh jetzt mal diese Regalanlage auf – das ist also die bekannte Familie, aus der auch die Familie Clemens August von Galen stammt, wenn ich hier so einen Karton aufmache, das ist jetzt rein zufällig hier, denn habe ich hier ein Rechnungsbuch, in dem also Ein- und Ausnahmen (sic!) im 18. Jahrhundert verzeichnet sind, wir haben andere kästen, in denen dann der große Urkundenbestand liegt, wir haben etwa gut 3000 Urkunden im Besitz dieses Archivs, zum Beispiel ist uns kürzlich eine interessante in die Hand gefallen, der englische König Karl III einen Vertrag mit dem Christoph Bernhard von Galen, dem sogenannten Bomben-Bernhard aus der Zeit des 30jährigen Krieges schließt, in dem dieser einen Krieg gegen die Niederlande mit dem englischen König vereinbart und der englische König ihm dafür Geld zur Verfügung stellt – das ist sozusagen ein ganz früher Staatsvertrag, den wir heute in einem privaten Archiv finden. ....... der Krieg hat stattgefunden und der Bischof hat ihn verloren. (kichert) "

Im Gegenzug dafür, dass professionelle Archivare ins Haus kommen und die meist doch sehr umfangreichen Archive ordnen, sachgemäß lagern und in sogenannte Findbücher einarbeiten – also Kataloge, aus denen man den Standort jedes einzelnen Dokumentes oder Gegenstandes ersehen kann, werden die Archive öffentlich gemacht, also der Forschung zur Verfügung gestellt. Das Verfahren ist etwas umständlich, weil die Sammlungen ja in Privathäusern untergebracht sind, die meist weder einen Arbeitsplatz noch eine Übernachtungsmöglichkeit für Forscher anbieten. Also wird der Antrag, dass man ein bestimmtes Dokument einsehen möchte, an das Archivamt gestellt, das Amt besorgt das Dokument beim Besitzer und schafft es nach Münster, wo es gelesen werden kann. Dann geht es zurück an den ursprünglichen Standort. Und dort lagern zum Teil Kostbarkeiten der deutschen Geschichte: Freiherr vom Stein, preußischer Minister unter König Friedrich Wilhelm III. der in Preußen die Ständeordnung und die Befreiung der Bauern von der Leibeigenschaft durchsetzte, hatte einen Altersruhesitz auf der Domäne Cappenberg, die aus der Auflösung des Stiftes Cappenberg hervorgegangen war. Stein war Korrespondenzpartner von bedeutenden Personen seiner Zeit, unter anderem von Goethe. Diese Briefe liegen nun im Archiv Schloss Cappenberg, sind gesichert und in Findbüchern erschlossen.

Reimann: " Es ist in Westfalen die Situation die, dass es so gut wie kein privates Adelsarchiv gibt, das nicht in gewisser Weise geordnet und auch für die Forschung zugänglich wäre. Einen solchen Zustand finden sie in keiner anderen Region in Deutschland. "

Alte Urkunden sind meist von Hand ausgestellt. Sie können durchaus auch Schönheiten sein, auf denen Künstler in den Kanzleien kalligraphische Meisterwerke vollbracht haben. Halbseitige Schnörkel zieren Besitz- und Übertragungsurkunden, die Auf- und Abstriche in den Texten sind mit geometrischer Genauigkeit eingehalten, fein gestaltete Siegel an samtenen Bändern verleihen den Blättern Gültigkeit und Würde. In Grunde sind es nur Rechtsakte, aber zugleich auch Kunstwerke. Dann aber gibt es auch die privaten Schriften, die Entwürfe, die Notizen, die schnell aufs Papier geworden wurden und dennoch von historischer Bedeutung sind: Gelegentlich in mikroskopisch kleiner Handschrift winzige Krakeleien, die zu entziffern kaum möglich erscheint. Ein Fluch für den Leser - Nicht nur ganz altes Schriftgut kann einen vor Herausforderungen stellen – was alte Schriften für das Auge, das sind frühe Tondokumente für das Ohr: Man muss sich geduldig einhören.
Reimann: " Wir haben hier eine CD, die ist aus einem Archivbestand jüngeren Datums, wir haben nicht nur uralte Urkunden und Akten, sondern durchaus Schriftgut, das fast bis in die Gegenwart reicht und das ist ein persönlicher Nachlass, der dem Franz Graf von Galen, das war ein Bruder des berühmten Bischofs Clemens August von Galen entstammt, der im vergangenen Jahr selig gesprochen worden ist, und dieser Bruder hat alle Briefe auch seines bischöflichen Bruders und viele andere Dinge gesammelt, viele Unterlagen, die sich aus seinem persönlichen Lebensweg ergeben haben und unter anderem befinden sich dabei zwei Schellack-Schallplatten aus dem Jahre 1954 und die enthalten eine Rede, die er zum 70. Geburtstag eines Regimentskameraden gehalten hat, eines Herrn von Löbbecke, der 1954 seinen 70. Geburtstag feierte. … und diese Aufnahme ist hochinteressant, weil es ja eine ganz frühe, private Tonaufzeichnung ist und sie enthält so eine Rede, die in ihrem Stil und die Diskussion, die sich daran schließt, erinnert in ihrem Stil sehr stark an das Eingangszenario der "Feuerzangenbowle".

