Bio-Honig aus Mexiko

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser

21:49 Minuten
Imker mit Haube steht vor einem weiten Feld
Ernesto García erntet Bio-Honig in den Bergen des mexikanischen Bundesstaates Oaxaca © Wolf-Dieter Vogel
Von Wolf-Dieter Vogel · 31.07.2019
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Wir essen Mangos von den Philippinen und Honig aus Mexiko - alles bio, alles fair. Angeblich. Aber lassen sich Produkte aus fernen Ländern, die in unseren Supermärkten landen, überhaupt kontrollieren?
Tausende Bienen schwirren aufgeregt durch die Luft und bilden eine große schwarze Wolke rund um Ernesto García und seine Kollegen. Die jungen Männer tragen weiße Overalls, über ihren Gesichtern hängen vergitterte Hauben. Die Bienen greifen sie immer wieder an. Sie mögen es nicht, wenn man ihnen den Honig abnimmt. Um die Tiere zu beruhigen, sprühen die Imker mit einer Pumpe Rauch in die Holzkästen.

Bienenstöcke dürfen nur an ausgewählten Plätzen stehen

Kasten für Kasten schleppen die vier jungen Männer die süße Ware zu ihrem Transporter. Eine harte Arbeit hier an der tropischen Küste des südmexikanischen Bundesstaates Oaxaca. Die schwüle Hitze drückt unerbittlich und die kargen Bäume bieten kaum Schatten.
Imker steht mit vielen gestapelten Kisten in einem Wald
Die Bienenstöcke dürfen nur an ausgewählten Orten stehen© Wolf-Dieter Vogel
"Ein Holzkasten wiegt netto 13 Kilo. Hier auf diesem Bienenstand stehen ungefähr 40 Stöcke. Wir holen die Waben aus den Kästen, registrieren sie genau und bringen sie dann zur Weiterverarbeitung in unseren Betrieb in Putla Villa de Guerrero."
In der Provinzstadt hat die Honig-Kooperative Itunuvico ihren Firmensitz. Heute mussten die Männer einen weiten Weg zurücklegen, um den Honig einzuholen. Vier Stunden sind sie gefahren. Für ihre Bienenstände müssen sie besonders ausgewählte Plätze suchen. Denn die Kooperative produziert Bio-Honig. Um die Ware auf dem internationalen Markt zu verkaufen, muss sie einige Kriterien erfüllen, erklärt der Itunuvico-Leiter Conrado García Riaño.
"Man sagt, bei der Bio-Produktion müssen die Bienenstöcke fernab von Städten, Müllplätzen und Mais- oder anderen Feldern stehen. Mindestens drei Kilometer von den Bienenhäusern entfernt darf es keinerlei Verschmutzung geben."
Kein chemisches Pflanzenschutzmittel, keine verunreinigten Blüten, kein verdreckter Fluss dürfe die saubere Produktion bedrohen, sagt Riaño.

Über 150 Familien leben vom Bio-Honig

Der 62-Jährige hat die Kooperative einst gegründet. Heute ernährt der Betrieb über 150 Familien. Seit 2007 verfügen die Imker über Zertifikate, um ihre Produkte als Bio-Honig zu exportieren. Mittlerweile beliefern sie vor allem den deutschen Markt. 600 Tonnen haben sie im vergangenen Jahr an einen Bio-Großhändler in Bremen verkauft.
Dafür müssen sie die Vorgaben der EU-Verordnung über ökologische und biologische Produktion erfüllen. Nicht nur der Standort muss stimmen. Auch bei der Weiterverarbeitung und dem Transport gelten strenge Regeln. Die Honig-Zentrifuge, das Lager und die Fässer müssen ohne chemische Stoffe gesäubert werden. Im Wachs dürfen sich keine Reste von Insektiziden befinden.
Wer aber kontrolliert, ob sich die mexikanischen Campesinos an die Vorgaben halten?

