Black Panthers in Israel

Das Aufbegehren der afrikanischen Einwanderer

09:03 Minuten
Historische Schwarz-Weiss Fotografie mit einer Straßenszene aus Jerusalem. Ein junger schwarzer Mann in Jeansweste geht entlang einer Marktraße.
Trotz des Engagements der isralischen Black Panther fühlen sich viele aus Afrika nach Israel einwanderte Juden diskriminiert (Archivbild von 1985). © picture alliance / akg-images / Henning Langenheim
Von Anne Francoise Weber · 16.03.2022
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Im jungen Staat Israel gaben die europäischen Einwanderer den Ton an. Aus Nahost oder Nordafrika stammende Juden waren dagegen wirtschaftlich, sozial und kulturell unterdrückt. In den 1970ern formierte sich dagegen eine Bewegung: die Black Panthers.
In Rehavia, einem reichen Viertel von Jerusalem, war früher des Nachts immer der Milchmann unterwegs. Vor den Häusern stellte er die Milchflaschen ab, die die Bürger nach dem Aufwachen in Empfang nahmen. In jener Nacht des 14. März 1972 war er aber nicht allein unterwegs.
„Wir gingen hinter dem Milchmann, der nachts um drei Uhr die Augen noch nicht richtig offen hatte. Er sah die vielen Leute und die Journalisten nicht", erinnert sich Koko Deri.
"Wir nahmen die Milchflaschen, die er vor den Häusern abstellte, und ließen ein Flugblatt da. Darauf stand: ‚Von dieser Milch, die ihr Katzen und Hunden gebt, könnten zehn Kinder in armen Vierteln leben.‘ Das war eine Aufregung! Heute haben die Leute es vergessen, aber damals sprach die ganze Welt darüber.“

Kein Strom, kein fließend Wasser, kein Essen

Koko Deri war damals 19 Jahre alt, geboren 1953 als Kind einer jüdisch-marokkanischen Familie in Musrara, einem Viertel nahe der Altstadt von Jerusalem. Heute erinnert er sich vor allem an die große Armut, in der er aufwuchs:
„Ich wurde in einem Zimmer geboren, etwas größer als dieser Raum. Es gab keinen Putz, keinen Strom, kein fließendes Wasser. Schlimmer, als man es sich ausmalen kann. Kein Bodenbelag, kein Essen, keine Kleidung, nichts, gar nichts. Bis zum Alter von sechs Jahren habe ich nichts anderes gekannt.“
Ein großer schlanker schwarzhaariger Mann und ein kleinerer grauhaariger Mann mit Jogginghose und weißem Shirt stehen nebeneinander in einem Raum.
Koko Deri (re.) wuchs im Jerusalemer Viertel Musrara in großer Armut auf.© Deutschlandradio / Anne Francois Weber
Das Viertel Musrara war im 19. Jahrhundert von reichen christlichen Arabern gebaut worden. Kurz dahinter begann das 1949 von Jordanien annektierte Ost-Jerusalem. In die großen Häuser des Viertels an der Grenze wurden Einwanderer aus Nordafrika einquartiert, meist eine Familie pro Zimmer. Ein paar Straßenzüge weiter begann eine andere Welt. Hier wohnten jüdische Einwanderer aus Europa, so genannte Ashkenasim, die die Eliten des Staates Israel stellten.

"Sprecht nicht mit diesen schwarzen, primitiven Leuten"

Mit dem Sechs-Tage-Krieg 1967 wurde der Ostteil von Jerusalem israelisch besetzt. Nun lag Musrara zentral im Stadtgebiet von Jerusalem, aber an der Armut der aus Nordafrika eingewanderten Bevölkerung änderte sich nichts. Und damit auch nichts an dem Kontrast zu den wohlhabenden europäischen Einwanderern in der unmittelbaren Nachbarschaft. In einem neuen Teehaus trafen Ende der 60er-Jahre junge Leute aus beiden Welten aufeinander. Koko Deri erinnert sich an die Treffen mit den Kindern aus gutem Hause:
„Deren Eltern sagten: Geht bloß nicht in dieses Viertel, sprecht nicht mit diesen dreckigen, schwarzen, primitiven Leuten. Sie wollten aber bei uns sein. Wir hatten Haschisch, das hatten sie nicht. Also tauschten wir Musik und Haschisch und sprachen viel. Von ihnen haben wir sehr viel gelernt. Sie haben uns gesagt, dass wir uns gegen ihre Eltern auflehnen müssten. Manche haben unsere ersten Flugblätter geschrieben und uns gezeigt, wie wir eine Demonstration organisieren. Sie haben uns beigebracht, wie wir für das kämpfen, was uns als Bürgern zusteht.“
Eher zufällig, erzählt Koko Deri, hätten sie in einem Gespräch mit einem Journalisten gesagt: „Wenn man uns nicht hilft, dann handeln wir wie die Black Panthers in Amerika“. Die Schlagzeile war geboren – und mit ihr der Name für die Bewegung, die Koko Deri mitgegründet hat.

