Bildung

Nebenjob Hausaufgaben

Ein Mann gibt einem Jungen Nachhilfe.
Über 70 Prozent der deutschen Eltern geben an, ihren Kindern bei den Hausaufgaben und vor Tests zu helfen. © dpa / pa / Christians
Von Svenja Pelzel  · 03.12.2013
Nachhilfeeinrichtungen gibt es wie Sand am Meer, aber die fleißigsten Nachhilfelehrer sind die Eltern - und das oft gezwungenermaßen. Viele Familien leiden darunter. Und selbst Eltern mit akademischer Bildung stoßen mitunter an ihre Grenzen.
"Paul, soll ich erst in Deutsch oder erst in Englisch fragen?"
"Erst in Englisch ist leichter für mich."
"Flash."
"Lichtblitz."
"Plug."
"Stecker müsste das sein."
Acht Uhr abends, der 13-jährige Paul und seine Mutter Astrid Kling-Hornig sitzen nach dem Abendbrot gemeinsam am Tisch, büffeln Englischvokabeln. Paul besucht seit kurzem das Gymnasium. Seine Hausaufgaben sind neuerdings so umfangreich und schwer, dass seine Eltern regelmäßig mithelfen müssen. Astrid Kling-Hornig hat sich deshalb an den letzten Abenden in Prozentrechnung vertieft, die Geschichte Otto I. wiederholt, zahllose Vokabeln abgefragt, ihrem Sohn bei einer Buchbesprechung für den Deutschunterricht geholfen. Das alles nach Feierabend.
"Klar, Eltern sollten sich auch einbringen oder am Schulleben teilhaben. Aber irgendwie dachte ich das immer auf anderer Ebene dann zu tun, eben außerschulisch oder begleitend irgendwelche Projekte. Solche Geschichten. Aber sich dann wirklich in die Hausaufgaben reinzuknien, das ist schon hart."
Von anderen Eltern weiß Astrid Kling-Hornig, dass sie und Paul keine Ausnahme sind.
"Ich gehe davon aus, dass das Schulsystem das so einplant, dass die Eltern einspringen oder eine Nachhilfe gestellt wird von den Eltern, um einiges zu kompensieren, was im Unterricht zu wenig besprochen wird, zu wenig erklärt wird. Vieles muss ja auch noch gefestigt werden und ich denke, das kommt in der Schule schon zu kurz."
Paul nickt, als seine Mutter über ihren Verdacht redet, dass Elternmithilfe im System eingeplant ist. Er hat es schon oft erlebt, dass seine Lehrer davon ausgehen, dass er den Unterrichtsstoff erst Zuhause richtig vertieft:
"Sie fangen an und reden und reden und zum Schluss sagen sie, ja das hättet ihr zu Hause alles noch mal nacharbeiten müssen oder vorbereiten müssen."
21 Uhr. Für heute haben Mutter und Sohn Feierabend. Zur Entspannung geht Paul nach oben in sein Zimmer, chattet noch eine Weile auf Facebook. Aus dem sozialen Netzwerk weiß er, dass es vielen Freunden genauso geht wie ihm.
"Man kriegt schon mit, wie die dann über Facebook sagen, ich muss jetzt zur Nachhilfe. Eigentlich ist Nachhilfe jetzt ziemlich normal geworden, ziemlich viele aus meiner Klasse gehen auch zur Nachhilfe."
"Jakob bist Du Dir denn sicher?"
"Ja, ich bin mir sicher, das kann ich gut."
"Aber schau doch mal die Tabelle am Ende, die 12 und die 3 was hat denn das zu bedeuten?"
"Naja, da geht es halt wieder runter, das ist halt eins."
Viele Familien können sich Nachhilfe nicht leisten
Auch Pauls Nachbar, der ebenfalls 13-jährige Jakob, sitzt an diesem Abend gemeinsam mit seinem Vater Uli Schulz am Kinderzimmerschreibtisch, vor sich Bücher und Hefte mit Mathe-Hausaufgaben. Wie bei Paul sind auch Jakobs Eltern Akademiker, können dem Teenager im Moment noch helfen, auch wenn beide den Leistungsdruck eher skeptisch sehen.
"Wenn das Kind von sich aus ehrgeizig ist und wenn man es abends mit Kullertränchen da sitzen sieht, weil es die Hausaufgaben nicht schafft, dann hilft man ja doch. Auch wenn man selber ihm sagt: Noten sind doch gar nicht so wichtig. Aber den Leistungsdruck den kriegt er ja in der Schule, nicht Zuhause und dann sieht man sich doch wieder gezwungen, ihm zu helfen."
Manchmal macht es ihm sogar Spaß, weil er selbst noch etwas lernt, gibt Jakobs Vater lachend zu. Aber im Allgemeinen findet er das Ganze einen unhaltbaren Zustand.
"Politiker sollten sich nicht wundern darüber, dass immer nur Akademikerfamilien Akademiker hervorbringen und dass höhere Schulen eher von Kindern besucht werden, wo die Eltern auch auf höheren Schulen waren. Das ist ja ein sich selbst verstärkender Prozess offensichtlich, dass in Arbeiterfamilien die Eltern nicht so helfen können bei den Hausaufgaben, weil sie ja selber nie Abitur gemacht haben."
200 Euro im Monat für Deutschunterricht
Chemila hat Abitur, ist studierte Lehrerin, spricht Arabisch, Französisch, Englisch und Deutsch und stammt aus Algerien. Mit Mann und vier Kindern lebt sie seit vielen Jahren in Berlin. Die drei großen sind im Moment oben in ihren Zimmern, spielen oder machen Hausaufgaben, Chemila steht in der Küche, kocht Abendessen für den Jüngsten. Ihren richtigen Namen möchte sie lieber nicht nennen, die Freunde sollen nicht unbedingt wissen, dass ihre Kinder regelmäßig Nachhilfe bekommen.
"Ich will, dass meine Kinder eine gute Arbeit haben, dass sie sich in die Gesellschaft integrieren. Studieren und weiter studieren. Für mich ist das Studium sehr, sehr wichtig."
Bis zur dritten Klasse konnte sie ihren Kindern helfen. "Jetzt geben wir manchmal 200 Euro im Monat für Nachhilfe aus, vor allem für Deutschunterricht", erzählt Chemila, während sie Hühnchenstücke in den Kartoffelbrei rührt.
"Ich kenne viele Freunde, die kommen aus meiner Heimat, die denken überhaupt nicht an eine Nachhilfe, weil sie wissen, sie können das nicht bezahlen. Aber die machen Mühe mit den Kindern. Manchmal klappt es und manchmal klappt es nicht. Das ist schwer, das ist richtig schwer für die Eltern. Die geben auf, glaube ich."
Chemila gibt auf keinen Fall auf. Ihr großer Sohn hat es gerade dank regelmäßiger Nachhilfe aufs Gymnasium geschafft. Mit den drei anderen Kinder hat sie diesen schweren Weg noch vor sich.
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