Bitte zur Kasse

Von Susanne Arlt, Susanne Schrammar und Matthias Günther · 23.11.2009
Steuererleichterungen sind geplant, und um diese zu finanzieren, sollen auch die Länder und Kommunen zur Kasse gebeten werden. Letztere jedoch klagen bereits jetzt über finanzielle Nöte.
Für drei Kommunen in Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Niedersachsen stellt sich die Situation ganz unterschiedlich dar.

Bitte zur Kasse. Die Kommunen, ihre Finanzen und der Steuerstreit – am Mikrofon begrüßt Sie Julius Stucke.

Für ihre Steuersenkungspläne hat die schwarz-gelbe Bundesregierung aus nahezu jeder Ecke Kritik kassiert. Auch aus Richtung der Bundesländer und auf kommunaler Ebene aus den Städten und Gemeinden. Denn Steuersenkungen - das heißt erst mal weniger Geld auf der Einnahmeseite und dafür werden auch die Länder und Städte zur Kasse gebeten. Der deutsche Städtetag hat darauf hingewiesen, die meisten Städte hätten schon jetzt kein Geld mehr - man müsse verhindern, dass die Kommunen finanziell zusammenbrechen.
Wenn auf kommunaler Ebene kein Geld mehr da ist – dann wird für die Bürger aus einer abstrakten Diskussion über Steuern und Haushaltspolitik etwas konkretes, dass sie vor Ort spüren. Dann fehlt das Geld für Kinderbetreuung, für Bibliotheken, für Schwimmbäder und Sportvereine. Wir besuchen im Länderreport heute Städte und Gemeinden, die vor ganz unterschiedlichen Situationen stehen.
Tangermünde (Sachsen-Anhalt)

Die Reise beginnt in Sachsen-Anhalt. Das Land ist hoch verschuldet, mit fast 20 Milliarden Euro – und die meisten Kommunen sind knapp bei Kasse. Die Stadt Tangermünde im Landkreis Stendal gibt sich seit Jahren große Mühe hauszuhalten, keine Schulden zu machen. Und nun? Nun sind Tangermündes Finanzen gleich von zwei Seiten gefährdet: zum einen von den Steuersenkungsplänen auf Bundesebene – aber auch durch Pläne der Landesregierung, die Gelder in Sachsen-Anhalt neu zu verteilen. Susanne Arlt berichtet:

Tangermünde - eine bildhübsche mittelalterliche Stadt. Zwischen den imposanten Türmen der Stadtmauer verläuft die Hauptstraße, bunte Holzportale verzieren die Fachwerkhäuser in den Seitengassen. Das Schmuckstück der Altstadt ist das Rathaus aus rotem Backstein mit seinem Schaugiebel aus dem Jahr 1430.

Im ersten Stock sitzt Bürgermeister Rudolf Opitz. Seit 19 Jahren leitet der CDU-Politiker die Geschicke der Stadt – mit Erfolg. Denn seit neunzehn Jahren hat Tangermünde einen ausgeglichenen Haushalt. Ein Alleinstellungsmerkmal für eine Stadt im hochverschuldeten Sachsen-Anhalt. Rudolf Opitz regierte neunzehn Jahre lang nach dem Prinzip: Was ich in der Stadtkasse nicht habe, kann ich nicht ausgeben. Aber davon muss er sich jetzt wohl verabschieden.

Die Landesregierung will das Finanzausgleichsgesetz ändern. Dieses regelt die Zuwendungen zwischen Land, den kreisfreien Städten, Landkreisen und Kommunen. Die geplanten Änderungen hätten katastrophale Auswirkungen auf Tangermünde, sagt Oberbürgermeister Rudolf Opitz.

Opitz: "So sind die Auswirkungen im Augenblick so, dass wir regelrecht einen Absturz erleben, wir sind eine kreisangehörige Gemeinde, und das Schlimme ist, dass wir nach den Zahlen etwa mit rund 900.000 Euro schlechter dastehen als im Jahr 2009."