Zertifizierer sind vor Ort

Etwa vier Busstunden von Putla Villa de Guerrero entfernt, in der Landeshauptstadt Oaxaca de Juárez, lebt Oliver Hunkler. Der Deutsche leitet das mexikanische Büro der in Nürnberg ansässigen Firma CERES. Das Unternehmen stellt unter anderem Zertifikate für ökologischen Landbau und Bio-Lebensmittel aus. Hunkler ist ständig unterwegs. Im nördlichen Bundesstaat Chihuahua prüft er Bauern, die Walnüsse anbauen, im südlichen Chiapas kümmert er sich um Kaffee-Plantagen. Zu jedem Anbieter fährt er mindestens einmal im Jahr. Denn die Zertifikate müssen jährlich erneuert werden. Doch zunächst müssen die Betriebe sich selbst kontrollieren. Das hat wirtschaftliche Gründe, erklärt Hunkler am Beispiel der Honigbauern.
"Wir könnten das natürlich durchführen, 150 Imker befragen, zu den Bienenstöcken fahren und so weiter. Aber da wären wir dann mehrere Wochen, und das wäre dann einfach zu teuer für die Kooperative. Das wäre nicht zu bezahlen. Und von daher gibt ein internes Kontrollsystem. Das managt die Imker-Kooperative für sich selbst. Die bilden einige als Inspektoren aus. Und die gehen dann zu ihren Kollegen und schauen, inwieweit die konform nach der EU-Richtlinie, also der Bio-Verordnung arbeiten oder auch nicht."
Der Anfahrtsweg ist lang und die Ernte ist mühsam © Wolf-Dieter Vogel
Bevor sich der Inspektor auf den Weg macht, erhält er die Ergebnisse dieser betriebsinternen Kontrolle, etwa Angaben über die Erntemengen oder die Standorte der Bienenstöcke.
"Das müssen wir als Externe wieder verifizieren, ob das alles okay ist. Wir schauen dann nicht bei 150 Imkern, sondern nur nach einem Teil, das ist grob zwischen 10 und 15 Prozent. Das heißt, nach all den Dokumenten, die wir vorab bekommen haben, fährt der Inspektor dann ins Feld, schaut sich das an bzw. spricht einfach mit der Kooperative. Am Tag kann man vier bis fünf Imker besuchen, mit denen sprechen, Interviews führen, Bienenstöcke angucken. Mehr ist da nicht gegeben, einfach auch durch die Logistik, die sind ja nicht gerade ums Büro herum, sondern man muss hoch in die Berge fahren. Das sind zum Teil weite Wege, schwierige Wege."

Unangekündigte Überprüfungen gegen Manipulation

Selbstkontrolle und lang angekündigte Überprüfungen lassen viel Spielraum zur Manipulation. Gerade bei großen Kooperativen, in die Hunderte von Bauern eingebunden sind, ist diese Betrugsgefahr groß. Zertifizierungsstellen sehen deshalb weitere Kontrollmaßnahmen vor. So kann Hunkler den Unternehmen ganz unerwartet einen Besuch abstatten.
"Wir sind angehalten - also wir als Zertifizierer - auch unangekündigte Inspektionen durchzuführen. Unangekündigt bedeutet, da werden wir auch nicht anrufen, da fahren wir hin und stehen dann plötzlich vor dem Büro oder vor der Weiterverarbeitungsanlage."
In den Geschäftsräumen der Kooperative sitzt Riaño und diskutiert mit seine Kolleginnen und Kollegen über eine geplante Reise zum deutschen Abnehmer in Bremen. Die Kontrolle für das Bio-Zertifikat sei sehr aufwendig, sagt der 62-Jährige, den alle Don Conrado nennen. Alles müsse dokumentiert werden, um das Siegel zu erhalten: der Besitzer jedes Bienenstocks, der Code jedes Flurstücks, die Honig-Herkunft jedes Fasses. Zudem kostet die Zertifizierung jährlich rund 7000 Euro. Doch Don Conrado lässt sich davon nicht abhalten.
"Es ist ein großer Vorteil, Biohonig herzustellen. Dafür gibt es einen internationalen Markt, die Europäer kaufen ihn gerne. Wenn das nicht so wäre, sähe es schlecht aus. Hier in Mexiko können wir ihn nicht verkaufen. Weder teuer noch billig."