Festgenommen und von der Polizei misshandelt

Ihr erster Antrag auf eine Demonstration im Frühjahr 1971 wurde gleich abgelehnt, einige Anführer wurden festgenommen und von der Polizei misshandelt, einer von ihnen war Koko Deri. Doch die israelische Regierung geriet für ihr Vorgehen in die Kritik. Denn der Protest gegen die miserable Situation vieler Einwanderer aus arabischen Ländern schien berechtigt – immerhin handelte es sich um mehr als die Hälfte der israelischen Bevölkerung. Es folgten große Demonstrationen und Auseinandersetzungen mit der Polizei.
Die damalige Premierministerin Golda Meir von der Arbeitspartei bekannte, dass ihr die Black Panthers den Schlaf raubten. Sie traf einige der Anführer zu einem Gespräch und erklärte danach, Leute, die Molotow-Cocktails auf die Polizei werfen, seien „nicht nett“ – ein Spruch, der ihr ewig nachhing.
Ein verwittertes Straßenschild mit der Aufschrift "Not Nice Alley" an einer Mauer aus grobem Stein.
Die "Not Nice Alley" geht auf einen Kommentar der früheren Premierministerin Golda Meir zu den Protesten zurück.© Deutschlandradio / Anne Francoise Weber
„Sie sind nicht nett“ steht auf einem blauen, etwas beschädigten Straßenschild aus Keramik am Beginn einer kleinen Gasse. Viele Jahre später haben Künstler diesen Ausspruch der Premierministerin am Geburtsort der israelischen Black Panthers verewigt.

Die Verletzungen anerkennen

Doch lange hatte man die wütenden Aktivisten auch hier in Musrara vergessen. Denn der Jom-Kippur-Krieg 1973 hatte die politische Aufmerksamkeit auf ganz andere Dinge gelenkt. Der erwartete Wahlerfolg der beiden von den Black Panthers gegründeten Parteien blieb aus. Die Häuser in Musrara wurden Ende der 70er-Jahre renoviert – trotzdem fand Avi Sabag hier noch einige Jahre später ein problembeladenes Viertel vor. Der marokkanischstämmige Künstler kaufte das alte Schulgebäude, um daraus eine Kunstschule zu machen:
„Als ich hierherkam, habe ich verstanden, dass das Problem weniger materiell war als vielmehr identitär. Man musste die Verletzung anerkennen. Ich habe also den Aktivismus des Viertels künstlerisch erkundet. Wir haben eine Ausstellung über die Black Panthers geplant. Mit Koko und den anderen haben wir Material, Bilder und Dokumente gesammelt und daraus Kunst gemacht. Als die Ausstellung in die Welt ging, sagte die israelische Gesellschaft: Ach ja, es gab die Black Panthers.“
Bis heute arbeitet Koko Deri in „Musrara, der Naggar-Schule für Kunst und Gesellschaft“, wie die von Sabag gegründete Einrichtung heißt – erst im vergangenen Jahr haben mehrere Ausstellungen dort an die bemerkenswerte Black Panther-Geschichte erinnert.

Den Misrachim eine Stimme geben

Wie groß der Einfluss der israelischen Black Panthers auf die gesellschaftliche Entwicklung des Landes war, hat ein Politikwissenschaftler in seiner Doktorarbeit erforscht - Sami Shalom Chetrit, der auch einen Film über die Bewegung gedreht hat.
„Ich unterteile die israelische Gesellschaft immer in zwei verschiedene Perioden: vor und nach den Black Panthers. Es gab zwar schon seit den 1950er-Jahren kurze, lokale Proteste. Aber die Black Panthers haben das Menetekel an die Wand geschrieben. Niemand kann es mehr ignorieren. Vor ihnen war die wirtschaftliche, soziale und sogar kulturelle Unterdrückung der Misrachim, der Juden aus Nahost und Nordafrika, durch verschiedene Regierungsbehörden offensichtlich, schamlos und wurde sogar noch gerechtfertigt. Nach den Black Panthers wurden sie sehr vorsichtig. Sie konnten nicht länger eine misrachische Stimme ignorieren.“

Die Ernte fuhren die Konservativen ein

Am besten hatte das Menachem Begin verstanden, der Gründer der konservativen Likud-Partei. Er war einer der ersten, die sich an diese Wählerschaft wandten und wurde 1977 vor allem mit ihren Stimmen zum Premierminister gewählt.
Eine Ironie der Geschichte, denn die Arbeitspartei von Golda Meir hatte aufgrund der Proteste schließlich viel Geld in Sozialmaßnahmen investiert - aber der konservative Likud gewann die nächsten Wahlen. Und die Black Panthers mit ihren eigentlich linken Idealen trugen zum Machtwechsel in Israel bei.
„Die Bewegung hatte zahlreiche Auswirkungen", betont Yali Hashash, Historikerin und misrachische Frauenrechtsaktivistin. "Zum einen wurde Israel für ein Jahrzehnt zum Sozialstaat. In dieser Zeit haben viele von uns Misrachim eine kostenfreie Bildung genossen. Wir haben viel bekommen, was Kinder heute nicht haben – denn damit wurde der Ärger eingedämmt. Außerdem sind die Black Panthers als Inspiration und als Erbe wichtig. Und heute gibt es viele Gruppen, die diese Tradition weitertragen.“

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