Knapp eine Million Euro weniger – für eine Stadt mit 11.000 Einwohnern, sei das kaum zu verkraften, sagt Opitz. Für die laufenden Kosten benötigt die Stadt zehn Millionen Euro im Jahr. Diese Summe hat Tangermünde bislang immer zusammen bekommen, weil man sich schon Mitte der 90er Jahre von kostspieligen Ausgaben trennte. Nach dem Geburtenknick wurden viele Erzieherinnen entlassen. Schmerzlich aber notwendig, sagt der Bürgermeister. Viele Einrichtungen überführte die Stadt in freie Trägerschaften. Das Deutsche Rote Kreuz betreibt das Alten- und das Jugendheim.

Eine private Reinigungsfirma putzt in den städtischen Einrichtungen und auch die Kinder- und Jugendarbeit wurde privatisiert. Ein ungewöhnlicher Schritt, sagt Hans-Ulrich Schmidt, Leiter des Shalomhauses Tangermünde. Der Verein betreibt seit vier Jahren die Kinder- und Jugendeinrichtungen der Stadt.

Schmidt: "Es ist Erleichterung im finanziellen Bereich, weil nun wir die Arbeit tun, die die Mitarbeiter in der Stadtverwaltung nicht mehr tun. Die Erleichterung ist auch im inhaltlichen Bereich deutlich zu sehen, weil, man muss jetzt nicht Mitarbeiter der Stadtverwaltung abstellen, die das managen, was ich jetzt hier manage."

Sieben Angestellte kümmern sich um den Schüler- und den Jugendclub sowie das Familienzentrum. Die Kinder werden von halb eins bis spät abends betreut. Sie können dort basteln, Tischtennis spielen, es gibt einen Bandprobenraum. Und der fest angestellte Handwerker Achim bringt den Kindern bei, wie sie ihr kaputtes Fahrrad reparieren.

Schmidt: "Das heißt, wenn ein Kind ein Fahrrad hat, das kaputt geht, nicht weg schmeißen und ein neues klauen. Sondern wir gehen zu Achim und machen mit ihm zusammen. Der zeigt uns wie eine Speiche geflickt wird und die Kinder gehen meiner Meinung mit erhobenem Haupt durch die Gegend, weil sie auf einmal wertgeschätzt werden."

Der Verein kann sich diesen Luxus leisten, weil ihn eine private Stiftung mit 300.000 Euro im Jahr ausstattet. Sollten diese Gelder eines Tages nicht mehr fließen, sagt Hans-Ulrich Schmidt, wolle die Stadt einspringen. Das habe sie versprochen. Doch ob sich Tangermünde das in Zukunft leisten kann, der Leiter schüttelt nachdenklich den Kopf. Und auch Bürgermeister Rudolf Opitz ist skeptisch. Bei einer Haushaltskonsolidierung stünden vor allem die freiwilligen Aufgaben auf der Kippe, betont der Bürgermeister.

Opitz: "Es verbleibt als größere Posten das Freibad. Das Freibad kostet uns im Jahr 120.000 Euro Zuschuss. Es verbleibt die Bibliothek, es verbleibt die Museumslandschaft, wir sind das Touristikzentrum hier im Norden Sachsen-Anhalts. Und deshalb meinen wir auch, dass wir uns in unserem schönen alten Rathaus ein Heimatmuseum leisten konnten und mussten, aber alle diese Dinge würden auf der Kippe stehen, alles das, was ja so ein bisschen das Leben auch lebenswert macht."

Sinkt aber die Lebensqualität in der Stadt, dann ziehen noch mehr Menschen weg aus Tangermünde, glaubt der Bürgermeister. Die Steuerpläne der schwarz-gelben Bundesregierung seien da schlichtweg kontraproduktiv. Eine Absenkung der Gewerbesteuer wird weniger Geld in die Haushaltskasse spülen. Und auch von Einkommenssteuer bekäme Tangermünde dann weniger Anteile.

Opitz: "Wenn es dann tatsächlich so kommt, das ist wirklich frustrierend, und es zeugt leider auch davon, dass man offenkundig nicht weiß, wie der Hase läuft. Und das ist wirklich enttäuschend. Die Annahme, dass durch die Steuererleichterungen auf der anderen Seite die Produktivität anspringt und die Unternehmen mehr Gewinnen erwirtschaften und mehr Steuern zahlen, das wage ich mal zu bezweifeln. Die sind alle sehr erfinderisch geworden in letzter Zeit und nutzen diese Dinge, ohne das am Ende wieder etwas Positives für Väterchen Staat rauskommt."

