Blasphemie und Religionskritik

Gedärme auf der Jungfrau Maria

Überraschungsgast beim Budapester Szigetfestival: die russische Punk-Band Pussy Riot.
Die russische Punk-Band Pussy Riot, hier beim Budapester Szigetfestival, ist vor allem bekannt für von vielen Russen als gotteslästerlich empfundene Aktionskunst in Kirchen © picture alliance / dpa / Balazs Mohai
Von Bernd Sobolla · 10.01.2016
Wie viel Religionskritik ist erlaubt? Gibt es überhaupt so etwas wie Gotteslästerung? Mit Filmen, Büchern, Kunstwerken und Karikaturen werden diese Fragen immer wieder aufgeworfen. Ein neuer Sammelband stellt verschiedene Werke vor - beschränkt sich aber weitgehend auf das Christentum.
"Da ist noch eine Sache. Ich habe mir vorgestellt, wie ich heilig werde. Wie ich aus großer Liebe zu Gott ihm mein ganzes Leben als Opfer anbiete. Und er mein Opfer annimmt."
In dem Drama "Kreuzweg" von Anna und Dietrich Brüggemann fühlt sich ein Mädchen zur Märtyrerin berufen und stirbt im religiösen Wahn. Es ist das Resultat einer rigiden Erziehung. Die Filmemacher verstanden ihr Werk, das 2014 erschien, als Kritik an christlichem Fundamentalismus.
Die angegriffene Piusbruderschaft reagierte ungerührt: Der Film beschreibe nicht den Geist der Bruderschaft und sei eine Karikatur, hieß es. Doch Kritik an religiösen Instanzen wurde keineswegs immer so lapidar hingenommen. So erlebte Georg Grosz wegen Gotteslästerung eine Prozesslawine, als er nach dem Ersten Weltkrieg einen Christus am Kreuz mit Gasmaske malte und mit der Unterschrift versah: "Maul halten und weiter dienen!"
Blasphemie-Verfahren sollten disziplinarisch wirken
Solche Verfahren waren allerdings nicht nur religiös motiviert, wie der Herausgeber des Buches "Gotteslästerung und Glaubenskritik", Hans Richard Brittnacher, erläutert:
"Ich denke auch, dass in den allermeisten Fällen Verfahren wegen Blasphemie im Grunde genommen dazu dienen, jemand, der auch politisch verdächtig ist, zu disziplinieren. Das gilt übrigens auch schon für den ersten namhaften Gotteslästerungsprozess, nämlich den gegen Jesus Christus. Der ja für sich in Anspruch genommen hat, Gottes Sohn zu sein, was von den Pharisäern als Gotteslästerung ausgelegt wurde."
Da die christlichen Orthodoxien schon lange ein schwieriges Verhältnis zur Sexualität pflegen, bieten sie viel Angriffsfläche. Diese nutzte zum Beispiel der österreichische Aktionskünstler Hermann Nitsch, als er 1969 bei seiner "Mariä-Empfängnis-Aktion" eine nackte Frau auf ein Kreuz band und ihr Gedärme auf den Bauch legte – angeblich um die Gewalttätigkeit der modernen Welt anzuprangern. Die Blasphemie-Vorwürfe waren wohl nicht überraschend, sondern eher einkalkuliert. Hans Richard Brittnacher und die anderen Autoren zeigen aber auch, wie schwer sich Religionsvertreter mit Humor tun.
"Wer lacht, der lässt es an Respekt verlieren, insofern Religionen auf dem basieren, was in meiner Kindheit noch 'Gottesfurcht' genannt wurde, also den Glauben an Gott. Da muss das Lachen als ein Akt des Zweifels erscheinen und ist von daher schwer vereinbar mit einer bestimmten Vorstellung von Frömmigkeit, die auf Disziplin setzt, die auf Askese setzt, die auf Gehorsam setzt. Und Lachen ist ein Akt der Subversion."
Religionskritische Regisseure, die religiös erzogen wurden
Bei den Filmskandalen, die das Buch aufführt, fällt auf, dass besonders Regisseure, die eine intensive religiöse Erziehung erfuhren, zu Kritikern der Kirche wurden. Das gilt für Luis Buñuel, Ingmar Bergman oder Ulrich Seidl. Während Buñuel 1960 mit "Viridiana" die Goldene Palme in Cannes gewann, wurde sein Film in Spanien verboten und der Vatikan warf ihm "gotteslästerliche Darstellung" vor.
"Viridiana" handelt von der gleichnamigen naiven Novizin, die das Anwesen ihres Onkels zu einer Herberge für Bettler und Obdachlose aufbaut. Doch die Beschenkten zeigen sich nicht dankbar, sondern gleichgültig, egoistisch und faul. Und an einer Tafel, die an Leonardo da Vincis Abendmahl erinnert, mutiert eine Feier zu einem Saufgelage.
Ulrich Seidl wiederum erzählt in "Paradies: Glaube" von der Gläubigen Anna Maria, die es als ihre Aufgabe sieht, Ungläubige obsessiv zu missionieren.
"Na gut, also Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes Amen. Nicht wahr. / Vater unser... / natürlich... / Vater unser... / der du bist im Himmel... warte mal, / geheiligt werde dein Name... / richtig, richtig ..."
Dabei schreckt Anna Maria auch vor Selbstgeißelung nicht zurück und masturbiert schließlich mit dem Kreuz unter der Bettdecke. Eine Szene, die dem Film nicht nur in Italien den Vorwurf der Blasphemie brachte.
Der Weg führt vom Goldenen Kalb bis zu "Pussy Riot"
"Gotteslästerung und Glaubenskritik" bietet eine Reise durch die Geschichte der christlichen Religionskritik: Vom Goldenen Kalb bei Mose bis hin zu "Pussy Riot" im heutigen Russland. Dass die Herausgeber im Jahr der Morde beim Satiremagazin "Charlie Hebdo" keine Experten fanden, um über Religionskritik im Islam zu berichten, ist mehr als bedauerlich. Das könnte sich aber künftig ändern, wie Hans Richard Brittnacher betont:
"Das ändert sich natürlich in dem Maße, in dem unsere Gesellschaft zunehmend größere Anteile islamischer Gesellschaften in sich aufnimmt. Und damit wird die Sensibilität gegenüber der Verletzung von Glaubensinhalten natürlich deutlich größer."

Hans Richard Brittmacher, Thomas Koebner (Hrsg.): Gotteslästerung und Glaubenskritik in der Literatur und den Künsten
Schüren Verlag, Marburg 2015
250 Seiten, 19,90 Euro

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