Billige Arbeitskräfte

Der Schlachthof ist kein Fall für Werkverträge

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Mit einem Messer schneidet ein Schlachter einen Knochen aus einem Stück Schweinefleisch.
Ist das Ausbeinen eines Schweines das Erschaffen eines Werks im Sinne eines Werkvertrags? Der Jurist und Schriftsteller Matthias Buth bezweifelt das. © imaog / Shotshop
Ein Standpunkt von Matthias Buth · 08.09.2020
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Schweine zerlegen auf der Basis von "Werkverträgen": Die Zustände in der Fleischindustrie offenbaren ein seltsames Rechtsverständnis, findet der Jurist Matthias Buth. Denn es gehe hier um die Arbeitsleistung abhängig Beschäftigter und nicht um Werke.
Wir alle lieben Werke. Sie sind es, die sich mit uns verbinden, sich vorzeigen lassen und uns überdauern. Johannes Brahms stellt bewusst an den Schluss seines Requiems den Satz aus der Offenbarung des Johannes: "Ja, der Geist spricht. Dass sie ruhen von ihrer Arbeit, denn ihre Werke folgen ihnen nach."
Jeder Jurastudent lernt im ersten Semester die Vertragstypen kennen und kann dann rasch unterscheiden zwischen Kauf-, Dienst- und Werkvertrag. Das ist nicht schwer, da im Bürgerlichen Gesetzbuch geregelt. Wer ein Werk zu erstellen verspricht, ist ein "Werkleister". Er macht ein klar definiertes Werk oder erbringt einen bestimmten Erfolg, zum Beispiel einen Tisch, ein Bauwerk oder eine Reparatur. Es können aber auch nichtkörperliche Werke wie ein Bauplan oder ein Gutachten sein.
Aber in Bundesregierung und Industrie, dort vor allem bei der Fleischverarbeitung à la Tönnies und bei den Erntehelfern in der Landwirtschaft, sind die Kenntnisse des einfachen Werkvertragsrechts entweder verschüttet oder sie werden mit großem gesetzgeberischen und sprachlichen Aufwand vernebelt.

So werden Mitbestimmungsrechte umgangen

Das Problem liegt darin, dass insbesondere aus dem osteuropäischen Ausland seit Jahrzehnten Arbeitskräfte nach Deutschland geholt wurden, um unter Umgehung von Mitbestimmungsrechten der Betriebsräte den Firmen Billigkräfte im Bau- und im Dienstleistungssektor zur Verfügung zu stellen. Ausländische Firmen mit gestaffelten Subunternehmen bringen die "Menschenware" in die Firmen, ein sklavenähnliches Verfahren.
Die Malochen der Männer und Frauen aus Polen und aus dem Balkan und nunmehr aus Rumänien, Bulgarien und der Türkei waren und sind jedoch klare Arbeitsleistungen. Die Industrie deklariert diese aber einfach als Werkverträge. Die Menschen müssen in deutschen Firmen arbeiten, werden aber nicht wie die deutschen Kollegen bezahlt, sondern von sogenannten Werkvertragsfirmen, die die armen Leute verleihen.
Das Ende der 1980er-Jahre abgeschlossene sogenannte Werkvertragsabkommen der Bundesregierung mit osteuropäischen Staaten löste das Problem nicht, sondern vertiefte es. Denn es sind ja meist ausländische Leiharbeitsfirmen, denen weiter gestattet wird, in deutschen Firmen auf fremdem Lohnzettel arbeiten zu lassen.
Die Industrieverbände sehen keinen Handlungsbedarf, für sie gehören diese eigenartigen "Werkverträge" zur unternehmerischen Entscheidungsfreiheit und zur Eigentumsgarantie. Die Coronapandemie hat die Ausbeutungsmethoden der Milliardenfirma von Herrn Tönnies heller beleuchtet.
Und was tut Hubertus Heil, der Arbeitsminister? Klar: Gesundheitsschutz wird nun hochgehalten!

Auch die Regierung arbeitet mit Schein-Werkverträgen

Aber ansonsten die alte Geschichte. Im Eckpunktepapier des "Corona-Kabinetts" vom Mai heißt es: "Ferner soll der Arbeitsschutz im Verhältnis zwischen Auftraggeber und Werkvertragsunternehmer gestärkt und besser kontrolliert werden können."
Danach ist der rumänische Schlachter am Tönnies-Fließband also "Werkvertragsunternehmer". Unglaublich!
Und ab dem 1. Januar 2021 sollen das Schlachten und die Verarbeitung von Fleisch in Betrieben der Fleischwirtschaft nur noch von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern des eigenen Betriebes zulässig sein. Dass aber überall sehenden Auges weiter von "Werkverträgen" gesprochen wird, wo doch klar ist, dass diese eben nicht vorliegen, macht ratlos.
Die Praxis der Schein-Werkverträge ist seit Jahren der Bundesregierung bekannt, sie verhält sich aber ganz ähnlich, wenn sie zum Beispiel einen politischen Beamten loswerden will. Sie setzt dann das Arbeitsverhältnis mit ihm fort, nennt es aber "Werkvertrag", denn die öffentlichen Bezüge würden ja sonst auf die Pension angerechnet. Das alles lässt am Rechtsstaat verzweifeln.
Aber, Gott sei Dank: Brahms tröstet…

Matthias Buth, Jahrgang 1951, ist Lyriker und Publizist und veröffentlichte zahlreiche Prosa- und Gedichtbände. Der promovierte Jurist war bis Ende 2016 Justiziar im Kanzleramt bei der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) und arbeitet heute als Rechtsanwalt. Im Oktober erscheint von ihm "Die weiße Pest. Gedichte in Zeiten der Corona" bei PalmArtPress.

© Quelle: privat
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