Biographie abseits der Wahrheit

17.07.2009
Am 20. Juli jährt sich zum 75. Mal der Geburtstag des Schriftstellers Uwe Johnson. Zu diesem Anlass ist im Hörverlag eine neue Hörspielfassung seines Romans "Das dritte Buch über Achim" erschienen. Der Text handelt von dem ostdeutschen Radrennfahrer Achim und dem westdeutschen Journalisten Karsch, der über den berühmten Sportler ein DDR-freundliche Biographie schreiben soll.
"Alle trafen einander in einem Lächeln und dem Gefühl: einander seit längerem bekannt zu sein."

Dass die zentralen Figuren in Uwe Johnsons Roman "Das dritte Buch über Achim" miteinander vertraut sind, will der Autor nicht unterschlagen, aber mehr interessiert ihn, wie das Lächeln aus den Gesichtern der Beteiligten weicht und warum, als Karsch mit seiner Arbeit beginnt.

"Ich schreibe ein Buch über einen Rennfahrer."

Ausgerechnet der aus dem Westen kommende Journalist Karsch soll das dritte Buch über Achim schreiben – da die beiden bereits existierenden den Vorstellungen der staatlichen Stellen nicht genügen. Auf den Radrennfahrer Achim T., eine Legende bereits zu Lebzeiten, bildet sich der ostdeutsche Staat viel ein. Er ist so überzeugt von Achims Erscheinung, dass selbst ein aus dem Westen kommender Journalist von ihm beeindruckt sein muss. Man könnte es ein Experiment nennen: Schreibt Karsch Lobenswertes über diesen Radrennfahrer, dann würde davon auch der Staat profitieren, in dem Achim lebt. Karsch, der denken mag, was er will, muss sich beim Schreiben allerdings an gewisse Regeln halten. Was er für wichtig erachtet, muss nicht unbedingt mit dem übereinstimmen, was man auch lesen will, denn die zu schreibende Biographie hat der sozialistische Verlag für Junge Literatur bei Karsch in Auftrag gegeben.

"Die Sprache, die er verstand und mit der er verständlich über den Tag gekommen war, redete ihn noch oft in die Täuschung von Zusammenhängen hinein, wieder hielt er beide Staaten für vergleichbar, wollte in Gedanken sie reinweg zusammenlegen, da doch ein vergessenes Ladenschild oder die Sprache oder die öffentlichen Gebäude in einem Land an das andere erinnerten; dann aber gingen die Ähnlichkeiten nicht auf in einander."

Uwe Johnsons Roman "Das dritte Buch über Achim", der nun in einer Hörspielfassung des NDR vorliegt, bearbeitet von Dietmar Mues und Norbert Schaeffer, thematisiert die Unterschiede zwischen beiden deutschen Staaten, die Johnson in der Sprache offensichtlich werden lässt. Im Untertitel sollte der Roman "Beschreibung einer Beschreibung" heißen, denn der schreibende Karsch wird von Johnson bei einer Arbeit beschrieben, die nicht glücken will. Während Karsch erkennt, dass er in die Tiefe gehen muss, will er die ganze Person erkennen, genügt seinen Auftraggebern eine Oberflächendarstellung, wenn nur das Bild aufrechterhalten bleibt, das sie von Achim haben. Achim, der Züge der ostdeutschen Radrennfahrerlegende Täve Schur trägt, bleibt eine vage Gestalt.

Seine Konturen bleiben undeutlich trotz der Bemühungen seines Biographen, der versucht, ihm und der Wahrheit gerecht zu werden.

" – Vielleicht so? – So eher. – Vielleicht: Irgend wie (dachte Karsch) war sehr genau. Irgend wie war Irgend wie vielleicht auch zu beschreiben. – Warum fragen Sie immer danach, wollen Sie am Ende darüber schreiben? Karsch wollte nicht alles von Achim, sondern nur beschreiben, was ihn (nach seiner Auffassung) kenntlich machte vor den Menschen und den Radfahrern, dazu wählte er aus unter den einzelnen Teilstrecken eines Lebenslaufes, das wollte er von den Wahrheiten."

Karsch findet nicht die richtige Sprache für Achims Biographie – denn er stößt auf zu viele unterschiedliche Meinungen, die ihn an der Wahrheit zweifeln lassen.

Dieser werktreuen Hörspielfassung gelingt es trotz der Kürzungen, wesentliche Momente des Johnsonschen Textes herauszuarbeiten. Ulrich Noethen als Karsch und Thomas Nicolai als Achim legen sehr viel Wert auf sprachliche Nuancen und verschaffen so einem Roman Gehör, der zu den bedeutendsten der deutschen Nachkriegsliteratur gehört. Bemerkenswert an dieser Produktion des NDR ist die Ernsthaftigkeit, mit der sich alle Beteiligten auf die Arbeit mit dieser schnörkellosen Prosa eingelassen haben. Johnson war für einfache Urteile über die deutsch-deutschen Verhältnisse nicht zu haben. Sein Insistieren darauf, zu differenzieren, ruft diese gelungene Hörspielfassung des vor 48 Jahren erschienenen Romans in Erinnerung. Wohltuend unterscheiden sich Buch und Hörspiel von den historischen Vereinfachungen, die gegenwärtig Konjunktur haben.

"Na, Radfahren bleibt aber Radfahren."

Oder eben auch nicht.

Besprochen von Michael Opitz

Uwe Johnson: Das dritte Buch über Achim
Hörverlag, München 2009
2 CDs, 142 Minuten, 19,95 Euro