Biologie-Fachchinesisch für jedermann

Themen wie Gentechnik, Stammzellenforschung oder Klonen sind in aller Munde. Doch nicht jeder kann der Debatte folgen, zu kompliziert erscheint die Materie. Abhilfe will Jürgen Brater mit seinem Buch "Wie mein Hund die Biologie entdeckte" schaffen. Er erklärt die anspruchsvollen Themen der Biologie nicht nur leicht verständlich, sondern auch unterhaltsam und kurzweilig.
Sina heißt sie, ist Münsterländerin auf vier Beinen und animiert mit sanftem Winseln ihren Besitzer Jürgen Brater dreimal am Tag dazu, Arbeit oder Sofa zu verlassen und sich in die freie Natur zu begeben. Hinaus geht es bei jedem Wetter, strahlendem Sonnenschein ebenso wie prasselndem Regen, dichtem Nebel, wildem Schneetreiben oder strengem Frost. Durch Wald und Wiesen ziehen die beiden, Sina tollt umher und wittert Fährten - und Jürgen Brater, Autor, Zahnarzt und Biologielehrer an einer Abendschule, beobachtet die Natur ringsumher: den Wechsel der Jahreszeiten, die Schneedecke im Winter, das austreibende Grün im Frühling, die Blumenpracht im Sommer, die wehenden Blätter im Herbst. Dabei macht er sich so seine Gedanken - und die hat er in seinem neuen Buch zusammengefasst: "Wie mein Hund die Biologie entdeckte. Von Photosynthese bis Immunsystem: Ein Spaziergang durch das Leben".

Ein Fliegenpilz am Wegesrand, ein Rehkitz, das mit seiner Mutter durchs Feld flieht, die roten Rosen in Nachbars Garten - über alles kann Jürgen Brater staunen und eine Menge erklären. Der Fliegenpilz zum Beispiel: Brater erklärt die Wirkweise seines Giftes, landet schnell bei Nervengiften im Allgemeinen - und findet so seinen Einstieg in die Erläuterung des menschlichen Nervensystems.

Die zwitschernden Vögel bringen ihn zur Verhaltensforschung: Was ist Instinkt, was freier Wille, was leistete Konrad Lorenz, wie viel wissen wir über ein Bewusstsein bei Tieren? All diese Fragen deckt Brater ab. Die Kartoffeln auf dem Acker führen den Autor zur modernen Klontechnik - denn Kartoffeln sind genetisch identisch, sofern sie an einer Pflanze wachsen. Und schon lernen wir etwas über Dolly, das Klonschaf, über den Unterschied zwischen reproduktivem und therapeutischem Klonen und über die Methoden der künstlichen Befruchtung.

Die modernen Reizthemen der Biologie, wie Gentechnik und Stammzellenforschung, breitet Jürgen Brater präzise und differenziert aus, verteufelt weder, noch lässt er sich zu simplen Lobeshymnen hinreißen. Überhaupt ist erstaunlich, wie tief der Autor in seine Themen einsteigt. Trotz der munteren Rahmenhandlung scheut er sich nicht davor, biochemische Vorgänge ausführlich und detailliert zu erklären. Die molekulare Genetik etwa: DNA-Aufbau, Transkription, Translation, Basentripletts, genetischer Code - nichts vom gehobenen Grundlagenwissen lässt der Mediziner und Biologielehrer aus.

Schön auch, wie er die Menschen hinter der Forschung lebendig werden lässt; er lässt uns wissen, wie sie lebten und arbeiteten - Gregor Mendel, Charles Darwin oder Igor Petrowitsch Pawlow. Zeichnungen von zellchemischen Vorgängen, Glossar, Namens- und Sachregister zeigen: Jürgen Brater möchte profunde informieren. Als guter Pädagoge kehrt der Autor immer dann, wenn viel Stoff behandelt wurde, zu seinem Spaziergang mit Sina zurück, erzählt ein bisschen von Wind und Wetter, lässt uns mitlaufen, die Landschaft betrachten und Atem holen. Erst dann führt er zum nächsten Thema. Eine erstaunliche Palette an Fakten bringt der Autor auf diese Weise in seinem Buch unter - die Hälfte des Abiturwissens an Biologie ist es gut und gerne.

Allerdings - trotz der romantischen Spaziergänge von Hund und Herrchen - konzentriert Brater sich auf die moderne, synthetische Biologie: Klone, Stammzellen, Gentechnik, Nervenphysiologie, Zellstoffwechsel - alles das findet ausführlich Beachtung. Dass es auch ein anderes biologisches Wissen gibt, dass man wissen und lernen könnte, welche Bäume da wachsen, wie man Blüten voneinander unterscheidet, wie der Fuchs so lebt und was der Bussard tagsüber tut, dieses altmodische naturkundliche Wissen taucht bei Jürgen Brater nicht auf. So ist es eben wirklich Abi-Stoff, den wir lernen, Lehrbuchwissen - die moderne, von Chemie und Physik dominierte und auch begrenzte Annäherung an das Lebendige.

Rezensiert von Susanne Billig

Jürgen Brater: Wie mein Hund die Biologie entdeckte. Von Photosynthese bis Immunsystem: Ein Spaziergang durch das Leben
S. Fischer Verlag
368 Seiten, 8,95 Euro