Bildung als Bruch und Brücke
Ole-Morompi Ronkei ist Massai. Zur Schule gehen darf er, weil reiche Sponsoren aus dem Westen die Ausbildung finanzieren. Er macht eine steile Karriere und wird Professor für Anthropologie und Kommunikationswissenschaft in den USA und Berater der Weltbank. Doch er kehrt zurück nach Afrika. Heute ist er Chef des christlichen Hilfswerks „Compassion International“.
„In der Massai-Steppe, aus der ich komme, ist Mädchenbeschneidung die kulturelle Norm. Wie alle anderen Frauen hat auch meine Frau alle Zeremonien durchlaufen, ich selbst habe auch alle Initiationsriten empfangen. Meine Töchter sind nicht und werden nicht beschnitten, das war meine Entscheidung. Nun werden meine Kinder Teenager, haben ihren eigenen Kopf und ich verlange nicht von ihnen, sich den Traditionen zu unterwerfen. Sie wollen`s nicht, es ist unnötig und ich lasse es.“
Ole Morompi Ronkei ist ein Massai. Gehört also zu jenem stolzen Volk nomadisierender Herdenbesitzer aus Kenia, die in roten Gewändern und Kriegsbemalung, mit Speer und Schild pittoreske Spring-Tänze aufführen, sich fast ausschließlich vom Blut und von der Milch ihrer Kühe ernähren, eine polygame und extrem patriarchal-chauvinistische Familienstruktur haben und von aufgeklärten Kenianern als rückständige Wilde verachtet werden. Folkloristische Analphabeten eben, Foto-Objekte im Massai-Mara-Nationalpark, politisch nur für den Safari-Tourismus wichtig.
„Ist christliche Ethik universal gültig? Manches aus der Bibel ist offenkundig. Ich schlage meine Frau nicht, zum Beispiel. Manches, was uns empfohlen wird, ist aber gar nicht biblisch, sondern nur westlich. Also sage ich: Unterscheidet bitte präzise zwischen biblischer Ethik und westlicher Kultur. Musste meine Frau bei der Hochzeit einen weißen Schleier tragen? Nein. Verbietet die Bibel Mädchenbeschneidung? Nein! Aber: Aus dem Gesamtzusammenhang des Evangeliums verbietet es sich. Mein Welt- und Menschenbild hat sich sehr verändert, seit ich nicht mehr in meinem Massai-Dorf bin und darüber bin ich froh.“
Ole Morompi-Ronkei weiß nicht, wie alt er ist. Das Geburtsdatum in seinem Pass hat er geschätzt. Sein Vater wurde beim Kampf um Weideland von einem Speer durchbohrt, als Ole etwa sechs Jahre alt war. Aus seinem „Dorf“ – das sind schulterhohe Hütten aus Dorngestrüpp und Kuhdung-Grasmatten – kam er heraus, als Kenia unabhängig von britischer Kolonialherrschaft wurde. Präsident Jomo Kenyatta verfügte 1963, dass aus jeder Familie mindestens ein Kind zur Schule gehen müsse. Für die Massai bedeutete das : In ein weit entferntes Internat. Was Oles verwitwete Mutter unnötig und sein Großvater lächerlich fanden.
„Welches der vielen Kinder von vier oder fünf Ehefrauen eines Massaimannes schickst Du weg zur Schule? Das Unbeliebteste! Also mich. Das mickrige Bübchen, das man eh nicht zum Kühehüten gebrauchen konnte. Als ich in den ersten Ferien nach Hause kam und statt des Massai-Umhangs eine westliche Hose trug, spottete mein Großvater: Was für ein Pups- Sack!“
Im „Starehe Boys Center“ in Nairobi, einem von der anglikanischen Kirche geführten Waisenhaus mit Jungen-Internat, wird britischer Sportsgeist gepflegt. Mobbing oder gar Prügel sind verpönt, Leistungen werden nicht nur belobigt, sondern gefeiert – nach neun glücklichen Jahren gehört Ole zu den fünf besten Realschulabsolventen und schafft die anschließende High School. Angeregt vom Religionsunterricht eines italienischen katholischen Priesters im Internat und vom Zusammenleben mit evangelisch-freikirchlichen Studenten in seiner WG, entscheidet sich Ole Ronkei 1982 für die Erwachsenentaufe in der „First Baptist Church of Nairobi”. Damit ist er ein Christ geworden.
