Bilderatlas der modernen Welt
Von Christian Gampert · 05.10.2011
Er malt wie besessen und zählt zu den wohl produktivsten Künstlern des 20. und 21. Jahrhunderts. Dabei hat Erró ein voluminöses Werk geschaffen, das sich den üblichen Kategorien verweigert. Mit "Scapes" und "Monsters" sind seine wohl bekannteste Zyklen jetzt in Frankfurt zu sehen.
Isländer sollen ja, so geht die Sage, eher schweigsame und zurückhaltende Menschen sein. Insofern ist Erró, der mit bürgerlichem Namen Guômundur Guômundsson heißt, ein eher untypischer Vertreter seines Heimatlands (das demnächst auch auf der Frankfurter Buchmesse in extenso vorgestellt wird).
Ein redseliger, aufgekratzter älterer Herr sitzt einem in der Schirn gegenüber, kaum glaubliche 79 Jahre ist er alt, und beginnt zu erzählen – und es geht vor allem darum, wie viel Glück er in seinem Leben gehabt habe und wie gut es ihm heute noch geht.
"Ich hab die letzten 40 Jahre meines Lebens in Paris gelebt, aber im Grunde wohne ich an drei verschiedenen Orten: Ich habe noch ein Haus in Thailand und eins in Formentera, auf diesen wunderbaren Felsen. Ich hab einfach Glück gehabt im Leben."
Betrachtet man dagegen die großformatigen Bilder, die nun in der Schirn hängen (die Normgröße ist 2x3 Meter, das größte ist über 13 Meter lang), dann kann von Glück keine Rede mehr sein. Es springt einen eher das Horror vacui an, die Angst vor der Leere: so manisch, wie Erró den Gesprächspartner mit Erfolgsmeldungen überschüttet, so manisch malt er auch seine Leinwände voll.
Im Grunde ist die Überproduktionskrise der westlichen Gesellschaften sein Thema, das Zuviel an Autos, Essen, Sex und Trash. Seine Bilder sind folglich riesige Müllhalden, wollen aber als Landschaften durchgehen, als "Scapes". Ein Bild voller Flugzeuge nennt sich "Planescape", ein künstlich aufgehäufelter Autofriedhof "Carscape", ein Bild, wo nackte Frauen vor Alpenkulisse von allerlei Getier besprungen werden und sich diesem anverwandeln, "Lovescape". Das alles sieht aber aus wie in einem Spielzeugladen und ist grellbunt angestrichen, als hätte einer Details aus tausend Comic-Heften ausgeschnitten und dann abgemalt. So ähnlich geht das wohl tatsächlich. Erró sammelt, fotografiert, projiziert – und malt dann ab. Die Themen und einzelnen Versatzstücke können problemlos gewechselt werden, es geht ja um große Ganze, das globale Gewusel.
"Ich arbeite sehr schnell. Ich benutze eine gleitende Projektionstechnik, so dass ich das Design ständig ändern kann. Aber es geht sehr schnell. Ich benutze auch Farben, die sehr schnell trocknen. Ich male mit enormer Geschwindigkeit."
Catch as much as you can: Mehrere tausend Bilder hat Erró im Laufe seines Lebens zustande gebracht, darunter riesige dekorative Wandgemälde für die Expo in Lissabon, aber auch Bilder gegen den Krieg und für die Dritte Welt. In Frankfurt sieht man neben Auto- und Flugzeugfriedhöfen wandbreite Fischberge, die von Fallschirmspringern beschossen werden, Atlanten etablierter Comic-Figuren und Berge menschlicher (unter anderem) Verdauungs-Organe, die schön mit den Supermarkt-Fressauslagen korrespondieren. Daneben dann quallige oder tintenfischige Vegetationen, die bei Erró das sympathische Nervensystem bilden.
So hängt halt alles zusammen, Innen und Außen, Essen und Verdauen, Krieg und Frieden. In einem zweiten Ausstellungsteil werden sogenannte Doppelportraits gezeigt, wo einer bekannten Persönlichkeit stets ein Monster aus dem Kopf wächst, wobei es egal ist, ob es sich um Goebbels oder van Gogh, Stalin oder Beethoven handelt.
Die ganze Welt ist also ein Klischee und besteht aus medial präformierten Einzelteilen, die irgendwie strukturlos durcheinander wabern. Wer vor einem Erró-Gemälde steht, könnte auch auf die Idee kommen, hier seien lauter Tattoos in die Leinwand geprägt worden. Dabei hat der Mann eine solide Ausbildung: Kunstakademie Oslo, fünf Jahre Florenz, Diplom in Mosaik-Restaurierung. Ab den 1960iger Jahren flirtete er mit der Pariser Bohème, aber mehr noch mit der New Yorker Pop-Art.
"Als der amerikanische Kritiker Arthur Danto meine Arbeiten zum ersten Mal sah, nannte das barocken Pop. Das schmeichelt mir, denn meine Lieblingskünstler sind Rubens und Tintoretto. Es sind nicht Lichtenstein und Andy Warhol."
Wahr ist, dass Erró stets gut vernetzt war und dass seine überbevölkerten Leinwände ihm ein Alleinstellungsmerkmal verschafft haben. Ist er Surrealist, Science-Fictionalist? Er selbst nennt, was er tut, "narrative Figuration" - obgleich er gar nichts zu erzählen hat. Er reiht einfach nur auf.