Statt unrealistischer Wahlkampfversprechen wünscht sich Rudolf Opitz lieber einen gleitenden Übergang, so dass man die eigenen Veränderungen sinnvoll und langfristig planen kann.

Opitz: "Mir geht es nicht darum, dass das Land Sachsen-Anhalt hoch verschuldet sparen muss, mir geht es auch nicht darum, dass der Bund hoch verschuldet sparen muss. Mir geht es einfach darum, wenn man eine solche Entwicklung einläutet, dass man dann Schritte organisiert, die auch die Akteure vor Ort in die Lage versetzen, diese Schritte mitzugehen."

Doch danach sieht es derzeit nicht aus. Werden die Pläne der Landes- und der Bundesregierung wie geplant umgesetzt, dann wird Tangermünde im kommenden Jahr erstmals Kassenkredite in Anspruch nehmen müssen. Der Traum von der Schuldenfreiheit wäre dann vorerst ausgeträumt.


Bad Schwartau (Schleswig-Holstein)

Von Sachsen-Anhalt nach Schleswig-Holstein. Auch dort klagt man über die Finanzlage und kritisiert die Steuerpläne im Bund. "Wir haben nichts mehr" hat Ministerpräsident Peter Harry Carstensen bei seiner Regierungserklärung vergangene Woche gesagt – und er hat einen harten Sparkurs angekündigt. Das heißt unter anderem auch: kein zusätzliches Geld, um die Kommunen zu unterstützen. Die aber hätten das bitter nötig, der Schleswig-Holsteinische Städtebund prophezeit schwere Zeiten. Unser Landeskorrespondent Matthias Günther allerdings hat eine Stadt besucht, in der das ganz anders aussieht, Bad Schwartau:

Eine Jugendmannschaft des VfL Bad Schwartau beim Handball-Training. Die Sportler der 20.000 Einwohner-Stadt können sich nicht beklagen, sagt der Vorsitzende des VfL, Heinz Elendt:

"Der VfL Bad Schwartau ist ein Verein von 2700 Mitgliedern. Wir haben ungefähr 1500 Jugendliche. Und weil Schwartau mehr Geld hat als die Durchschnittsgemeinden oder -städte, sind wir in der glücklichen Lage, dass wir sehr viele Sportstätten haben. Wir haben drei Großsporthallen und viele Zweifeldhallen, Einfeldhallen. Jetzt ist gerade wieder eine neue gebaut worden. Was besonders positiv ist: Wir können diese Sportanlagen nutzen, ohne dafür etwas zu bezahlen. Und darüber sind wir natürlich unheimlich froh und dankbar und wünschen uns, dass das noch lange so bleibt. Dass die Stadt keine Gebühren von uns für die Sportstätten verlangt, ist auch ein Grund, weshalb wir seit vielen Jahren die Beiträge nicht erhöhen mussten."

Auch am Gymnasium am Mühlenberg in Bad Schwartau merkt man, dass die Stadt keine finanziellen Sorgen hat. Gerade hat sie die Trägerschaft für das Gymnasium vom Kreis Ostholstein übernommen, Direktor Wolfgang Czieslik ist froh darüber:

Czieslik: "Was wir bei dem neuen Schulträger - das ist die Stadt Bad Schwartau – jetzt bekommen, was wir beim früheren Schulträger nicht bekommen hätten, ist eine Mensa. Wir sind offene Ganztagsschule und haben die Notwendigkeit, auch verpflichtenden Ganztagsunterricht in der achten und neunten Stunde zu machen, insbesondere in der Orientierungsstufe. Und das geht ohne Mittagessen nicht. Die Kosten liegen in der Größenordnung von 1,5 Millionen, die überwiegend auch von der Stadt Bad Schwartau finanziert werden."

