Bildung von Kindern

"Das ist ein bildungspolitisches, gesellschaftspolitisches Versagen"

06:41 Minuten
An einem Zaun hängt ein Blatt Papier mit dem vielfarbigen Abdruck zweier Kinderhände.
Während der Pandemie oft geschlossen, doch auch sonst kommen Bildung und Betreuung zu kurz an Kitas. Christian Höppner warnt vor einem "Desaster". © Imago / Rolf Kremming
Christian Höppner im Gespräch mit Anke Schaefer · 24.08.2021
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Zu wenig Personal im Osten, zu wenige Kitaplätze im Westen: Die frühkindliche Bildung liegt laut einer Studie im Argen. Das sei ein bildungspolitisches Versagen mit jahrzehntelanger Ansage, meint Christian Höppner vom Deutschen Musikrat.
Mit ihrem aktuellen "Ländermonitoring Frühkindliche Bildungssysteme" lenkt die Bertelsmann Stiftung erneut den Blick auf die teils schlechte Bildungs- und Betreuungssituation an deutschen Kitas. Dabei stellt sie eine Zweiteilung fest: In den ostdeutschen Bundesländern gehen demnach 53 Prozent der unter Dreijährigen in Kitas. Im Schnitt betreut dort eine Fachkraft 5,5 Kinder. Im Westen seien aus Mangel an Plätzen nur 31 Prozent der Kleinkinder in Kitas untergebracht. Dafür sei der Personalschlüssel höher: Eine Erzieherin kümmert sich durchschnittlich um 1,5 Kinder.
Christian Höppner, Generalsekretär des Deutschen Musikrats, ist schon seit Langem alarmiert. Er selbst kennt ähnliche Studienergebnisse zum Ausfall von Musikunterricht an Grundschulen: Bis zu 80 Prozent der Stunden fielen da aus. "Das ist ein bildungspolitisches, gesellschaftspolitisches Versagen mit jahrzehntelanger Ansage", kritisiert er. "Die Kinder sind ja nicht plötzlich vom Himmel gefallen. Dass wir gerade in der Lebensphase, wo Kinder am stärksten geprägt werden von dem, was sie erleben, so versagen, das ist schon schlimm."
Christian Höppner, Generalsekretär des Deutschen Musikrates und ehemals Präsident des Deutschen Kulturrates, in der Akademie der Künste mit dem Brandenburger Tor im Hintergrund.
Christian Höppner, Generalsekretär des Deutschen Musikrates und ehemals Präsident des Deutschen Kulturrates. © Christoph Soeder/dpa/picture alliance
Es gelte, "fundamental" gegenzusteuern und "dieses Desaster" abzuwenden: mit Qualifizierung im Land, aber auch mit qualifizierter Zuwanderung. Der Quereinstieg sei dabei lediglich ein "Notnagel", sagt Höppner. So sei es nicht gut, wenn in Berlin etwa 60 Prozent der aktuell neu eingestellten Lehrerinnen und Lehrer kein Lehramtsstudium hätten. Es fehle ihnen die Fachqualifikation, auch wenn er ihnen weder Willen noch Kompetenzen absprechen wolle, wie er betont.

Gefahr für die Demokratie

Höppner sieht Deutschland auf ein Niveau "abdriften", das er so beschreibt:
"Es geht auf jeden Fall zurück in Richtung Simplifizierung, Verdummung. Ich meine, die Welt ist komplex. Sie war schon immer komplex, wir sind aber immer weniger in der Lage, diese komplexen Zusammenhänge tatsächlich auch zu erfassen und kommen immer mehr in eine Fragmentierung von Gesellschaft hinein. Das ist letztendlich auch demokratiegefährdend, was wir da betreiben."
(bth)

Christian Höppner, Jahrgang 1956, ist Cellist, Dirigent, Generalsekretär des Deutschen Musikrates und ehemaliger Präsident des Deutschen Kulturrates. Seit 1986 unterrichtet er Violoncello an der Universität der Künste in Berlin.

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