In der Frankfurter Ausstellung gibt es auch noch ein paar Erró-Filme, auf denen Künstler Grimassen schneiden, und ein paar Comic-Wände, die gegen Ronald Reagan und böse Träume argumentieren. Errós Bilder erscheinen verblüffend oft in Schulbüchern; sieht man sie im Museum, dann sehnt man sich eher nach den weißen Weiten Islands, seiner Heimat. Erró selber aber ist unerbittlich: das beste Bild ist immer das nächste.
Ein redseliger, aufgekratzter älterer Herr sitzt einem in der Schirn gegenüber, kaum glaubliche 79 Jahre ist er alt, und beginnt zu erzählen – und es geht vor allem darum, wie viel Glück er in seinem Leben gehabt habe und wie gut es ihm heute noch geht.
"Ich hab die letzten 40 Jahre meines Lebens in Paris gelebt, aber im Grunde wohne ich an drei verschiedenen Orten: Ich habe noch ein Haus in Thailand und eins in Formentera, auf diesen wunderbaren Felsen. Ich hab einfach Glück gehabt im Leben."
Betrachtet man dagegen die großformatigen Bilder, die nun in der Schirn hängen (die Normgröße ist 2x3 Meter, das größte ist über 13 Meter lang), dann kann von Glück keine Rede mehr sein. Es springt einen eher das Horror vacui an, die Angst vor der Leere: so manisch, wie Erró den Gesprächspartner mit Erfolgsmeldungen überschüttet, so manisch malt er auch seine Leinwände voll.
Im Grunde ist die Überproduktionskrise der westlichen Gesellschaften sein Thema, das Zuviel an Autos, Essen, Sex und Trash. Seine Bilder sind folglich riesige Müllhalden, wollen aber als Landschaften durchgehen, als "Scapes". Ein Bild voller Flugzeuge nennt sich "Planescape", ein künstlich aufgehäufelter Autofriedhof "Carscape", ein Bild, wo nackte Frauen vor Alpenkulisse von allerlei Getier besprungen werden und sich diesem anverwandeln, "Lovescape". Das alles sieht aber aus wie in einem Spielzeugladen und ist grellbunt angestrichen, als hätte einer Details aus tausend Comic-Heften ausgeschnitten und dann abgemalt. So ähnlich geht das wohl tatsächlich. Erró sammelt, fotografiert, projiziert – und malt dann ab. Die Themen und einzelnen Versatzstücke können problemlos gewechselt werden, es geht ja um große Ganze, das globale Gewusel.
"Ich arbeite sehr schnell. Ich benutze eine gleitende Projektionstechnik, so dass ich das Design ständig ändern kann. Aber es geht sehr schnell. Ich benutze auch Farben, die sehr schnell trocknen. Ich male mit enormer Geschwindigkeit."
Catch as much as you can: Mehrere tausend Bilder hat Erró im Laufe seines Lebens zustande gebracht, darunter riesige dekorative Wandgemälde für die Expo in Lissabon, aber auch Bilder gegen den Krieg und für die Dritte Welt. In Frankfurt sieht man neben Auto- und Flugzeugfriedhöfen wandbreite Fischberge, die von Fallschirmspringern beschossen werden, Atlanten etablierter Comic-Figuren und Berge menschlicher (unter anderem) Verdauungs-Organe, die schön mit den Supermarkt-Fressauslagen korrespondieren. Daneben dann quallige oder tintenfischige Vegetationen, die bei Erró das sympathische Nervensystem bilden.
So hängt halt alles zusammen, Innen und Außen, Essen und Verdauen, Krieg und Frieden. In einem zweiten Ausstellungsteil werden sogenannte Doppelportraits gezeigt, wo einer bekannten Persönlichkeit stets ein Monster aus dem Kopf wächst, wobei es egal ist, ob es sich um Goebbels oder van Gogh, Stalin oder Beethoven handelt.
Die ganze Welt ist also ein Klischee und besteht aus medial präformierten Einzelteilen, die irgendwie strukturlos durcheinander wabern. Wer vor einem Erró-Gemälde steht, könnte auch auf die Idee kommen, hier seien lauter Tattoos in die Leinwand geprägt worden. Dabei hat der Mann eine solide Ausbildung: Kunstakademie Oslo, fünf Jahre Florenz, Diplom in Mosaik-Restaurierung. Ab den 1960iger Jahren flirtete er mit der Pariser Bohème, aber mehr noch mit der New Yorker Pop-Art.
"Als der amerikanische Kritiker Arthur Danto meine Arbeiten zum ersten Mal sah, nannte das barocken Pop. Das schmeichelt mir, denn meine Lieblingskünstler sind Rubens und Tintoretto. Es sind nicht Lichtenstein und Andy Warhol."
Wahr ist, dass Erró stets gut vernetzt war und dass seine überbevölkerten Leinwände ihm ein Alleinstellungsmerkmal verschafft haben. Ist er Surrealist, Science-Fictionalist? Er selbst nennt, was er tut, "narrative Figuration" - obgleich er gar nichts zu erzählen hat. Er reiht einfach nur auf.
In der Frankfurter Ausstellung gibt es auch noch ein paar Erró-Filme, auf denen Künstler Grimassen schneiden, und ein paar Comic-Wände, die gegen Ronald Reagan und böse Träume argumentieren. Errós Bilder erscheinen verblüffend oft in Schulbüchern; sieht man sie im Museum, dann sehnt man sich eher nach den weißen Weiten Islands, seiner Heimat. Erró selber aber ist unerbittlich: das beste Bild ist immer das nächste.