Die Stadt kann es sich leisten: Sie kann Straßen in gutem Zustand halten, Vereine und Verbände großzügig unterstützen, in der Stadtbücherei auf Leihgebühren verzichten. Und die Steuern sind seit 15 Jahren nicht erhöht worden. Der Wohlstand Bad Schwartaus hat seinen Ursprung in den 90er Jahren. Damals beschloss die Stadtvertretung, die verlustbringenden Kurbetriebe zu privatisieren, berichtet Bürgermeister Gerd Schuberth:

"Das Kurwesen hatte in jedem Jahr Defizite von ca. ein bis zwei Millionen D-Mark damals eingefahren. Und das war durch die städtischen Haushalte auszugleichen. Wir haben zu diesem Zeitpunkt Mitte der Neunzigerjahre einen privaten Investor gefunden, der die städtischen Kurbetriebe übernommen hat und uns praktisch davon befreit hat, die Lasten davon zu tragen. Und wir haben natürlich auch noch einen gewissen Anteil des Kaufpreises anlegen können - das ist ein Element unser doch noch komfortablen Finanzausstattung."

Der Bürgermeister weiß allerdings, dass es heute oft nicht mehr so leicht ist, defizitäre städtische Betriebe gewinnbringend zu privatisieren. Er verweist darauf, dass etliche Städte die Privatisierungen inzwischen bereuen oder gar rückgängig machen. Es stellte sich nämlich heraus, dass private Unternehmen nicht immer bessere und kostengünstigere Leistungen erbringen. Im Fall der Kurbetriebe von Bad Schwartau sieht Gerd Schuberth aber keinen Grund, die Privatisierung zu bereuen:

"Die Kurbetriebe haben sich erfreulich entwickelt. Es sind 60 Arbeitsplätze zusätzlich geschaffen worden. Das Angebot konnte aufgrund der Privatisierung erheblich verbessert werden, so dass man im Endeffekt sagen kann: die Entscheidung, zu privatisieren, war nicht nur für den städtischen Haushalt richtig und wichtig, sondern auch für die gesamtwirtschaftliche Situation auch im Hinblick auf die Arbeitsplätze."

Im vergangenen Jahr haben die ehemals städtischen Kurbetriebe nochmals expandiert: ein neues Bettenhaus für Reha-Patienten entstand. Aus den verlustbringenden Betrieben wurde ein florierendes Unternehmen, das der Stadt Steuereinnahmen bringt.

Schuberth: "Ein weiteres Element ist natürlich auch, dass wir gute Gewerbesteuerzahler hatten und uns die positive Wirtschaftsentwicklung in den letzten Jahren dazu verholfen hat, dass wir die Einnahme-Situation doch für uns komfortabel gestalten konnten und dass wir dieses Geld, das wir dann eingenommen haben, auch nicht mit vollen Händen ausgegeben haben, sondern auch gesehen haben, dass wir für die Zeiten, die jetzt bevorstehen - des Abschwungs - auch noch genügend Mittel zur Verfügung haben, um einen Haushaltsausgleich zu erreichen."

Bad Schwartau hat sich also ein Polster zugelegt und kann es besser als andere Kommunen verkraften, wenn jetzt die Steuereinnahmen sinken. Anders ist die Lage in der benachbarten Großstadt Lübeck: Sie hat einen großen Schuldenberg, und der wächst immer weiter. Neidisch blickt man auf den Wohlstand in Bad Schwartau – und diskutiert von Zeit zu Zeit, ob man die kleine Nachbarstadt nicht eingemeinden könnte. Bad Schwartau ist jedes Mal empört über solche Überlegungen, Bürgermeister Schuberth sagt:

Schuberth: "Wir wollen selbständig bleiben. Wir schotten uns natürlich auch in sofern ab, als wir sagen: die Leistungen, die wir jetzt für unsere Bürgerinnen und Bürger vorhalten, die könnten wir dann nicht mehr erbringen, wenn wir Teil Lübecks wären. Unsere Bürgerinnen und Bürger haben durch ihre Leistung und Steuerkraft unser finanzielles Polster erwirtschaftet, so dass auch unsere Bürgerinnen und Bürgern diese Leistungen und diese positiven Zahlen dann irgendwie zugute kommen müssen."

Und so geht man am Gymnasium am Mühlenberg davon aus, dass es für die Stadt kein Problem sein wird, wenn demnächst ein fast 40 Jahre altes Gebäude von Grund auf renoviert werden muss. Und der Vereinsvorsitzende des VfL Bad Schwartau, Heinz Elendt, freut sich auf einen Kunstrasenplatz der noch in diesem Jahr fertig wird.