Hat ihn seine Familie für diesen Traditionsabbruch bestraft? Erstaunlicherweise akzeptierten seine Mutter, sein Großvater und seine sechs Geschwistern daheim – allesamt Analphabeten – die Konversion sofort. Denn: Ole ist der erstgeborene Sohn eines im Stammeskrieg gefallenen Dorfältesten, also eine spirituelle Autorität. Was er religiös für richtig hält, wird schon recht sein.
„Wen wundert`s, sagen die. Er spricht wie ein Weißer, er lebt wie ein Weißer, jetzt glaubt er wie ein Weißer – klar, dass der das macht, er ist ja auch der Sohn eines Laiboni, eines Dorfältesten! Sie rationalisieren es als Ergebnis einer familiär vererbten Spiritualität.“
Neben dem Studium der Kommunikationswissenschaft jobbt Ole fünf Jahre lang in christlichen Hilfswerken und Buchhandlungen, bis er das Geld für ein Studium in Eugene/Oregon, im Nordwesten der USA, zusammenhat.
Zur Thesenverteidigung seiner Doktorarbeit im Fach Anthropologie erscheint er in der vollen Montur eines Massaikriegers und – wird promoviert. Weil er inzwischen mehr als 15 Jahre lang irgendwas lernt, nimmt ihn sein jüngerer Bruder bei einem Heimataufenthalt in der kenianischen Steppe besorgt zur Seite und sagt: „Du musst in Amerika nicht endlos Deine Schulklasse wiederholen. Wir akzeptieren Dich auch als Versager. Hör dort auf und komm nach Hause.“
Die zweite große Sorge seiner Familie entkräftet Dr Ronkei im Januar 1990, als er eine Massai heiratet, die zwar in Nairobi Hotelmanagement und Tourismus gelernt hat, aber aus einem Nachbardorf im Massai-Mara-District stammt. Man feiert Hochzeit in der Baptistenkirche von Eugene/Oregon:
„Wir haben nicht den Hochzeitsmarsch von Mendelssohn-Bartholdy genommen, sondern für den Einzug unserer sieben Trauzeugenpaare – ja, aus aller Herren Länder in ihren Trachten – afrikanische Trommeln und dann, als meine Braut Renoi reinkam, Roger Whittakers Lied „My land is Kenya“. Da konnte keiner mehr die Tränen zurückhalten.“
„Legitimiert war unsere Ehe erst, als ich mich im Dorf meiner Frau von den Ältesten befragen ließ. Sie grillen Dich von allen Seiten, ob Du auch würdig bist für ihre Tochter.“
Ole und Renoi Ronkei bekommen drei Kinder in den USA. Er wird Professor, arbeitet aber für die Weltbank, prüft, bewilligt oder verhindert millionenschwere Subventionsprojekte, jettet zwischen Afrika und Amerika hin und her. Man bezieht ein schmuckes Haus in Colorado Springs, da gerät die junge Ehe in die Krise:
„Renois Assimilation war schwieriger als meine. Sie bekam Heimweh. Keine Freunde, keine Berufstätigkeit, die Kinder in der Schule – eines Tages schickte ich sie nach Hause. Und blieb mit den Kindern in den USA zurück, ja.“
Der Sohn eines Massai-Ältesten hetzt als alleinerziehender Vater zwischen Beruf und Kinderfürsorge hin- und her. Kann sich weder am hohen Einkommen noch an respektablen Stellen-Angeboten mehr freuen und trifft eine Entscheidung:
„Ich bin doch zu sehr Massai, es geht mir um mehr als den hohen Lebensstandard im Westen. Meine Seele wäre nie mehr leicht geworden. Ich hätte an der Simon-Frazier-Uni in Kanada anfangen können, es gab Angebote aus Arizona und Oregon, aber ich sagte: Nein. Du würdest nur elend da sitzen und an zu Hause denken.“
Ole Ronkei gab seine akademische Karriere in den USA und das Mandat der Weltbank auf, kehrte mit den Kindern zu seiner Frau nach Nairobi zurück und ist heute Afrika-Chef des christlichen Hilfswerks „Compassion International“, das Patenschaften für Schüler und Studenten vermittelt und in lokalen Kirchen für die Durchführung von unterrichtsbegleitenden Förderprogrammen für Kinder wirbt.
