Bildungsroman

Am Ende aller Melodien

Nahaufnahme vom Körper einer Geige.
Eine Violine - Ruven Preuk spielt auf seiner Geige eine sonderbare Melodie © picture-alliance/ dpa / Lehtikuva Ismo Pekkarinen
Von Gabriele von Arnim · 16.04.2014
Vordergründig wird die Geschichte eines Musikers erzählt. Dieser wird konfrontiert mit dem mörderischen Hass der Nazis. In der Tiefe reflektiert Svenja Leiber in ihrem neuen Roman über das Verhältnis von Kunst und Moral.
Wuchtige Themen hat sich Svenja Leiber in ihrem neuen Roman vorgenommen und erzählt leuchtend und bleigrau drückend die Geschichte eines leidenschaftlichen Musikers im barbarischen deutschen 20. Jahrhundert. Nicht nur der Geiger Ruven Preuk wird von mörderischem Hass, Verrat und Krieg verwüstet, sondern fast auch die Musik in ihm.
Von einem fahrenden Geiger wird Ruven Preuk, dem Sohn eines Stellmachers in einem kargen nordischen Dorf, eines Tages die Liebe zur Musik eingehaucht. Die nun in ihm brennt und lodern will. Es dauert, bis der Vater einsieht, dass er dagegen machtlos ist und seinem Sohn erlaubt, Geigenunterricht zu nehmen. Ruven ist gut. Sehr gut sogar. Im Dorf neidet man ihm kommenden Ruhm, bevor der auch nur am Horizont aufscheint. Einen wie ihn, der nicht arbeitet sondern geigt, muss man demütigen. Und es findet sich vor allem einer, der ihm das Leben erst nur schwer macht und schließlich zerstört.
Fritz Dordel ist von seinem Vater - Ruvens erstem Geigenlehrer - aus dem Haus geworfen worden. Statt seiner nimmt der alte Mann Ruven auf. Erst in sein Herz, dann in seine Wohnung. Seither sinnt Fritz auf Vergeltung. Erst ist er nur prügelnd deutschnational, dann bei der Gestapo. Und aus dem grausigen Bengel wird ein grausamer Rächer. Der - während Ruven im Krieg ist - Macht gewinnt über dessen Frau und über die Tochter seines jüdischen Geigenprofessors, die Ruven eigentlich liebt. Ruven selber verliert ob des teuflischen Spiels seinen Kopf und sein Herz - und im Krieg fast seinen Bogenarm.
Jenseits der Verzweiflung, in einer stumpfen Leere
Das alles ist in einem kurzatmig drängenden, fast schroffen Ton erzählt - als wolle Leiber nur ja die Tragik dieses Lebens und dieses Jahrhunderts nicht im falschen Pathos ertrinken lassen. Man gerät hinein in die Geschichte und überlässt sich der Spannung, den oft so lebensklugen Bauernsprüchen, den schönen Gedanken und Dialogen über Musik und die Reinheit der Empfindung, über die hoffende Sehnsucht, die Musik könne nach der Katastrophe fortklingen.
Svenja Leiber kann nicht nur schreiben. Sie kann auch denken. Kann die Illusion der Hoffnung leben lassen neben dem Teufel Fritz Dordel, dessen Perfidie einem das Herz zerfrisst. Sie kann erzählen, wie ein Mensch jenseits der Verzweiflung in einer stumpfen Leere ankommt. Fühllos verloren. Und wie ein so zerstörter Ruven selbst fast zum hilflosen Zerstörer wird -ausgerechnet seines eigenen Kindes.
Das ist ein Roman von großer Fülle und mit einigen unübersehbaren Mängeln. Der Zufall, allgegenwärtiger Gefährte jedes Lebens, wird hier allzu oft strapaziert, um disparate Figuren zusammenzuführen. Und am Ende verliert sich die Autorin auf Nebengleisen. Flicht hier noch eine kalte Ehe ein, dort eine Begegnung aus Ruvens und Fritzens Jugend, als wolle sie, was gänzlich überflüssig ist, dem diabolischen Fritz mit persönlichen Motiven für seine Rachsucht ein menschlicheres Antlitz verleihen.
Und doch: Ein eindrucksvoller, ein bedrängender Roman. Der einen noch über das Lesen hinaus ins eigene Leben hinein begleitet oder eher verfolgt.

Svenja Leiber: Das letzte Land
Roman
Suhrkamp Verlag, Berlin 2014
309 Seiten, 19,95 Euro

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