Bio-Honig schafft Arbeitsplätze - aber nur für Erwachsene

An einer Wand des Büros haben die Imker ihren Erfolg dokumentiert. "Wir schaffen Arbeitsplätze", steht dort geschrieben. Neben Zeichnungen einer Biene, eines Palmenhains und der Bremer Stadtmusikanten ist auch das Symbol des deutschen Öko-Verbands Naturland zu sehen.
"Wir haben ein Naturland-Siegel. Das verpflichtet uns dazu, dass keine Kinder arbeiten dürfen. Und wir müssen uns um Bildungsmöglichkeiten und eine Gesundheitsversorgung kümmern."
Mann mit Mundschutz säubert Honigwaben
Die Waben werden gesäubert, die Ernte war gut© Wolf-Dieter Vogel
Während die EU-Verordnung nur biologische Standards festlegt, fordert Naturland für eine Zertifizierung auch die Prüfung sozialer Kriterien. Die Imker seien da weniger problematisch als Betriebe an der mexikanischen Südgrenze, sagt Hunkler. Denn dort arbeiteten viele Migranten unter teilweise menschenunwürdigen Bedingungen auf Bananen- und Kaffeeplantagen. Um einen fairen Handel sicherzustellen, muss der Zertifizierer diese Aspekte berücksichtigen:
"Das heißt: Ist da Kinderarbeit involviert, bei der Ernte zum Beispiel? Kommen Gastarbeiter aus Guatemala? Wenn ja, inwieweit sind die dann versichert? Wenn die dann mit der ganzen Familie kommen, können dann die Kinder zum Beispiel in der Zeit auf eine Schule in Mexiko?"
Wer im Supermarkt Bananen mit dem grünen EU-Biosiegel kauft, möchte keine Früchte, die mit Pflanzenschutzmittel besprüht wurden. Und wer sich im Ökoladen für Naturland-Kaffee entscheidet, will nicht, dass die Erntearbeiter für vier Euro am Tag schuften. Aber können die Siegel das garantieren? Auch Hunkler schließt nicht aus, dass er hintergangen werden kann.

Vor Betrug kann man sich nie ganz schützen

"Ich würde mal so sagen, wenn man betrügen will, dann kann man das auch schaffen. Es ist dann schwierig für uns als Zertifizierer, denn das Jahr hat 365 Tage, bei der jährlichen Inspektion sind wir, sagen wir mal 10, höchstens 14 Tage da. Also da haben wir dann immer noch viele, viele Tage, an denen man Schmu betreiben kann, wenn man das will. Das Wichtigste für uns ist einfach, dass es auch eine Vertrauensbasis gibt mit dem Projekt, weil das anders gar nicht geht."
Aber ein zu nahes Verhältnis ist auch nicht gewünscht. Kumpelhafte Arbeitsbeziehungen sind oft der Wegbereiter für Korruption. Damit das nicht passiert, darf Hunkler nur drei Jahre hintereinander dieselben Anbieter prüfen. Danach schickt sein Unternehmen einen anderen Zertifizierer. Problematisch ist auch die geschäftliche Beziehung: Jeder zu überprüfende Betrieb ist für die Zertifizierungsstelle ein Kunde. Sind die Kontrollen zu scharf, könnten Biobauern die Kontrollfirma wechseln. Das kann die Prüfer motivieren, laxer vorzugehen.
Um sich vor Betrug zu schützen, bekommen die Inspekteure in Hunklers Unternehmen immer wieder spezielle Aufträge vom Haupthaus in Deutschland:
"Da heißt es dann zum Beispiel, man soll eine Blattprobe nehmen, wenn es Mangos sind, bei den Mangobäumen, oder im konkreten Beispiel gab es ein Problem bei einer Nussproduktion im Norden Mexikos, und da war es dann offensichtlich, dass da ein Insektizid angewandt wurde, und dann wurde der gleich dezertifiziert."

Am Ende lohnt sich die Ernte wegen des Preises

Für die Walnuss-Bauern hieß das: Zurück auf Los. Drei Jahre lang bekommen sie nun kein Zertifikat mehr. Das ist die Zeit, die auch für Neueinsteiger gilt, die auf Bioprodukte umstellen wollen. Denn so lange dauert es, bis sich chemische und andere ungewollte Substanzen abbauen.
Ernesto García im Büro der Kooperative© Wolf-Dieter Vogel
Der Imker Ernesto García José und seine Kollegen sind inzwischen mit ihrer Ernte im Firmensitz ihrer Kooperative angekommen. Es ist spät geworden. Kiste für Kiste packen sie ins Lagerhaus.
Am nächsten Morgen setzt einer der jungen Männer die Zentrifuge in Gang, um den Honig von den Waben zu trennen. Unterhalb der Maschine steht García und passt auf, dass die zähe süße Flüssigkeit sauber in die Fässer fließt. Dann zückt er seinen Taschenrechner. Der Tag hatte sich gelohnt. 1600 Kilogramm Honig haben die Imker nach Hause gebracht. Rund 4000 Euro Umsatz werde die Bio-Ernte einbringen, erklärt García. Fast doppelt so viel wie konventioneller Honig.
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