Elendt: "Ein Kunstrasen war der lange Wunsch der Fußballabteilung – auch um im Vergleich zu anderen Vereinen konkurrenzfähig zu bleiben. Wir haben einen großen Rasenplatz dort und einen Grantplatz. Aber im Sommer war der knochenhart und im Winter matschig. Und man konnte den Sport nicht so betreiben, wie die Abteilung sich das wünschte."

Ein teurer Wunsch, etwa eine halbe Million Euro kostet der Platz. Bad Schwartau bezahlt.


Bodenwerder & Polle (Niedersachsen)

Zuletzt machen wir uns auf den Weg nach Niedersachsen. Dort verhandelt Innenminister Uwe Schünemann derzeit mit den kommunalen Spitzenverbänden über einen so genannten "Zukunftsvertrag für starke Kommunen". Damit sollen Landkreise, Städte und Gemeinden leistungsfähiger gemacht werden. Das ist dringend nötig, denn auch in Niedersachsen fehlt vielen Kommunen das Geld. Der sogenannte Zukunftsvertrag sieht zum Beispiel freiwillige Fusionen von Städten, Gemeinden und Landkreisen vor.

Und will diese mit finanziellen Anreizen fördern: Wer sich zusammenschließt erhält von der schwarz-gelben Landesregierung eine Art Hochzeitsprämie. Zwei solche Gemeinden sind Bodenwerder und Polle. Das sind Samtgemeinden, also jeweils bereits ein Verband aus mehreren Gemeinden. Und diese beiden Samtgemeinden wollen nun also noch zu einer fusionieren - Susanne Schrammar war für uns vor Ort.


Bost: "Ja, das ist unsere gemeinsame Samtgemeindekasse, die existiert seit September 2008 und seitdem arbeiten die beiden Kollegen hier zusammen – Herr Hülscher kommt aus Bodenwerder, ist der Kassenleiter. Herr Busche ist der Vertreter, bisher der Kassenleiter der Gemeinde Polle."

Und damit, sagt Samtgemeindebürgermeister Willi Bost, kann die Kasse im Rathaus von Polle durchaus als Symbol für die anstehende Fusion mit der Nachbarsamtgemeinde Bodenwerder gelten. Vor einem dreiviertel Jahr haben die beiden Kommunen als erste in Niedersachsen einen Fusionsvertrag unterschrieben. Ab dem 1. Januar 2010 gibt es dann nur noch die eine Samtgemeinde: Bodenwerder-Polle. Ein freiwilliger Zusammenschluss, betont Willi Bost:

"Wir müssen uns für die Zukunft richtig aufstellen, damit wir hier unsere Zukunftsaufgaben auch erfüllen können und was ein ganz wichtiger Punkt natürlich auch ist, auch Synergie-Effekte erzielen, um zusätzlich erwirtschaftete Mitteln dann wieder für Investitionen und zur Sicherung unserer Wirtschaftsstandorte einzusetzen. Das waren alles Leitmotive, die uns dazu bewogen haben."

Eine große Verwaltung ist günstiger als zwei kleine, darauf setzt jedenfalls die niedersächsische CDU-FDP-Regierung und belohnt Kommunen, die sich freiwillig zusammenschließen: Bei denen, die fusionieren oder eine Einheitsgemeinde bilden, übernimmt das Land 75 Prozent der Kassenkredite. Bei den meisten Kommunen können die laufenden Verwaltungsausgaben nicht mehr durch die Einnahmen gedeckt werden, dadurch entstehen Kassenkredite.

In Niedersachsen haben die Kommunen deshalb einen Schuldenberg von etwa 4,4 Milliarden Euro angehäuft – laut dem Bund der Steuerzahler ein "schwindelerregendes Rekordniveau". Die vom Land angeregten Fusionen sollen hier helfen. Bernd Häußler, Leiter der Kommunalabteilung im niedersächsischen Innenministerium:

"Es geht nicht um Nivellierung, es geht einfach darum, kostengünstigere und gleichwohl der demokratischen Mitwirkung angemessene Strukturen zu schaffen. Vor dem Hintergrund ist zunächst einmal ein Ansatzpunkt zu sagen, dort wo wir defizitäre Haushalte haben, wollen wir mit solchen Fusionen, ausgeglichene Haushalte zu ermöglichen."

