Bildung

Wie Kunststückchen aus der Gender-Linguistik

Moderation: Britta Bürger · 20.02.2014
Der Lehrerverband ist alarmiert: Statt klassisch unterteilt nach Physik, Bio und Chemie sollen Schüler in Baden-Württemberg künftig im Fach "Naturphänomene und Technik" lernen. Verbandspräsident Josef Kraus hält wenig von der Idee "Fächerübergreifender Unterricht".
Britta Bürger: Renommierte Wissenschaftler bemängeln schon länger, dass Schulabgänger heute einen Lurch nicht mehr von einer Eidechse unterscheiden könnten. Doch statt mit etwas mehr Biologieunterricht nachzuhelfen, will Baden-Württemberg das Fach gleich ganz auflösen. Unser Landeskorrespondent Michael Brandt fasst die schulpolitischen Pläne der rot-grünen Landesregierung in Stuttgart zusammen:
Die Bildungspläne in Baden Württemberg
Anzeichen von Kulturkampf beenden will Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann, doch dieser Kulturkampf ist nun mal schon da. Gestritten wird derzeit über den Umgang mit sexueller Vielfalt, aber eben auch um die Abschaffung des Biologieunterrichts. Zu den Kritikern der Bildungsplanreform gehört Josef Kraus, der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes. Herr Kraus, schönen guten Tag!
Josef Kraus: Guten Tag, Frau Bürger!
Bürger: Warum halten Sie die Pläne, Biologie, Chemie, Physik und Technik zusammenzufassen in ein neues Fach namens "Naturphänomene und Technik" für fatal?
Kraus: Ich halte viel davon, dass man Kinder möglichst früh an naturwissenschaftliches Arbeiten heranführt, dass man sie experimentieren lässt. Dass man die Neugier auch mittels Experimenten, Naturphänomene zu erschließen, zu erkunden, fördert. Aber ich halte nichts davon, wenn man das in einem Fächer-Mischmasch macht. Man entfernt sich mit einem solchen Fächer-Mischmasch letztendlich auch von der Disziplinengliederung, wie man sie dann später im beruflichen Bereich hat, wie man sie insbesondere im universitären Bereich hat. Und vor allem habe ich einfach die Sorge, dass wir gar nicht die Lehrkräfte haben, die alle drei Fächer gleichermaßen kompetent unterrichten können. In der Regel unterrichten Lehrkräfte an den weiterführenden Schulen zwei Fächer, zum Beispiel Biologie und Chemie, aber sie sind nicht unbedingt willens und in der Lage, auch noch die Physik mit reinzunehmen.
Bürger: Ja, da hat man ja auch schon gesagt, da könnten dann fachfremde Lehrerinnen und Lehrer einspringen.
Kraus: Wenn man ständig klagt, und das ist ja in der Anmoderation auch zum Tragen gekommen, dass das konkrete Wissen und Können unserer jungen Leute in den Naturwissenschaften defizitär ist, dann ist natürlich der Einsatz von fachfremden Lehrern der absolut kontraproduktive Weg.
Spezialisierung der Lehrer ist ein Hindernis für geplante Fächerstruktur
Bürger: Aber ist die Vernetzung von Wissensgebieten und Interdisziplinarität nicht etwas, was wir mehr und mehr brauchen, auch, anders als Sie sagen, später dann eben an den Universitäten und im Berufsleben.
Kraus: Richtig, ja. Aber ich kann nicht mit der Vernetzung beginnen. Um es bildhaft auszudrücken: Das Vermitteln von fachlichen Kompetenzen geschieht nach dem Prozess oder nach dem Bauplan eines Hauses. Erst müssen die einzelnen Fundamente gelegt werden, das muss hochgezogen werden, und das Dach da drüber ist dann sozusagen das Vernetzende. Um es mal etwas polemisch zu sagen, wenn ich gleich mit Vernetzung beginne, dann kann das auch leicht zu einer Vernetzung von Nullmengen werden.
Bürger: Ein Ziel soll ja sein, Mädchen auch stärker an die Naturwissenschaften heranzuführen, und wir haben da vorhin auch mit unseren Hörern drüber diskutiert. Ich weiß nicht, ob Sie die Debatte mitverfolgt haben, da rief ein ehemaliger Lehrer an, der sagte: Ja, da sei eigentlich dieses neue Fach doch genau die richtige Idee, um gerade Mädchen zu erreichen, die einfach viel organischer und viel umfassender und übergreifender lernen als diese rein technisch orientierten Jungs?
Kraus: Es ist nicht mehr so, dass die Mädchen von Haus aus eine Distanz gegenüber Naturwissenschaften haben. Wenn man sich die Fächerwahl anschaut, soweit in den reformierten Gymnasien, des achtjährigen Gymnasiums überhaupt noch Fächerwahlen in der Oberstufe möglich sind, war es die letzten Jahre immer so, dass Mädchen und junge Frauen sehr stark, sogar mit höheren Anteilen als die jungen Männer, Biologie und Chemie gewählt haben. Sie sind eher distanziert gegenüber dem Fach Physik und sind dann später eher distanziert gegenüber technologischen Fächern. Aber ich bin da eigentlich sehr zuversichtlich. Allein die Tatsache, dass wir in unseren Schulen in Deutschland immer mehr weibliche Lehrkräfte haben, immer mehr Lehrerinnen haben in diesen Fächern, glaube ich, wirkt spätestens nach einer halben Schülergeneration auch irgendwo Nachahmung infizierend.
