Biografie über Rudyard Kipling

Der Dschungelkönig

Das zeitgenössische Porträt von William Strang zeigt den englischen Schriftsteller Joseph Rudyard Kipling (1865-1936).
Das zeitgenössische Porträt von William Strang zeigt den englischen Schriftsteller Joseph Rudyard Kipling (1865-1936), Erfinder des "Dschungelbuch". © picture alliance / dpa
Von Irene Binal · 30.07.2015
Das "Dschungelbuch" von Rudyard Kipling ist weltweit bekannt, während der britische Autor selbst in Vergessenheit geriet. In der Biografie von Stefan Welz erscheint er als innerlich zerrissener Mann - der sich mit zunehmendem Alter im Nationalismus verlor.
Als Rudyard Kipling in den 1890er-Jahren unter dem Titel "Das Dschungelbuch" zwei Kurzgeschichtensammlungen veröffentlichte, ahnte er nicht, dass er sich gerade mit diesen Texten in die Unsterblichkeit schrieb. Kipling war damals weltbekannt, er hatte seine Jugend in Indien hinter sich gelassen und sich als "Barde des British Empire" einen Namen gemacht, hatte Gedichte und Romane verfasst und die halbe Welt bereist. Und er hatte sich mit nationalistischen Tönen viele Feinde geschaffen. Dieser umstrittenen Persönlichkeit spürt Stefan Welz in seiner Biografie nach.
Kipling ist nicht leicht zu fassen. War er als junger Journalist in Indien ein neugieriger, offener Beobachter, wurde er später zu einem vehementen Verteidiger des British Empire, einem selbsternannten "Hüter des imperialen Feuers", der mit Demokratie und den Freiheitsbestrebungen in den Kolonien nichts anzufangen wusste. Während sich Welz an Kiplings Lebensstationen entlangarbeitet, entwirft er das Bild eines Charakters, in dem sich die Brüche und Widersprüche seiner Epoche spiegeln. Kipling ist gleichzeitig weltoffen und ideologisch verblendet, er kennt verschiedene Kulturen, aber hinterfragt nie den Herrschaftsanspruch der Briten, er sorgt im Ersten Weltkrieg dafür, dass sein Sohn - der zu jung ist und zudem unter einer Sehschwäche leidet - ins Feld ziehen kann und ist untröstlich, als dieser 1917 fällt. Vielfach steht sich Rudyard Kipling selbst im Weg, und Stefan Welz vermutet dahinter "unterdrückten Selbsthass, der aus einem profunden Schuldkomplex erwachsen ist."
Texte von unbegreiflicher Geschmacklosigkeit
Solche Psychologisierungen sind zum Glück selten. Meist bleibt Stefan Welz ein zurückhaltender Biograf, der die Schwächen seines Protagonisten nicht verschweigt, aber auch nicht verurteilt. Kiplings innere Zerrissenheit spiegelt sich auch in den qualitativen Schwankungen seines Werks: Wurde er zunächst mit Dickens oder Shakespeare verglichen, glitt er in späteren Texten in heute fast unbegreifliche Geschmacklosigkeiten ab, die sich oft gegen die Deutschen richteten und Kiplings Ruf nachhaltig beschädigten. Auswüchse, die Welz nicht beschönigt, aber in den Kontext der Zeit einbettet, ohne die Achtung vor Kiplings Gesamtwerk zu verlieren: "Mit der Art seines Erzählens, dem eine universelle Dimension eigen ist, hat er Menschen aus unterschiedlichen Kulturen erreicht." Nicht umsonst erhielt Kipling 1907 als erster Brite den Literaturnobelpreis.
Leicht hat Rudyard Kipling es dem Biografen Stefan Welz nicht gemacht. Fast panisch auf die Wahrung seiner Privatsphäre bedacht, vernichtete der Autor zahlreiche Briefe und Dokumente; in seiner 1937 verfassten Autobiografie spart er wichtige Ereignisse wie den Tod seines Sohnes ganz aus. Stefan Welz hat dennoch einen Zugang gefunden und einen widersprüchlichen Schriftsteller entdeckt, der Beobachtungsgabe und Imagination dennoch auf verführerische Weise verschmelzen ließ.

Stefan Welz: Rudyard Kipling - Im Dschungel des Lebens
Verlag Lambert-Schneider, Darmstadt 2015
272 Seiten, 29,95 Euro

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