"Bildungspolitik wird ersetzt durch eine Rangliste"

03.11.2006
Der Wiener Philosoph Konrad Paul Liessmann hat die gegenwärtige Bildungsdebatte kritisiert. Durch die "Ideologie des Wettbewerbs graben wir der eigentlichen Motivation des Lernen und des Wissenwollens das Wasser ab, nämlich der Neugier", sagte Liessmann.
Auszug aus dem Gespräch:

Gabi Wuttke: Bildung und Wissen, die wichtigste Ressource, die wir haben. In Bildung und Wissen zu investieren, heißt, in die Zukunft zu investieren. Das sind Sätze, die Konrad Paul Liessmann von der Universität Wien über alle Maßen ärgern, weil es für ihn dabei vor allem um politische und ökonomische Interessen geht, und eben nicht um das Wissen als Wert. Diese Theorie hat er jetzt in einem Buch mit dem Titel "Theorie der Unbildung" zusammengefasst. Jetzt ist Professor Liessmann zu Gast bei uns im Studio. Ich grüße Sie, guten Tag.

Konrad Paul Liessmann: Guten Tag.

Wuttke: Warum sind Bologna und Pisa für Sie nur rhetorische Gesten?

Liessmann: Naja, nur rhetorische Gesten sind’s natürlich nicht. Es stecken natürlich handfeste, auch bildungspolitische Maßnahmen dahinter. Und gerade wer – egal jetzt in welcher Situation – konfrontiert ist mit einem dieser beiden Prozesse, sei es, dass er einen Pisa-Test über sich ergehen lassen muss oder einen auswerten muss. Oder dass er wie jeder, der an einer europäischen Universität beschäftigt ist, den Bologna-Prozess implementieren muss, also eine große Strukturreform durchführen muss, weiß, dass das nicht Rhetorik ist.

Sondern es drücken sich dahinter ganz bestimmte bildungspolitische Konzepte aus, die – glaube ich schon – eine ungeheurere Veränderung und Transformation unserer Vorstellung von Bildung, von Wissen und den damit verbundenen Leitideen beinhalten. Stichwort Pisa also etwa: Polemisch könnte man das zusammenfassen, Bildungspolitik wird ersetzt durch eine Rangliste. Was mich daran sozusagen irritiert, das ist jetzt nicht, dass man nicht versucht, durch qualitative Tests herauszufinden: Wo stehen wir und wie gut wirken Bildungssysteme, sondern das diese Tests sozusagen zum Inbegriff bildungspolitischer Konzeptionen werden.

Und dass wir gar nicht genug kriegen können vom Testen: alle drei Jahre, alle Institutionen, es wird bald einen Pisa-Test für Lehrer geben, es wird bald einen Pisa-Test für Universitäten geben. Wir sind offensichtlich nur noch besessen von einer Idee, zu vergleichen, Ranglisten aufzustellen, zu bewerten. Und das halte ich bis zu einem gewissen Grad der Idee von Bildung und Wissen, vom Konzept her, eigentlich für widersprüchlich. Zunächst mir geht es so, dass der entscheidende Antrieb für etwas wissen wollen, ist ja nicht, besser sein zu wollen als ein anderer.

Ich glaube, durch diese Ideologie des Wettbewerbs – soviel Wettbewerb bewirken kann – aber durch diese Ideologie des Wettbewerbs graben wir der eigentlichen Motivation des Lernen und des Wissenwollens das Wasser ab, nämlich der Neugier. Das ist der eine Punkt. Und was Bologna betrifft, könnte man auch so polemisch sagen: Mit Bologna verbinden geschichtsbewusste Menschen die Gründung der europäischen Universitäten und die Gründung der europäischen Universitätsidee: Und das was gegenwärtig unter Bologna läuft, könnte man auch bis zu einem gewissen Grad als Verabschiedung dieser Idee auch nehmen.

Das vollständige Gespräch mit Konrad Paul Liessmann können Sie für begrenzte Zeit in unserem Audio-on-Demand-Angebot hören.