"Billys Western Soup" in der thüringischen Provinz

Von Isabella Kolar · 15.04.2009
Mir ist bewusst, dass ich mich in höchster Gefahr befinde: Ich sitze fest in einem fernen Tal in Thüringen, in dem 620-Seelen-Ort Schwarzburg, zwanzig Kilometer entfernt von Saalfeld. Ich bin – fast – der einzige Hotelgast, mein Handy verweigert den Empfang und im ganzen Ort gibt es keinen öffentlichen Internetzugang.
Ich beschließe spontan, heute Nacht lieber keinen Herzinfarkt zu kriegen, kein Lagerfeuer in meinem Hotelzimmer zu machen und mich auch sonst unauffällig zu verhalten. Hier war schließlich die ehemalige DDR, das weiß selbst ich als ahnungslose Süddeutsche.

Wenn ich mir den geblümten Teppich und die Plastikblumen im Flur anschaue und dazu diesen undefinierbaren Mief schnuppere, habe ich die Vision, dass Honecker gleich um die Ecke biegt. Stattdessen höre ich über mir die Dielen knarzen. Er ist doch schön, wenn man jeden Schritt seines einzigen Mitbewohners so genau mitverfolgen kann. Hier entkommt keiner unbemerkt. Nicht mal in die Dusche.

Der Frühstücksraum des Hotels ist ein amerikanischer Alptraum – oder Traum?: rote Plastikstühle, Fotos von Elvis und James Dean an der Wand, die überdimensionale amerikanische Flagge aufgehängt, unübersehbar direkt neben der Theke, Flipper und Coca-Cola-Schildchen ohne Ende. Die Speisekarte: Billys Western Soup, Kentucky Grilled Beef Salad oder Billy the Bear Burger. Endlich: Auch in der ehemaligen DDR ist der sogenannte Fortschritt schließlich angekommen, 20 Jahre hat's gedauert.

Schön auch die riesige Fernsehleinwand über dem Buffet: Derart zugedröhnt kommt man beim Frühstücken schon mal gar nicht auf eigene Gedanken.

Eigentlich bin ich aber hierhergekommen wegen des Goldes. Dieses Hotel wird bald zugemacht wie so viele Läden hier - es bleiben die Touristen aus: eine Region im Niedergang. Aber das Geschäft mit dem Gold, das blüht in Thüringen. 12 bis 15 000 Touristen im Jahr kommen ins benachbarte Goldmuseum und zum Goldwaschen: Der Geologe Markus Schade ist Goldsucher aus Leidenschaft, hat in Moskau studiert und kennt jedes Körnchen in jedem Bach der Gegend. Dabei geht’s ihm nicht ums Geld, sondern um die Wissenschaft. Und bei so einer Goldwäsche wollen wir ihn, seine Frau und einige Goldfans begleiten.

Ich mache Fotos von unserem potentiellen Tatort: der Unterlauf des Flüsschens Sorbitz, etwas südlich von Schwarzburg. Hier könnte man nach Gold fischen. Aber was ist mit der Technik? Haben wir hier Satellitenempfang? Da steht ein Berg im Weg. Ich zücke Kompass und Fotoapparat und mache weitere Fotos. Wenige Minuten später fährt ein Auto heran und hält: Was wir da machen, fragt uns der Besitzer eines nahegelegenen Hauses neugierig. Wir erklären. Da ist er bereit zu helfen.

Aber ein ungutes Gefühl bleibt: Hier kann man nicht mal einen Fluss in grüner Landschaft fotografieren, ohne dabei beobachtet zu werden. Auf Schritt und Tritt. Heimlich werden wir hier kein Gold finden. Dann schon lieber ganz öffentlich. Am liebsten vor vielen Ohrenzeugen an der bundesweiten öffentlich-rechtlichen Abhöranlage, dem Deutschlandradio. Honecker hätte seine Freude dran.