Wir haben mit dem alten Zeschau viel Spaß gehabt. Es wurde in die Senne geritten, in Telgte ist man abgestiegen, trank ordentlich Ungarnwein zur Belebung und dann ritten sie weiter in die Heide Richtung Harkotten zum alten Herrn von Korff. War ein wunderschöner Sandweg, wie wir auf den Sandweg kamen, ließ Zeschau Galopp blasen und wir galoppierten mal so 10 Minuten. Und war sein ältester Offizier und er sagt zu mir: Nu geh und schneid den Wachtmeister ab, der hängt bestimmt schon am Baum. "

Man sieht sie vor sich – gesetzte Herren, Symbolfiguren des Wirtschaftswunders der 50er Jahre, mit der Wohlleibigkeit eines erfolgreichen Lebens, Übergewicht. Die Luft ist zum Schneiden dick von Zigarrenrauch, Gläser mit Korn und Bier. Den Abend beherrschen die Erinnerungen an Ausritte und das Leben auf dem Lande und die humorvollen Erlebnisse aus dem Krieg von 1914 bis 18: Und das alles überstrahlt natürlich ein Loblied auf das Geburtstagskind zum 70.

Der Graf von Galen sagt: Ja, meine Herren, das ist alles wunderschön und man kann ich noch so lange loben, obwohl es ist ja nicht nötig, und das größte Lob was ich sagen kann und dann übermannt den Grafen die Rührung – (frei) jetzt fang ich schon an zu heulen, er ist der beste Kamerad und Freund, den ich mir denken kann. Das ist so ein Kerl, mit dem kann man Pferde stehlen. Der Freund, mit dem man Pferde stehlen kann, habe auch Pferde gestohlen, sagte der Graf, als Soldat im Lüttich im Ersten Weltkrieg. (frei) Er hat auch Pferde gestohlen, er hat im Herbst 1914 zusammen mit dem Major von Kaiser in Lüttich aus einem Turnierstall fünf Pferde gestohlen, eines davon hab ich bekommen hab es den ganzen Krieg geritten und diese Pferde hatte bereits vorher der Kommandant von Lüttich beschlagnahmt und wie er das gemerkt hat, da hat er die beiden Herren angezeigt, die sind von einem Kriegsgericht tatsächlich bestraft worden, d.h. die Strafe ist nicht ausgesprochen worden, da GottseiDank am 27.1.1915 der Kaiser die Sache mit einer Amnestie ausgeräumt hat. Der Diebstahl war entdeckt worden und nur eine Amnestie des Kaisers habe eine Bestrafung verhindert, erzählt der Graf.

Geller: " Der erste Schritt ist immer eine Oberflächenreinigung, also bevor wir in irgendeiner form mit Feuchtigkeit arbeiten, um das Pergament zu glätten, muss zunächst die Entfernung von Oberflächenschmutz erfolgen, die sogenannte Trockenreinigung. "

Birgit Geller ist Diplomrestauratorin für Schriftgut, Graphik und Buchmalerei und die stellvertretende Leiterin der Restaurierungswerkstatt im Archivamt in Münster.

Geller: " Dafür benutzen wir Radiermaterialien unterschiedlichster Art, Bürsten und Pinsel, das geht von Radierkissen über Radierpulver, was also mit der Hand verteilt wird, also so eine Art Radierpulvermassage wird dann dem Patienten verabreicht (lacht) "

Die Restaurierungswerkstatt, die schon der Karibikkarte des bentheimschen Vorfahren zu neuem Glanz verholfen hat, erlangte Bedeutung über Westfalen hinaus, als nach der Jahrhundertflut 2002 etliche Bücher aus der Dresdener Bibliothek in Münster gefriergetrocknet und restauriert wurden. So wie jetzt eben dieses sauber radierte Dokument aus Pergament, was nichts anderes ist als Tierhaut, restauriert wird.

