Birmas Geheimnissen auf der Spur

Der 1975 in der Normandie geborene Schriftsteller Christophe Ono-Dit-Biot beginnt seine Geschichte in "Die Tigerfrau" zunächst mit Figuren wie einem Journalist, einer Ärztin, Botschaftsangestellten und UN-Mitarbeitern vor der Kulisse Birmas. Dieses scheinbar vertraute westliche Ensemble entpuppt sich aber bald als Türöffner zum besseren Verständnis einer Welt permanenter Gesetzlosigkeit.
Möglicherweise könnte man sogleich grundsätzlich werden und diesem Roman Eurozentrismus vorwerfen. Muss es denn jedes Mal, so ließe sich fragen, ein westlicher Reisender sein, den es in exotische Gegend verschlägt? Brauchen wir Leser also diese Art Krücke, um uns in fremd scheinendes Territorium hineinzuwagen, und ist unsere Empathie derart vorhersehbar beschaffen, dass sie sich am besten dann aktivieren lässt, wenn es wenigstens ein bisschen um das Schicksal eines der "unseren" geht?

Wenig spricht dagegen, all diese Fragen zu bejahen – schämen muss man sich deswegen noch lange nicht. Denn selbstverständlich ist das mehr oder minder abgeschottete Birma ein Rätsel. In diese südostasiatische Tropenwelt der organisierten Paranoia stolpert nun der Pariser Journalist César, der sich kurz zuvor bei einem Strandurlaub in Thailand noch hatte anhören müssen, dass seine Freundin ihn nach all den Jahren gemeinsamer Routine-Existenz nicht mehr liebt.

Auf diffuser Suche nach wirklichen Abenteuern (inklusive einer Story, mit welcher er sich in seiner Redaktion endlich einmal bemerkbar machen könnte) verschlägt es ihn nun ausgerechnet in jenes "Land der tausend Pagoden", in die engen Straßen der Hauptstadt Rangun, dessen einstige Kolonialpracht im feuchtwarmen Klima pittoresk und moosbegrünt dahinfault. Gleich nach seiner Ankunft geht jedoch an belebter Stelle eine Bombe hoch, und unser linkischer Antiheld wäre bereits jetzt verloren gewesen, hätte er inmitten des Menschengedränges nicht die französische Ärztin Julie getroffen.

Könnte man nicht spätestens an dieser Stelle aufseufzen, alle hochliterarischen Hoffnungen fahren lassen und sich mit wohligem Schauer auf die kommenden Stunden süffiger Schmöker-Lektüre einstellen? Keineswegs. Christophe Ono-Dit-Biot, 1975 in der Normandie geboren (von da auch sein ungewöhnlicher Name), weiß genau worüber er schreibt. Und sein Verfahren, im Roman "Die Tigerfrau" zuerst einmal ein vertraut westliches Figurenensemble aus Journalisten, Ärztinnen, Botschaftsangestellten und (sexuell frustrierten) UN-Mitarbeitern vorzuführen, erweist sich bald als nicht nur erzähltechnisch äußerst geschickt, sondern auch als moralisch skrupulös.

Diese Leute mit ihren zum Teil wirren Biografien bringen César nämlich zuerst einmal bei, dass er nichts kapiert – notwendige Vorstufe jeglichen Erkenntnisprozesses. Weihen ihn in lauschigen und häufig vom Geheimdienst belauschten Cafés oder auch im Gedröhn der von "Weißen" und einheimischen Prostituierten frequentierten Discotheken in die offenen Geheimnisse Birmas ein: Denn selbstverständlich standen nicht ominöse "Oppositionelle", sondern Militärs hinter dem tödlichen Anschlag, der nun neue Vorwände für noch härtere Repression schafft. Ebenso selbstverständlich existieren im Dschungel, im sogenannten "Goldenen Dreieck", tatsächlich Opiumfelder und Drogenlabore, gibt es Warlords, mit China oder Thailand verbandelte absolutistische Klein-Fürsten in unwegsamem Gebiet.

Je mehr der Protagonist jedoch Blut leckt und "die Story" zum Greifen nah spürt, je weiter er sich aus Rangun entfernt, umso deutlicher treten seine selbstbezogenen Karriere-Befindlichkeiten zurück – die europäische Perspektive dient in diesem Ausnahme-Roman in der Tat nur als Türöffner zum besseren Verständnis einer Welt permanenter Gesetzlosigkeit. "Ich möchte", wird Julie irgendwann in einem Animistendorf sagen, "dass du alles erzählst. Wie schön es ist, wie einfach und wie zerbrechlich." Doch selbst in den Dörfern gibt es keine Idylle, ist die Macht der regierenden Raubritter-Generäle überall zu spüren.

Zumindest César wird diesen Horrortrip überleben, und wer sich als Leser am Ende dieser Geschichte dann dennoch fragt, ob er sich vielleicht nicht allzu willig dem geschmeidig beschwörenden Erzählfluss des Autors hingeben hat – nun, der könnte es ja einmal mit Alice Schwarzer versuchen. "Ich habe hier nie Hunger oder wirkliches Elend gesehen", gab die engagierte Feministin vor kurzem in der "FAZ" zu Protokoll, "ich jedenfalls freue mich auf meine nächste Birma-Reise." Christophe Ono-Diot-Biots Spannungsroman ist von dieser Art kulturrelativistischer Verständnis-Obszönität kometenweit entfernt.

Rezensiert von Marko Martin

Christophe Ono-Dit-Biot: Die Tigerfrau. Roman.
Aus dem Französischen von Michael von Killisch-Horn.
Karl Blessing Verlag, München 2008, 432 S., geb., 19,95 Euro