Auch Bodenwerder-Polle steht vor finanziellen Schwierigkeiten. Aufgrund sinkender Steuereinnahmen erwartet Bürgermeister Willi Bost ein Minus von 2,5 Millionen Euro im nächsten Jahr. Von der Übernahme der kommunalen Kredite durch das Land, hat die Gemeinde jedoch nichts – denn sie ist eine der wenigen, die bis zum jetzigen Zeitpunkt keine Kassenkreditschulden angehäuft haben. Vorteile von der Fusion erhofft man sich dennoch – in Form von Einsparungen, so Fred Burkert, bisher stellvertretender Verwaltungschef in Bodenwerder.
Burkert: "Wir gehen nach dem Haushaltsplanentwurf 2010 davon aus, dass die Fusionsvorteile im Jahr 2010 sich mit mehr als 300.000 Euro schon beziffern lassen."

Langfristig, so Burkert weiter, könne man allein durch weniger Personal bereits viel Geld einsparen. Dieser Kostenabbau soll allerdings sozialverträglich gestaltet werden, beteuern die Gemeindevertreter. Wie viele Stellen der Fusion zum Opfer fallen werden, ist derzeit noch nicht absehbar. Doch klar ist: Viele Bereiche, die es bisher in jeder der beiden Gemeinden gab, werden so nicht mehr benötigt. Willi Bost:

"Wir haben eine Kämmerei gehabt, Bodenwerder hat ne Kämmerei gehabt, Wir haben ein Ordnungsamt, Bodenwerder hat ein Ordnungsamt. Jeder hat seine Feuerwehrsachbearbeiter, das geht dann weiter in die Bauverwaltung. Das sind natürlich Bereiche, die dann zusammen gelegt werden. Dadurch kriegt man natürlich auch einen neuen Stellenschlüssel und da sind natürlich die Synergie-Effekte."

Um dennoch Bürgernähe zu gewährleisten, soll es auch weiterhin in Polle und in Bodenwerder Bürgerbüros geben. 16.200 Einwohner umfasst die neue Samtgemeinde, daraus folgt ein weiterer finanzieller Vorteil: Je mehr Einwohner eine Gemeinde hat, desto mehr Geld bekommt sie aus dem kommunalen Länderfinanzausgleich. Doch je mehr Gemeinden fusionierten, desto eher verschwände auch dieser Vorteil wieder, sagt Rolf Timmermann, Vorsitzender des niedersächsischen Städte- und Gemeindebundes. Schließlich werde der zu verteilende Kuchen nicht größer. Grundsätzlich begrüßen die Kommunalverbände den Versuch, mittels Fusionen die Leistungsfähigkeit der Kommunen zu stärken, so Timmermann:

"Die Frage ist einfach nur, ob diese Stärkung zu einer finanziellen Stärkung führt und das ist eben nicht ohne weiteres der Fall. Ich glaube, es bringt nicht so sehr viel, jetzt zwei oder drei oder vier Gemeinden oder Städte zusammenzuschließen, wovon jede unter Umständen selber zu den armen Kommunen gehört, weil ja beide keine Mitgift mitbrächten, sondern eben nur Belastungen."

Und obwohl die Fusionen freiwillig sind, sprechen einige Kommunalvertreter von einer "Erpressung" des Landes. Hochverschuldete Gemeinden hätten doch gar keine andere Wahl, als den Zusammenschluss, heißt es. Neben Polle und Bodenwerder gibt es in Niedersachsen derzeit drei weitere Anträge auf einen Zusammenschluss, mit 50 bis 60 Gemeinden führt das Innenministerium nach eigenen Angaben konkrete Gespräche. Einige Kommunen, etwa in der Lüneburger Heide, haben sich bereits gegen eine Fusion entschieden – etwa aus Sorge vor Identitätsverlust. Polle und Bodenwerder teilen diese Ängste nicht: Man habe immer auf Augenhöhe verhandelt und nahezu alle Beschlüsse seien einstimmig gefallen.