"Black Lives Matter"

Die Repolitisierung der Popmusik

Demonstranten in Berlin halten am 10. Juli 2016 ein Transparent mit dem Twitter-Hashtag "#Black Lives Matter".
Demonstranten in Berlin halten am 10. Juli 2016 ein Transparent mit dem Twitter-Hashtag "#Black Lives Matter". © dpa / picture alliance / Wolfram Kastl
Von Jutta Petermann · 27.12.2016
Es gab einen großen Musik-Trend in diesem Jahr und das war die deutliche Re-Politisierung des US-amerikanischen Pop. Die Anti-Trump-Songs sind dabei fast nur eine Randnotiz. Der größte Teil sind Songs um die afroamerikanische Bürgerrechtsbewegung "Black Lives Matter".
"Ich finde es fast schon respektlos, politische Probleme nicht anzusprechen, den Rassismus in Amerika, Polizeigewalt, die Klassenunterschiede und den Aufstieg der Milliardäre. Ich kann und möchte keine eskapistische Musik machen, also Musik, die mich die Probleme der Welt vergessen lässt. Stattdessen glaube ich an die Tradition des Folk. Songs, die zwar von den Schwierigkeiten des Lebens erzählen, Dich aber gleichzeitig aufbauen und Dich ermutigen, Dich mit anderen Menschen und ihrem Leid zu verbinden",
sagt Channy Leaneagh, Sängerin der Indie-Popband Polica. Ihre Auslegung von Folk auf dem Album "United Crushers" ist zwar elektronisch und sehr tanzbar, doch ihre Haltung der fortschreitenden Gentrifizierung, der Macht der Reichen und Rassismus musikalisch zu widersprechen, teilen 2016 hörbar viele ihrer Landsleute.
Noch aus seinem Grab heraus skandierte der im April überraschend verstorbene Prince Slogans von "Black Lives Matter". Einer dieser Songs heißt: "Wenn es keine Gerechtigkeit gibt, dann gibt es auch keinen Frieden", so gesungen in seinem posthum veröffentlichten Song "Baltimore". Im Frühjahr und Sommer kamen fast wochenweise neue Songs im "Black Lives Matter"-Geist heraus, gesungen vom "Who's Who" des Pop: Aber Musik ist nicht mehr alleiniges Mittel der Wahl.

Sich wieder ehrlich und authentisch begegnen

"Den Blinker zum Spurwechsel nicht gesetzt
im Auto der Freundin fahren, mit einem Kind auf dem Rücksitz
zum Badezimmer zu laufen in der eigenen Wohnung..."
Ein mit düsteren Pianoklängen untermaltes und in schwarz-weiß gehaltenes Video sorgt im Sommer für weltweites Aufsehen: 23 Musiker - darunter Alicia Keys, Beyonce, Bono von U2 und viele andere Stars - schildern die banalen aber realen Gründe, wegen der AfroamerikanerInnen in den USA von der Polizei festgenommen wurden und in der Folge auf oft ungeklärte Weise starben.
Blood Orange alias Dev Heynes, Solange, ihre Schwester Beyoncé, Frank Ocean - vor allem in der Black Music belegen Statements von Verwandten und Freunden in sogenannten Interludes zwischen den Songs die Wahrhaftigkeit der Songinhalte. Zeugnisse des afroamerikanischen Lebensgefühls, bis heute in den USA Menschen zweiter Klasse zu sein.
Alicia Keys, "Black Lives Matter"-Unterstützerin der ersten Stunde, denkt das Thema Rassismus weiter und landet auf ihrem jüngsten Album "Here" erstaunlicherweise bei Make-up Verzicht. Doch so unlogisch ist das gar nicht. Die Menschen müssten sich wieder ehrlich und authentisch begegnen, nicht die Oberfläche, den Anschein im Blick haben: "Wir stereotypisieren bis zu dem Punkt, an dem ein Mann einen anderen tötet, nur weil er denkt er könne ihm gefährlich werden, nur weil er eine bestimmte Hautfarbe hat. Das ist tiefverwurzelt und so traurig, dass man diese Vorurteile schnellst möglichst beseitigen und die Barrieren, die da existieren, beseitigen muss, das ist der Ausgangspunkt dieses Albums."

"All Lives Matter" vs. "Black Lives Matter"

Die "Black Lives Matter"-Bewegung hat auch Kritiker: "All Lives Matter" solle die Leitformel heißen, fordern sie, es stürben schließlich auch Weiße und Latinos durch Polizeigewalt und durch Kugeln afroamerikanischer Krimineller. Doch die Rapper Macklemore und Ryan Lewis erteilen diesen Stimmen eine Absage – sie sampeln in ihrem kontrovers diskutierten, theatral-inszenierten HipHop Drama "White Privlege II" das Interview eines "Black Lives Matter"-Aktivisten, der der Meinung ist, "All Lives Matter" negiere den strukturellen Rassismus gegenüber Afroamerikanern.
Eine politische Richtungsdebatte verhandelt in einem Song – das Jahr 2016 bringt noch mehr Überraschungen. Interviewschnipsel und Atmos von Demonstrationen, Polizeisirenen oder Schussgeräusche werden untergemischt, liefern einen Subtext und verwandeln Songs in journalistische Feature oder Klanginstallationen. Musikerin und Künstlerin Fatima al Qadiri hat fünf Jahre in den USA gelebt, war bei "Black Lives Matter"-Demonstrationen dabei, erlebte die für sie erschreckende Tatsache, dass diese Demonstrationen geradezu militärisch bewacht und eingeschüchtert werden. Aus diesen Eindrücken entstand schon Anfang 2016 das Album "Brute" über Versammlungsrecht und Meinungsfreiheit.
"Ich selbst habe an mehreren Demonstrationen teilgenommen, ich habe gesehen wie die Polizei Pfefferspray, Wasserwerfer und Tränengas eingesetzt hat, wie sie voran marschiert ist, mehr Polizisten als ich je in meinem Leben gesehen habe, jeden der sich ihnen entgegen stellte, haben sie aus dem Weg geräumt, mit allen erdenklichen Mitteln, inzwischen sind ihre Tools sogar noch weiter fortgeschritten, da brauchen sie gar nicht mehr so viele Leute."
Auch an diesem Punkt bröckelt die Fassade der wohl einflussreichsten Demokratie der Welt ganz erheblich.
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