Geller: " Und im Anschluss daran kann dann das Pergament mithilfe einer Goretex-Kompresse ganz schonend gefeuchtet und im Anschluss, wenn es entspannt ist, geglättet werden. "

Der Markenname fällt hier nur, weil es sich um ein spezielles Gewebe handelt, das Feuchtigkeit durchlässt, ohne sie als Tropfen auf das Pergament auffallen zu lassen. Und jetzt wüsste man gern, was für eine Urkunde da gerade auf dem Tisch liegt. Ratlosigkeit ist die Antwort.

Geller: " Ich kann es zum Teil auch gar nicht lesen, was auch nicht meine Aufgabe ist in dem Zusammenhang. (lacht) Das ist auf jeden Fall eine päpstliche Urkunde, für den Laien auch erkennbar an einer Bleibulle, die unten an einer Seidekordel angebracht ist, das Stück stammt aus dem 11. Jahrhundert und ist jetzt für eine Ausstellung vorbereitet worden. "

Nach der Restaurierung wird das Pergament in einer eigens hergestellten Transportbox zunächst zur Ausstellung geschickt und später auch darin archiviert. Wie bewahrt man überhaupt ein solche Kostbarkeit auf?

Geller: " Bei den Urkunden sollte man natürlich im Anschluss an jegliche Restaurierung darauf achten, dass die Aufbewahrungsbedingungen adäquat sind, sprich, dass möglichst jede Temperatur- und Feuchteschwankungen vermieden werden, weil sonst das Pergament das bestreben hat, die Form anzunehmen, die es am Tier hatte, und das war sicherlich nicht in der Planlage (lacht) "

Und das ist schlecht für die Worte des Papstes.

Auf Burg Steinfurt hat Prinz Oskar mittlerweile ein weiteres Dokument hervorgezogen, das ganz offensichtlich eine Welle von Besitzerstolz auslöst, auch wenn historisch gesehen die Sache eher zu Ungunsten seiner Vorfahren ausging.

Prinz Oskar: " Das ist ein besonderes Stück, das befindet sich in einer braunledernen, etwas abgeriebenen Ledertasche, eine sogenannte Diplomatentasche mit einem schönen alten Schloss darauf und jetzt haben wir hier eine Urkunde, die ist dunkelblauem oder fast violettem Samt eingezogen, da drauf sind Pailletten gestickt. PF steht da drauf, PF das heißt einfach Peuple francais. "

Der Graf von Bentheim wollte von Napoleon seine Grafschaft zurück erhalten. Das würde ihn eine Stange Geld kosten, aber das war es ihm wert. Der Vertrag kam zustande und liegt nun vor uns auf einem unscheinbaren Schreibtisch.

Prinz Oskar: " Und da ist auf der ersten Seite in einer traumhaft schönen Schrift, also die Schreiber, das waren richtig Künstler gewesen, da lesen wir also hier , dass der Graf von Bentheim mit der französischen Regierung vertreten durch den Ersten Konsul Napoleon Bonaparte einen Vertrag schließt. Auf der zweiten Seite, jetzt drehen wir das mal um, da steht schon etwas anderes. Nämlich: Der Graf zu Bentheim verpflichtet sich das und das zu tun und da steht schon nicht mehr der Erste Konsul, da steht Sa Majesté L’Impereur – wir sind also im Jahre 1804, Napoleon hat sich soeben zum Kaiser krönen lassen, die Urkunde musste also umgeändert werden und der Erste Konsul fällt nun auf der zweiten Seite weg, es wird der Kaiser da draus. ... und dann kommt eine Unterschrift, die es in sich hat. Es setzt an, es ist ein bisschen krakelig, so ein B dann kommt – nein, zu einem N fängt es erst mal an, oder ist es doch ein B , das weiß man nicht so richtig, jedenfalls es gibt einen Tintenklecks, dann kommt ein kleine a und dann kommt Napoleon. Also, der gute Herr hat noch nicht gewusst, wie er unterschrieben soll, er war immer gewohnt, mit Bonaparte zu unterschreiben, jetzt ist plötzlich Napoleon dran, und er verschreibt sich prompt und macht einen Klecks auf diese schöne Urkunde. .. also das ist schon ein Stück, das es in sich hat und das man so schnell in Archiven nicht wiederfindet, weil es ein Kabinettstückchen der Diplomatiegeschichte ist. "

Seinen Vorfahren hat das Dokument diesmal nichts genutzt. Zwei Jahre später hat Artilleriespezialist Napoleon eine andere Rechtsauffassung durchgedrückt und die Grafschaften zurückerobert. Das alles ist dokumentiert, konserviert und in einem Findbuch nachgewiesen. Geschichte endet nicht.