Meinung

Schüler wollen Leistung bringen

04:28 Minuten
Jungen und Mädchen melden sich bei ihrer Einschulungsfeier in der Grundschule Lankow, Mecklenburg-Vorpommern.
Schüler seien viel leistungsfreudiger als gemeinhin angenommen werde - man müsse es nur von ihnen erwarten und sie unterstützen, meint der Bildungsaktivist Michael Felten. © picture alliance / dpa / Jens Büttner
Ein Kommentar von Michael Felten  · 11.01.2024
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Lehrkräfte in Deutschland setzen oft auf eine Schonhaltung im Umgang mit Schülern, meint Michael Felten. Das findet der Bildungsaktivist falsch: Denn tatsächlich blühten junge Menschen auf, wenn ihnen etwas gelinge, sie Hürden überwinden.
Vor 25 Jahren machte ich mich daran, ein erstes Buch zu schreiben. In zwei Jahrzehnten Unterrichtsarbeit hatte ich den Eindruck gewonnen: Schüler sind viel leistungsfreudiger, als man gemeinhin denkt - man muss es nur von ihnen erwarten und sie sinnvoll unterstützen. Diese Erfahrung wollte ich gerne mit Lehrkräften und Eltern teilen.

Angst vor schwarzer Pädagogik

Womit ich nicht gerechnet hatte: 40 Verlage winkten ab. Erst nach einem Jahr stieß ich auf eine Lektorin, die meine Überlegungen für verbreitenswert hielt. Die Zurückhaltung ihrer Kollegen - so erklärte sie mir – läge nicht an der Qualität meines Textes; vielmehr würden Titel und Inhalt zu sehr nach "schwarzer Pädagogik" riechen. Kinder wollen etwas leisten - das höre sich in vielen Ohren einfach zu sehr nach inhumanem Drill, nach kapitalistischem Nutzbarmachen von Kinderseelen an, das widerspreche dem Ideal der Selbstentfaltung.
Nun, seit der Jahrtausendwende haben uns internationale Schulleistungsstudien gezeigt, dass sich die Jugend anderer Länder schulisch weitaus mehr ins Zeug legt als unsere - aber keineswegs unglücklicher ist. Beim Pisa-Sieger Estland etwa herrscht ein positives Ethos von Ehrgeiz und Disziplin. Und im fernen Japan werden Kinder schon früh und liebevoll daran gewöhnt, Aufgaben und Probleme mit großer Beharrlichkeit anzugehen.
Aber - Sie spüren es vielleicht selbst - da wehrt sich etwas in uns, das klingt einfach ein wenig hart, beinahe unpädagogisch. Viele scheint ein von Rousseau inspirierter Romantizismus zu beseelen: die Sorge, man könne kindlichen Seelen schaden, könne jugendliches Rückgrat verbiegen, wenn man als Erwachsener von Heranwachsenden verlange, dass sie sich altersgemäßen Entwicklungsaufgaben stellten. Das Ergebnis: eine verbreitete Schonhaltung im Umgang mit Schülern.

Horizontweitung und Entwicklungsanreize

Dabei geht es beim pädagogischen Leistungsbegriff nicht im Entferntesten um Profit und Entfremdung - sondern um Horizontweitung und Entwicklungsanreize. Denn tatsächlich blühen junge Menschen auf, wenn ihnen etwas gelingt, wenn sie etwas durchgestanden, Belastungen bewältigt haben. Unvergesslich die Szene in der Filmdoku "Rhythm is it!", als die Lehrerin die Probenarbeit des Choreografen unterbricht und einwendet, ihre Schüler seien schon am Limit. O-Ton einer Schülerin daraufhin: "Wieso denn, wir haben doch gerade erst angefangen!"
Obwohl der Tanzlehrer den jungen Leute einiges zumutet, macht er sich keineswegs bei ihnen unbeliebt. Ebenso hartnäckig wie humorvoll besteht er darauf, dass sie auf seine Linie einschwenken - und nicht umgekehrt.  Und so klingt auch die zentrale Bilanz des neuseeländischen Erziehungswissenschaftlers John Hattie, der Millionen Schülerdaten ausgewertet hat: „Das Wichtigste für Lehrkräfte ist, dass sie hohe Erwartungen haben."

Bildung ist kein Kinderspiel

Das heißt aber doch: Es ist eher ungünstig, wenn Lehrkräfte befriedigende Schülerbeiträge sehr gut nennen - und ungenügende gerade noch ausreichend; wenn sie ihre Klassenarbeiten immer einfacher machen, damit der Notenschnitt halbwegs akzeptabel ist. Man muss auch davon abraten, dass Eltern sich wegen jeder Rüge oder schlechten Note bei der Schulleitung beschweren. Überhaupt ist Bildung kein Kinderspiel - es scheint kontraproduktiv zu sein, das Lernen einfacher machen zu wollen.
Denn Kinder wollen nicht nur etwas leisten, sie kennen ebenso das Trägheitsprinzip, haben nichts dagegen, sich auch mal hängen zu lassen. Ein anspruchsvolles Lernklima wäre dazu das beste Gegengift. Ob aber Kultusbehörden, denen vor allem an hohen Abiquoten gelegen ist, da wohl mitziehen? Und Eltern, die das Lebensglück ihres Sprösslings ausschließlich an der Uni sehen?

Michael Felten hat 35 Jahre Mathematik und Kunst an einem Gymnasium in Köln unterrichtet. Er publiziert zu Bildungsfragen und arbeitet in der Lehrerausbildung sowie als freier Schulberater. Er ist Mitbegründer der Initiative "Bildung NRW – da geht doch mehr!".

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