Bildhauerei

Von Manfred Eichel |
Tony Cragg ist ein Superstar. In der internationalen Bildhauerei gehört er zu den Top Ten. Deshalb ist es keine Koketterie, wenn er bekennt, nicht zu wissen, welche Stadt die größte Sammlung seiner Skulpturen hat - London oder New York oder Paris oder vielleicht doch Tokyo?
Vor fünf Jahren waren die Berliner stolz, dass der prominente Engländer als Dozent an die UdK, an ihre "Universität der Künste", kam. Jetzt trauern sie ihm nach, dass er schon wieder geht – wie so viele andere Kunstprofessoren auch. Die gingen aus Protest, weil ihnen an Europas größter Kunsthochschule vieles zu preußisch-kleinkariert vorkam. Oder sie gingen – in Pension. Zumindest das hätte man voraussehen und verhindern können. Doch weil gespart werden musste, schlossen die Verantwortlichen in der UdK einfach die Augen und kümmerten sich nicht rechtzeitig um Neuberufungen. Kein Wunder, dass die Berliner Kunststudenten sauer sind: Ihnen fehlen bald die Lehrer. Sie protestierten spektakulär.

Bisher hatten auf den UdK-Sommerfesten die Kunst-Professoren Jahr für Jahr Besucher in ihre Klassenräume gelassen. Um stolz vorzuführen, welche jungen Talente sie da gerade heranzüchteten. In diesem Jahr waren die Klassen geschlossen. Oder sie zeigten beschämend kahle Wände.

Kunst-Flaneure, die das Sommerfest und den Studiorundgang immer als willkommene Entdeckungs-Touren angesehen hatten, waren enttäuscht. Vor allem, weil einige Klassen immer besonders attraktiv waren. Beispielsweise die von Tony Cragg. Der geht zwar nicht im Zorn und auch nicht in Pension, sondern aus Bequemlichkeit – weil die Düsseldorfer Kunsthochschule näher zu seinem Wohnort Wuppertal liegt als zu Berlin. Doch seine zurückbleibenden Studenten müssen unter dem Professorenmangel demnächst genauso leiden wie ihre anderen Kommilitonen. Deshalb fiel auch ihre Präsentation aus, schadete dem Ruf der UdK, aber leider auch ihnen selbst. Weil sie niemanden auf sich aufmerksam machen konnten.

Was vor einigen Wochen ausgefallen war, kann nun nacherlebt werden – auf einer sehr viel größeren Ausstellungsfläche. Die hatte Karin Pott, die künstlerische Leiterin des "Hauses am Lützowplatz" den Schülern und Meisterschülern Tony Craggs angeboten. Und die haben die Chance ergriffen - und eine hinreißende Kunst-Show hingelegt. In sieben Räumen und im Garten führen sie nun exemplarisch vor, was Bildhauerei in unseren Tagen alles sein kann – nämlich nicht nur Skulptur und Plastik, nicht nur Installation und Zeichnung. Die Kunst der Cragg-Schüler berührt auch den Film, die Musik und die Wissenschaft.

Die raumgreifendste Arbeit hat Johannes Weiss geschaffen: fünf Skulpturen, die er auf drei Tischgestelle platziert hat. Das ganze Ensemble ist eine Komposition, die streng auf die Maße des Raums reagiert. In den Einzelstücken winden sich kompakte Bleistiftschlangen durch Tafelplatten. Da scheinen die Dinge lebendig geworden zu sein.

Das Künstlerpaar La Pacheca & Zoche hat einen besonders zauberischen Raum geschaffen. Die Künstler haben bunte Plastillin-Wülste auf die Wände gesetzt. Sie mixen organische mit technischen Figuren und schaffen einen wunderbar poetisch-heiteren Raum.

Anna-Kavata Mbiti hat neben drei schwarze, elegante Holz-Skulpturen riesengroße Zeichnungen gehängt. Auf denen halten halbnackte pin-up-girls wilde Hunde an Leinen fest. Den Titel "Shoot me if you can" kann man als bedrohlich empfinden - aber auch als sexuelle Aufforderung.

Ganz meditativ dagegen die plastischen Arbeiten von David Winkler. Als einziger der Cragg-Studenten arbeitet er figürlich. Doch da seine Gestalten in komplizierte Yoga-Übungen verschränkt sind, irritieren auch sie. Volker Seifried, der Assistent des Meisters, ist mit seiner Kunst in die Wissenschaft vorgestoßen. Er zeigt Zeichnungen von Bildern, die man mit geschlossenen Augen sieht - Bilder, die der Körper selbst erzeugt.

Björn Kollin baut schließlich Maschinen, die Musik erzeugen und Leon Manoloudakis stapelt aus Holzpaletten immer neue Architekturen – mal Treppen, mal Türme. Das Ganze hat er von sechs Kameras filmen lassen. Im Zeitraffer-Tempo lässt er uns das dann nacherleben und man sieht: Die Skulpturen bewegen sich.

Schließlich: Alexandros Avranas hat sich in der Bildhauerklasse des Tony Cragg zum Filmregisseur entwickelt. In der Ausstellung führt er zwei spannungsvolle Kurzfilme vor. Doch schon im nächsten Jahr dreht er in Griechenland seinen ersten Kinofilm.

Acht seiner Meisterschüler hat Tony Cragg für diese Leistungsschau ausgewählt. Sie alle haben sind auf die unterschiedlichste Weise zu höchst originellen Künstler geworden. Keiner von ihnen ist ein Kopist seines Meisters geworden. Wahrscheinlich ist genau das der Grund, weshalb Cragg auf sie so stolz ist. Die Ausstellung im Berliner "Haus am Lützowplatz" zeigt junge, höchst bemerkenswerte Kunst noch bis zum 29. Oktober.


Manfred Eichel, Historiker, Kunst- und Literaturwissenschaftler, journalistische Stationen "Spiegel", NDR-Fernsehen und ZDF, dort lange Jahre Chef "Aspekte", 2000-2003 Chefkorrespondent Kultur im Berliner ZDF-Hauptstadtstudio, seit 1988 Professor an der UdK Berlin im Studiengang Kulturjournalismus.