Biofeedback

Von Sigrun Damas · 03.05.2010
Die Medizin hat ein computergestütztes Verfahren entwickelt, bei dem Schmerzpatienten sehen, wodurch Schmerzen in ihrem Körper entstehen und dann lernen, wie sie willentlich darauf Einfluss nehmen können. Biofeedback heißt die Methode. Sie kann Schmerzen nicht völlig beseitigen, aber sie hilft Patienten, damit umzugehen.
Ein Leben ohne Schmerzen? Daran kann Ronis Mlodzian sich gar nicht mehr erinnern. Die 58-Jährige hat Fibromyalgie, eine rheumaähnliche Erkrankung der Muskeln und Gelenke. Sie musste deswegen ihren Beruf aufgeben. Mühsam kommt sie im Alltag mit Schmerzmitteln über die Runden.

Die helfen ihr, aber sie haben auch starke Nebenwirkungen. Deswegen schlägt ihr langjähriger Hausarzt, Bastian Steinberg, ihr heute einen ganz neuen Weg vor: Biofeedback.

"Über dieses Verfahren lernen Sie ganz gezielt, Ihre Schultermuskulatur zu entspannen. Und ich hoffe, dass wir darüber - ohne die Nebenwirkungen der Medikamente - eine Schmerzlinderung oder -befreiung erreichen können."

Eine Methode gegen den Schmerz - ganz ohne Nebenwirkungen? Die Patientin stimmt zu. Und dann geht es auch gleich los. Das Ganze wirkt erst mal recht technisch: Bastian Steinberg verkabelt die Patientin am ganzen Körper, mit Sonden, die ihre biologischen Signale messen: Anspannung der Schultermuskulatur, Herzschlag, Atmung, Hauttemperatur, Hautwiderstand.

Diese werden kabellos per Blue tooth an einen Computer geleitet, dort verarbeitet und übersetzt: auf dem Monitor erscheinen bunte Kurven. Zu sehen ist bereits jetzt: die Kurve für die Schultermuskulatur steigt sofort an. Ein Zeichen dafür, dass die Patientin aufgeregt ist. Doch es kommt noch schlimmer. Der Arzt macht einen Stresstest:

"Jetzt werd ich sie ein bisschen ärgern. Wir machen Kopfrechnen laut. Sie rechnen von 100 immer minus 7."
"100, äh... 93, äh, 86, 77, äh ..."

Der Monitor zeigt: Ronis Mlodzian reagiert körperlich stark auf Stress. Ihre Schultermuskulatur verspannt sich noch mehr, ihr Herz rast, ihre Atmung wird flach. Es ist offensichtlich: Wenn sie in Stress gerät, werden ihre Schmerzen schlimmer. Und genau das meint Biofeedback: Der Computer gibt der Patientin eine Rückmeldung über die Reaktionen ihres Körpers, und zwar über jene, die normalerweise unbewusst ablaufen. Auch der Arzt zieht daraus seine Schlüsse.

"Jeder reagiert auf Stress ganz individuell. Und deswegen ist es wichtig, dass man am Anfang beim Biofeedback erst mal eine ausführliche Diagnostik macht. Man kann ja alles Mögliche trainieren, aber ob man das erreicht, was man möchte, ist ja die Frage.

Bei Frau Mlodzian ganz speziell zeigt das, dass sie auf Stress mit vermehrter Muskelspannung reagiert. Und deswegen beginnen wir zu trainieren: Wie kann sie durch Einstellung, durch mentales Training diese Spannung abbauen."

Erstaunlich, aber die Biofeedback-Forschung hat es inzwischen gezeigt: Es ist möglich, mental, Kraft des eigenen Willens Einfluss auf verschiedene Körperprozesse zu nehmen. Sogar auf jene, die lange Zeit als autonom galten, also als nicht bewusst steuerbar.

