Bizarres Verhältnis

Rezensiert von Tobias Rapp · 02.02.2006
Ein junger Werbefotograph, Mikael, genannt Angel, kommt betrunken nach Hause und findet im Rinnstein vor seinem Haus ein kleines Lebewesen, das er mit in die Wohnung nimmt: einen Troll. Das kleine Tier scheint verletzt zu sein, es schläft den ganzen Tag, und Mikael päppelt es wieder auf. So beginnt eine ziemlich bizarre Liebesgeschichte zwischen Mensch und Troll.
Als die Zukunft noch recht übersichtlich schien und das Internet noch jung war, waren die Erwartungen am größten - Hypertext nannte man das Verlinken verschiedener Texte durch ebenjenes Netz und prophezeite ein nicht lineares, ein vernetztes Erzählen ganz eigener Art, eine neue Literatur. Sie entstand dann doch nicht. Aber wie ein Echo klingt sie nach in "Troll", dem neuen Roman der finnischen Autorin Johanna Sinisalo, dem ersten, der auf Deutsch erschienen ist.

Worum geht es? Ein junger Werbefotograph, Mikael, genannt Angel, kommt betrunken nach Hause und findet im Rinnstein vor seinem Haus ein kleines Lebewesen, das er mit in die Wohnung nimmt: einen Troll. Das kleine Tier scheint verletzt zu sein, es schläft den ganzen Tag, und Mikael päppelt es wieder auf.

Und so beginnt eine ziemlich bizarre Liebesgeschichte zwischen Mensch und Troll. Eine Geschichte, die sich als solche erst gar nicht zeigt, denn die Gerüche, mit denen der Troll die Wohnung füllt (irgendwo zwischen Wacholderbeeren und Moschus, eine höchst erregende Variante von "Obsession" von Calvin Klein) fördern Mikaels Attraktivität ungemein, und er stürzt sich in wilde Affären.

Sinisalo präsentiert in "Troll" ein groß angelegtes Verwirrspiel. Da sind nicht nur die zahllosen Internetseiten, auf denen sich Mikael über Trolle informiert und die einen in die ersten Rätsel schubsen - keine der Seiten existiert nämlich, wenn man selbst am eigenen Computer nachschaut, was es denn nun wirklich mit Trollen auf sich hat - selbst die lateinische Bezeichnung, die Sinisalo dem Troll zuschreibt, steht in Wirklichkeit für einen Zaunkönig.

Auch die vermeintliche Trollsichtung von 1907 gab es nie. Man glaubt es aber gerne, man traut seinem Glauben nur nicht über den Weg. Diese erfundenen Informationen durchsetzt Sinisalo dann aber wiederum mit realen Geschichten, Zitaten aus Romanen, Gedichten und Märchen - real aber eben auch nur, weil sie jemand erfunden hat, nicht, weil sie wirklich passiert wären.

Dies korrespondiert nicht nur mit der Art und Weise, wie der Troll das Leben von Mikael durcheinander bringt. Sinisalo setzt es auch mit dem Durcheinander der Identitäten in Beziehung, das den Roman durchzieht: Mikael ist schwul und der Trollduft macht alle Männer verrückt nach ihm, sogar seine Nachbarin verfällt diesem Geruch. Und das scheinbar reale Tierchen aus dem Wald wird zum Fabelwesen, dessen Anwesenheit genau die Grenzen durchlässig macht, denen es als reales Fabelwesen seine Existenz verdankt: den Grenzen einer Art von Denken, das das Fantastische nur in der Wildnis zulassen kann.

Das kann man "ekelhaft postmodern" finden, wie der Rezensent der Süddeutschen Zeitung - tatsächlich funktioniert die sexuelle Anziehungskraft des Trolls eher auf einer thesengestützten Behauptungsebene, als dass sie sich erzählerisch ergibt. Doch allein der Umstand, dass das Buch einen wieder und wieder vor den Computer zieht, um zu überprüfen, was denn nun "wirklich" dran ist an all den Geschichten, spricht für die Kraft von Sinisalos Konstruktion.


Johanna Sinisalo: Troll: Eine Liebesgeschichte
übersetzt aus dem Finnischen von Angela Plöger,
Tropen Verlag, Berlin 2005.
260 S., 19,90 Euro.