„Als ich 1997 bei Compassion anfing, fühlte es sich an wie eine Wiederholung meiner Schulzeit. Ich war ein gesponsertes Kind gewesen! Mir unbekannte Spender in Dänemark hatten neun Jahre lang mein Schulgeld bezahlt, hatten mir Briefe geschrieben. Und jetzt helfe ich Kindern aus der Armut heraus, so wie mir aus der Armut geholfen wurde. Durch Bildung. Das ist es, was ich mit ‚nach Hause kommen‘ meine …“
Bleibt noch nachzutragen: Am Ende unseres Gesprächs klappte Dr. Ronkei seinen Laptop auf, zeigte mir zwei Fotos seiner Familie und dann 150 einzelne Fotos seiner Kühe, die er draußen in der Steppe besitzt. Nach wie vor.
Ole Morompi Ronkei ist ein Massai. Gehört also zu jenem stolzen Volk nomadisierender Herdenbesitzer aus Kenia, die in roten Gewändern und Kriegsbemalung, mit Speer und Schild pittoreske Spring-Tänze aufführen, sich fast ausschließlich vom Blut und von der Milch ihrer Kühe ernähren, eine polygame und extrem patriarchal-chauvinistische Familienstruktur haben und von aufgeklärten Kenianern als rückständige Wilde verachtet werden. Folkloristische Analphabeten eben, Foto-Objekte im Massai-Mara-Nationalpark, politisch nur für den Safari-Tourismus wichtig.
„Ist christliche Ethik universal gültig? Manches aus der Bibel ist offenkundig. Ich schlage meine Frau nicht, zum Beispiel. Manches, was uns empfohlen wird, ist aber gar nicht biblisch, sondern nur westlich. Also sage ich: Unterscheidet bitte präzise zwischen biblischer Ethik und westlicher Kultur. Musste meine Frau bei der Hochzeit einen weißen Schleier tragen? Nein. Verbietet die Bibel Mädchenbeschneidung? Nein! Aber: Aus dem Gesamtzusammenhang des Evangeliums verbietet es sich. Mein Welt- und Menschenbild hat sich sehr verändert, seit ich nicht mehr in meinem Massai-Dorf bin und darüber bin ich froh.“
Ole Morompi-Ronkei weiß nicht, wie alt er ist. Das Geburtsdatum in seinem Pass hat er geschätzt. Sein Vater wurde beim Kampf um Weideland von einem Speer durchbohrt, als Ole etwa sechs Jahre alt war. Aus seinem „Dorf“ – das sind schulterhohe Hütten aus Dorngestrüpp und Kuhdung-Grasmatten – kam er heraus, als Kenia unabhängig von britischer Kolonialherrschaft wurde. Präsident Jomo Kenyatta verfügte 1963, dass aus jeder Familie mindestens ein Kind zur Schule gehen müsse. Für die Massai bedeutete das : In ein weit entferntes Internat. Was Oles verwitwete Mutter unnötig und sein Großvater lächerlich fanden.
„Welches der vielen Kinder von vier oder fünf Ehefrauen eines Massaimannes schickst Du weg zur Schule? Das Unbeliebteste! Also mich. Das mickrige Bübchen, das man eh nicht zum Kühehüten gebrauchen konnte. Als ich in den ersten Ferien nach Hause kam und statt des Massai-Umhangs eine westliche Hose trug, spottete mein Großvater: Was für ein Pups- Sack!“
Im „Starehe Boys Center“ in Nairobi, einem von der anglikanischen Kirche geführten Waisenhaus mit Jungen-Internat, wird britischer Sportsgeist gepflegt. Mobbing oder gar Prügel sind verpönt, Leistungen werden nicht nur belobigt, sondern gefeiert – nach neun glücklichen Jahren gehört Ole zu den fünf besten Realschulabsolventen und schafft die anschließende High School. Angeregt vom Religionsunterricht eines italienischen katholischen Priesters im Internat und vom Zusammenleben mit evangelisch-freikirchlichen Studenten in seiner WG, entscheidet sich Ole Ronkei 1982 für die Erwachsenentaufe in der „First Baptist Church of Nairobi”. Damit ist er ein Christ geworden.
Hat ihn seine Familie für diesen Traditionsabbruch bestraft? Erstaunlicherweise akzeptierten seine Mutter, sein Großvater und seine sechs Geschwistern daheim – allesamt Analphabeten – die Konversion sofort. Denn: Ole ist der erstgeborene Sohn eines im Stammeskrieg gefallenen Dorfältesten, also eine spirituelle Autorität. Was er religiös für richtig hält, wird schon recht sein.