Der Stresstest hat die Problemzone der Patientin aufgedeckt: ihre Schultermuskulatur. Jetzt soll sie lernen, ihre Schmerzen dort selbst in den Griff zu bekommen, und zwar, indem sie willentlich darauf Einfluss nimmt. Das geht über den gleichen Weg, den Computer. Damit das Üben leichter fällt, übersetzt der Computer die starke Muskelverspannung in ein Bild: Am Monitor erscheint das grimmige Gesicht einer Frau.

"Ihre Aufgabe ist es jetzt, diese Dame möglichst zum Lachen zu bringen. Es ist wichtig, dass Sie spüren: Wie kann ich das erreichen? Damit Sie das nachher auch zuhause üben können. Über diesen Weg möchten wir erreichen, dass Sie gezielt entspannen können."

Die Schmerzpatientin versucht nun los zu lassen, in den Schultern locker zu werden - und so das Gesicht zum Lachen zu bringen. Schnell merkt sie: Das ist gar nicht so einfach.

"Ich merke selbst, wenn ich anfange, bin ich verkrampft. Und wenn ich davor sitze, dass wir uns beide ein bisschen böse angucken. Aber je mehr ich zur Ruhe komme, desto mehr komme ich runter. Und dann lächelt sie mich irgendwann an."

Jedes Lächeln ist für sie Bestätigung und Motivation zugleich. Ein positives Feedback. Ronis Mlodzian bekommt so direkt vor Augen geführt, dass sie selbst etwas für sich tun kann. Ein großer Schritt für die langjährige Schmerzpatientin. Denn jetzt weiß sie:

"Dass man nicht immer zur nächsten Schmerztablette greifen soll, sondern vielleicht versuchen sollte, durch Gedanken oder eine Ruhephase runterzukommen. Und wenn es dann gar nicht geht, dann kann man ja noch immer ´ne Tablette nehmen."

Ihr Hausarzt Bastian Steinberg setzt Biofeedback seit über 20 Jahren ein. Er betont: Das Verfahren ist keine Wundermethode. Aber es kann die Schmerztherapie sinnvoll ergänzen.

"Schmerz verursacht ja ganz viele emotionale Dinge in unserem Körper. Das ist Stress, das können Depressionen und Ängste sein. Depressionen und Ängste wiederum verstärken die Schmerzwahrnehmung. Und über diesen Weg ist es wichtig, dass ich genau diese Dinge beeinflusse und damit positiv auf den Schmerz wirke."

Bei chronischen Schmerzen, vor allem bei Kopfschmerzen, hat sich die Methode gut bewährt. Studien zeigen: bei Spannungskopfschmerz kann Biofeedback genauso wirksam sein wie Medikamente. Die Stärke der Schmerzen nimmt ab, ebenso die Dauer eines Kopfschmerzanfalls. Viele Patienten sind darüber verblüfft. Wie auch Angelika Meyer. Seit ihrer Kindheit leidet sie unter starker Migräne.

"Ich hab gedacht, dass ich eigentlich nur mit Medikamenten meine Migräne verändern kann, aber nicht mit irgendwelchen Bildern im Kopf. Und das ist das Beeindruckende, dass man auf dem Monitor sehen kann, wie man das beeinflussen kann. Hätt' ich nie gedacht."

Wer Biofeedback sinnvoll nutzen will, muss allerdings bereit sein, regelmäßig zu üben. Und noch etwas:

"Er muss in der Lage sein, sich mit seinem Körper zu beschäftigen, seine Körpersignale wahrzunehmen und damit auch zu verändern. Er muss visualisieren können oder über Geräusche Körpersignale beeinflussen."

Nach etwa zehn Sitzungen haben die meisten Patienten gelernt, wie es geht und können dann ihre Entspannung gezielt abrufen, wann und wo sie wollen. Für weitere Übungseinheiten zuhause gibt es kleine tragbare Biofeedback-Geräte. Die Krankenkassen übernehmen die Kosten für Biofeedback allerdings nicht.

Jeder Arzt kann sie direkt mit seinem Patienten aushandeln. Wer sich dafür interessiert, sollte deswegen genau nach den Leistungen, der Ausbildung und der Erfahrung des Arztes fragen und dann gegebenenfalls mehrere Angebote miteinander vergleichen.