Bilderrätsel als Kochrezepte

Carl Spitzweg ist vielen nur als Porträtist einer scheinbaren Biedermeier-Idylle bekannt. Dass er aber auch ein anspielungsreicher Spötter war, zeigt sich auch in der Rezeptesammlung, die Spitzweg seiner Nichte zur Hochzeit schenkte und mit allerlei Rätselbildern, Zeichnungen und collagenartigen Illustrationen versah. Die Anspielungen und Details werden kenntnisreich erklärt und machen dies Buch zu einem wahren Lesevergnügen.
Ein Bilderrätsel: Das Foto einer Biedermeier-Wanduhr, auf vergilbtes, holziges Kanzleipapier geklebt, links dran klebt ein großes S, rechts das Wort Fleisch. Und das in einem Kochbuch? Die Lösung steht drunter: "Suhr=Fleisch". Samt einem Sauerbraten-Rezept, bei dem uns Kindern von Kühlschrank und Konservendose mittleres Würgen befällt: Ein "ungewaschener" Kalbsschlegel dümpelt mit Salpeter, Salz, Knoblauch und Wacholderbeeren wochenlang in Wasser, bevor er gekocht und kalt verspeist wird.

Ein Nachtisch gefällig? Wieder ein Rätselbild: zwei längliche Formen auf gelbem Karton. Fußabdrücke vom Yeti? Schuhlöffel mit Schaufeln an beiden Enden? Die Notiz scheint darauf hinzudeuten: "Photographie nach der Natur". Auch das Bild klebt auf nämlichem Kanzleipapier. Das Rezept verrät, was da seinen Abdruck hinterlassen hat: zwei Stück "Löffel=Bisquit".

Den doppelt-feinen Spott auskosten kann zwar nur, wer ein bisschen über den Spötter weiß. "Nach der Natur malen" war zu der Zeit, als Carl Spitzweg erbschaftsgestützt beschloss, nicht mehr Apotheker zu sein, sondern Maler zu werden, verpönt. Der brave akademische Maler der 1830er Jahre malte Historisches und verachtete Natürliches.

Der "schmalbrüstige kleine Apotheker" dagegen war Autodidakt. Als er etwa 45-50 Jahre später dieses wundersame, urkomische "Koch- und Haushaltsbuch" für die Tochter seines einzigen noch lebenden Bruders zusammenstellte, war er dank geschicktem Marketing nicht nur etabliert, er war längst auch zu akademischen Ehren gekommen. Und jetzt stand eben eine neue Kunst unterm Generalverdikt der "Kunstlosigkeit", die Fotografie.

Aber man muss das alles nicht wissen, man muss auch nicht mehr Sütterlin lesen können: Die Rezepte sind nebendran in nüchterne Drucklettern übersetzt, und auf den folgenden Seiten finden sich "Gegen-Bilder" aus dem reichen Spitzwegschen Oeuvre und Erläuterungen zu Anspielungen, Details, Materialien und Quellen.

Man kommt aus dem Staunen nicht raus - und aus dem Kichern und Glucksen vor Vergnügen. "Marmelade von Kirschen", heißt es in herrlich unheiligem Ernst, "wird genau so bereitet wie die Erdbeeren-Marmelade: nur mit dem Unterschied, dass anstatt der Erdbeeren Kirschen genommen werden, was wohl zu beachten." Es hagelt Wortwitze, Dialektspielereien und einfach komische Schreibweisen: "a Schmarren!" heißt die Süßspeise zum Bild schwadronierender Mönche. Oder: "'Rohs=Bif' (bayerisch) anderwärts heißt man's auch zuweilen rost boeuf." Oder: "Schüh - die Franzosen schreiben 'jus' sprechen aber auch wie wir: 'Schüh'!" Dazu vier Knöpfstiefelchen, jedes mit Gänsefüßchen oben drauf. Schüh, eben.

Die meisten Illustrationen sind Collagen. Manche muten an wie von Hannah Höch, also wie Dada pur - voll ironischem, sogar politischem Doppelsinn, hinterfotzig. Das soll Spitzweg sein? Dieser Pop-Artist krähwinkliger Idylle? Dieser Ikonograph humoriger Spießigkeit, dessen "Armer Poet" so allbekannt ist wie sonst nur noch da Vincis "Mona Lisa"? Ganz recht: Das ist Spitzweg, und es wird Zeit, ihn aus der Schublade zu befreien, in die ihn die unselige deutsche Komik-Phobie geklemmt hat.

Kenner wie der Herausgeber Jens Christian Jensen arbeiten schon lange dran, und das Museum Georg Schäfer in Schweinfurth, zu dessen Sammlung auch dieses Kleinod gehört, knüpft gerade weiter am Netz zum Heben verleugneter deutscher Komikschätze: Bis November läuft noch die Ausstellung "Carl Spitzweg und Wilhelm Busch - zwei Künstlerjubiläen". Dem Dezimalsystem sei's gedankt: Vor 200 Jahren ist Spitzweg geboren, vor 100 Jahren Busch gestorben.

Der Katalog, herausgegeben von der Museumsleiterin Sigrid Bertuleit und Hans-Joachim Neyer, dem Direktor des Wilhelm-Busch-Museums, ist im selben Verlag erschienen wie Spitzwegs 31 Koch-Komödien.

Rezensiert von Pieke Biermann

Carl Spitzweg: Koch- und Haushaltsanweisungen für seine Nichte Line
Neu herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Jens Christian Jensen
E. A. Seemann Verlag, Leipzig 2008
138 Seiten, reich illustriert, 19,90Euro