„Wen wundert`s, sagen die. Er spricht wie ein Weißer, er lebt wie ein Weißer, jetzt glaubt er wie ein Weißer – klar, dass der das macht, er ist ja auch der Sohn eines Laiboni, eines Dorfältesten! Sie rationalisieren es als Ergebnis einer familiär vererbten Spiritualität.“
Neben dem Studium der Kommunikationswissenschaft jobbt Ole fünf Jahre lang in christlichen Hilfswerken und Buchhandlungen, bis er das Geld für ein Studium in Eugene/Oregon, im Nordwesten der USA, zusammenhat.
Zur Thesenverteidigung seiner Doktorarbeit im Fach Anthropologie erscheint er in der vollen Montur eines Massaikriegers und – wird promoviert. Weil er inzwischen mehr als 15 Jahre lang irgendwas lernt, nimmt ihn sein jüngerer Bruder bei einem Heimataufenthalt in der kenianischen Steppe besorgt zur Seite und sagt: „Du musst in Amerika nicht endlos Deine Schulklasse wiederholen. Wir akzeptieren Dich auch als Versager. Hör dort auf und komm nach Hause.“
Die zweite große Sorge seiner Familie entkräftet Dr Ronkei im Januar 1990, als er eine Massai heiratet, die zwar in Nairobi Hotelmanagement und Tourismus gelernt hat, aber aus einem Nachbardorf im Massai-Mara-District stammt. Man feiert Hochzeit in der Baptistenkirche von Eugene/Oregon:
„Wir haben nicht den Hochzeitsmarsch von Mendelssohn-Bartholdy genommen, sondern für den Einzug unserer sieben Trauzeugenpaare – ja, aus aller Herren Länder in ihren Trachten – afrikanische Trommeln und dann, als meine Braut Renoi reinkam, Roger Whittakers Lied „My land is Kenya“. Da konnte keiner mehr die Tränen zurückhalten.“
„Legitimiert war unsere Ehe erst, als ich mich im Dorf meiner Frau von den Ältesten befragen ließ. Sie grillen Dich von allen Seiten, ob Du auch würdig bist für ihre Tochter.“
Ole und Renoi Ronkei bekommen drei Kinder in den USA. Er wird Professor, arbeitet aber für die Weltbank, prüft, bewilligt oder verhindert millionenschwere Subventionsprojekte, jettet zwischen Afrika und Amerika hin und her. Man bezieht ein schmuckes Haus in Colorado Springs, da gerät die junge Ehe in die Krise:
„Renois Assimilation war schwieriger als meine. Sie bekam Heimweh. Keine Freunde, keine Berufstätigkeit, die Kinder in der Schule – eines Tages schickte ich sie nach Hause. Und blieb mit den Kindern in den USA zurück, ja.“
Der Sohn eines Massai-Ältesten hetzt als alleinerziehender Vater zwischen Beruf und Kinderfürsorge hin- und her. Kann sich weder am hohen Einkommen noch an respektablen Stellen-Angeboten mehr freuen und trifft eine Entscheidung:
„Ich bin doch zu sehr Massai, es geht mir um mehr als den hohen Lebensstandard im Westen. Meine Seele wäre nie mehr leicht geworden. Ich hätte an der Simon-Frazier-Uni in Kanada anfangen können, es gab Angebote aus Arizona und Oregon, aber ich sagte: Nein. Du würdest nur elend da sitzen und an zu Hause denken.“
Ole Ronkei gab seine akademische Karriere in den USA und das Mandat der Weltbank auf, kehrte mit den Kindern zu seiner Frau nach Nairobi zurück und ist heute Afrika-Chef des christlichen Hilfswerks „Compassion International“, das Patenschaften für Schüler und Studenten vermittelt und in lokalen Kirchen für die Durchführung von unterrichtsbegleitenden Förderprogrammen für Kinder wirbt.
„Als ich 1997 bei Compassion anfing, fühlte es sich an wie eine Wiederholung meiner Schulzeit. Ich war ein gesponsertes Kind gewesen! Mir unbekannte Spender in Dänemark hatten neun Jahre lang mein Schulgeld bezahlt, hatten mir Briefe geschrieben. Und jetzt helfe ich Kindern aus der Armut heraus, so wie mir aus der Armut geholfen wurde. Durch Bildung. Das ist es, was ich mit ‚nach Hause kommen‘ meine …“
Bleibt noch nachzutragen: Am Ende unseres Gesprächs klappte Dr. Ronkei seinen Laptop auf, zeigte mir zwei Fotos seiner Familie und dann 150 einzelne Fotos seiner Kühe, die er draußen in der Steppe besitzt. Nach wie vor.