Bürger: Sie selbst sind ja Schulleiter in Vilsbiburg, unterrichten jetzt keine Naturwissenschaften, aber haben natürlich den Überblick und auch die Stimmung im Kollegium, die interessiert mich. Sind die generell dagegen, die Bio-, Chemie-, Physiklehrer, oder gibt es doch auch da eine Spaltung?
Kraus: Ich leite ein Gymnasium, das in der fünften, sechsten Jahrgangsstufe das Fach Natur/Technik namentlich hat, wo es aber eine eindeutige Gliederung gibt. Da gibt es eine eigenständige Biologie innerhalb dieses Übertitels Natur/Technik, eine eigenständige Informatik, einen eigenständigen Anteil, was Experimentieren betrifft. Aber die Physiklehrer würden es sich nie zutrauen, hier biologisch oder chemisch ausgerichtete Experimente durchzuführen, weil man sich ja unter Umständen auch fragen stellen muss, die Kinder dann spontan und richtigerweise dann daherbringen, und es ist nicht gut, wenn hier fachfremd unterrichtet wird und die Lehrkraft möglicherweise gerade eine oder zwei Lektionen oder ein oder zwei Kapitel vor den Schülern voraus ist.
"Eine neue Ideologie, die mit den Realitäten nichts mehr zu tun hat"
Bürger: Josef Kraus, Schuldirektor und Präsident des Deutschen Lehrerverbandes im Deutschlandradio Kultur. Neben dem Biologieunterricht wird in Baden-Württemberg, haben wir eingangs schon erwähnt, ja auch noch über ein anderes Thema gestritten, dieses Referatspapier zur sexuellen Lebensvielfalt. Das besagt, kurz zusammengefasst, dass die Akzeptanz sexueller Vielfalt, von Homosexuellen also, von Bi-, Trans- und Intersexuellen in verschiedenen Unterrichtseinheiten explizit zum Ausdruck kommen soll. Sehen Sie hier irgendeinen Zusammenhang zur Abschaffung des klassischen Biologieunterrichts?
Kraus: Da kann man jetzt nur rätseln. Es gibt Gerüchte, ich konnte sie bislang nicht verifizieren, stelle sie jetzt einfach mal so in den Raum. Wenn es Zusammenhänge gäbe, dann wäre die gemeinsame ideelle oder ideologische Plattform möglicherweise die Gender-Theorie. Man weiß ja aus der Gender-Ecke, dass das Fach Biologie nicht sehr beliebt ist, weil das Fach Biologie natürlich auch insbesondere mit der Evolutionstheorie davon ausgeht, dass es die Zweigeschlechtlichkeit in der Natur ist, die letztendlich Evolution auch ausgemacht hat. Aber wie gesagt, das ist im Moment noch ein bisschen Kaffeesatzleserei. Ich hoffe nicht, dass das mit ein Motiv sein könnte, den reinen Biologieunterricht zu schmälern.
Bürger: Sie beziehen sich auf einen Artikel, der in der "Wirtschaftswoche" erschienen ist. Was spricht denn dagegen, dass diese neuen Gesellschaftstheorien, die Gendertheorien auch in den naturwissenschaftlichen Unterricht einfließen?
Kraus: Ja, weil das eine Ideologie ist, die mit den Realitäten nichts mehr zu tun hat. Weil es der Versuch ist, einen Menschen, einen neuen Menschen zu kreieren durch Sprachregelungen. Beispielsweise ist ja auch interessant, welche sprachlichen Kunststückchen man aus der Gender-Linguistik serviert bekommt. Und weil es mit der Realität der menschlichen Natur relativ wenig zu tun hat.
Bürger: In welcher Weise sollten denn Ihrer Ansicht nach die verschiedenen sexuellen Identitäten in der Schule behandelt werden?
Kraus: Natürlich müssen unterschiedliche Formen des Zusammenlebens, müssen unterschiedliche sexuelle Orientierungen in aller Objektivität und Neutralität in der Schule verankert sein. Und das sind sie ja auch üblicherweise, und zwar nicht nur im Biologieunterricht - was das rein Biologische, das Anatomische, das Physiologische betrifft, sondern natürlich auch im Zusammenhang mit Wertefragen. Darum werden Sie in allen Schulen in Deutschland, in allen Schulformen in Deutschland natürlich auch das Thema anderer, nicht heterosexueller Orientierungen finden, im Ethikunterricht, im Religionsunterricht, im Politik- und im Sozialkundeunterricht. Wo ich skeptisch werde, ist, wenn das so apodiktisch verordnet wird in einem Bereich, wo ich die Elternrechte für besonders wichtig und hoch angesiedelt halte. Es gibt ein Erziehungsrecht der Eltern, was im Grundgesetz festgehalten ist, und das ist ein hochsensibler Bereich, und da möchte ich nicht, dass der Staat zu sehr hineinregiert und zu sehr hineinfummelt.
Bürger: Biologieunterricht und sexuelle Vielfalt – Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann warnt vor einem Kulturkampf, doch der hat längst begonnen. Wir sprachen mit Josef Kraus, dem Präsidenten des Deutschen Lehrerverbandes. Herr Kraus, besten Dank fürs Gespräch!
Kraus: Danke auch, Frau Bürger!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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