Bilder von Familien

Von Jochen Stöckmann · 09.01.2008
Der Fotograf Thomas Struth wurde mit Fotografien von Häuserschluchten und urbanen Straßenszenen bekannt. Danach reizte es ihn, Familien auf der ganzen Welt zu fotografieren. Die in der SK Stiftung Köln ausgestellten Bilder verraten viel über Distanzen und vertrauliche Nähe, emotionale Abhängigkeiten und Machtverhältnisse der einzelnen Familienmitglieder.
Der Fotograf Thomas Struth schaut gerne bei Freunden und Bekannten, in anderen Familien vorbei. Dabei sind im Laufe der Jahre in Schottland, England, Japan, Italien, Deutschland, China, Amerika oder Peru regelrechte Familienporträts entstanden, weniger Souvenirs als analytisch-sachliche Dokumente vom "Familienleben" in verschiedenen Kulturen, zu unterschiedlichen Zeiten.

Die Familien, die Struth porträtiert, sind ihm privat vertraut oder stehen dem Fotografen - mit Vertretern aus dem Kunst- und Kulturbereich - beruflich nahe. Insofern erzählen die Fotografien auch etwas über den Künstler und das von ihm gewählte Lebensumfeld. Bis zu 60 Negative werden bei solch einem Treffen belichtet, wobei später gemeinsam eine Auswahl getroffen wird, nur ein oder zwei Aufnahmen gelangen zur Vergrößerung. In jedem seiner Familienbilder sucht Struth der Gruppe eine einzigartige Gestalt zu geben, geschaffen durch den gegenwärtigen Augenblick, in dem sich die Geschichten und Einzelschicksale der Dargestellten verbinden und kristallisieren. Sie machen Lebensformen sichtbar, die sich aus hierarchischen oder egalisierenden Kräften und Temperamenten, aus freudigen, traurigen, ernsten oder verdeckten Stimmungen zusammensetzen.

Mit dem Anspruch, nicht allein Auskunft über die jeweils individuelle Situation der Abgebildeten zu geben, sondern zeitgeschichtlich relevante, undogmatisch künstlerische Botschaften über das Entstehen und die Veränderung von Lebensumständen, Beziehungen und Umgangsformen zu vermitteln, steht Thomas Struth in einer bedeutenden kunstgeschichtlichen Tradition, wagt aber auch etwas Neues. Zu sehen in der Kölner SK Stiftung Kultur bis zum 20. April.


Regelrecht mit dem Rücken an die Küchenwand gedrängt stehen da 14 Chinesen, eine Großfamilie auf der Guckkastenbühne eines winzigen Appartements. Dann der Blick auf drei Generationen in Deutschland: Großvater, Vater und der bereits erwachsene Sohn überaus korrekt gekleidet, fast steif, tragen als ruhende Pole das Gruppenbild mit quirligen Enkeln, die durch eine großzügige Wohnlandschaft tollen. Schließlich der Blick auf eine kunterbunte Schar, die aus aller Herren Länder unter einer riesigen Weltkarte zusammengekommen ist, ganz zufällig, wie es scheint. Dieses Farbfoto ist der aktuelle Nachtrag zu Thomas Struths großformatigen "Familienbildern" aus den Jahren 1985 bis 2007. Keine der insgesamt 28 Aufnahmen scheint etwas zu tun zu haben mit jenen Bildern, die wir bislang von Struth kannten: anonyme Häuserschluchten und urbane Straßenszenen:

Thomas Struth: " Nachdem ich die zwei ersten Familienporträts gemacht hatte, 1985 in Schottland und 1986 in Japan, fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Dass das eine Miniaturversion der Mentalitätsdarstellung ist, eines unbewussten Ausdrucks, der mich in den Straßenfotos schon so interessiert hat. "

Im Gegensatz zu jenen Fotoporträtisten, die ihr Gegenüber vor einer sterilen weißen Leinwand sozusagen unter Laborbedingungen unter die Lupe nehmen, lässt Thomas Struth zu, was man früher "Häuslichkeit" genannt hätte: Die Menschen wählen selbst den Ort der Aufnahme – und verraten mit ihrer Platzierung in Sofaecken und der Sitzgruppe im Garten, vor dem Kachelofen oder auf dem Balkon sehr viel über ihr "Familienleben", über Distanzen und vertrauliche Nähe, emotionale Abhängigkeiten und Machtverhältnisse. Das Genre der Familienporträts wird von Struth schlicht und einfach umfunktioniert, analytisch gewendet:

Thomas Struth: " Die Geschichten meiner Altersgenossen über deren Familien und das Suchen nach den Gründen, warum man so geworden ist, wie man ist, das hat unglaubliche epische Qualität, hat es jedenfalls für mich selbst immer gehabt. Das mäandert immer weiter, weil der Mensch kein Doppel-T-Träger ist, sondern weiche Masse, die sich formt durch Erfahrung, durch soziale Prozesse, durch Berufsleben und alles Mögliche."

Parallel zur großen Struth-Schau zeigt die Kölner SK Stiftung Schwarzweiß-Porträts von August Sander, zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein Pionier einer sachlichen, wirklichkeitsnahen Fotografie. Fast archaisch wirken diese Bilder von Dörflern aus dem Westerwald, deren Auftreten und Kleidung deutlich machen, wie sehr in den zwanziger und dreißiger Jahren die alltäglichen Zwänge des Arbeitslebens jedes individuelle Porträt prägten. Davon findet sich heute kaum noch eine Spur, allenfalls in Struths Aufnahme einer älteren Dame mit drei Söhnen: Penibel und brav hat der eine den Kragen über seinen Pullunder gelegt, daneben lässt ein bekennender Genießer unterm Jackett den Ansatz eines Embonpoint, eines kleinen Bäuchleins nebst Hosenträger erkennen und der Dritte im Bruderbunde kommt als gemäßigter Bohemien daher mit leger umgeworfenem Schal.

Lothar Schirmer: " Na ja, nun muss man sagen, dass die drei Schirmer-Brüder drei sehr unterschiedliche Berufe haben: Der eine ist Physikprofessor, der andere ist Verleger und der dritte ist Theaterintendant. Ich will nicht sagen, dass wir da Berufskleidung tragen, aber der Habitus, unsere Kleiderausstattung, ist natürlich in gewisser Weise den berufen nahe. "

So herzhaft wie Lothar Schirmer, der Fotobuch-Verleger, lachen die Menschen auf Struths Bildern aus dem Familienleben selten, denn:

Lothar Schirmer: " In unseren Augen steht das große Staunen darüber, wie ernst ein junger Mensch hier seine für uns als Routinearbeit abgehakte Tätigkeit nimmt und seinen Standpunkt sucht. Und da hat er eine gewisse tänzerische Eleganz: Also, er bewegt sich mit seiner Kamera und auch dem Tuch überm Kopf sehr schnell und sehr konzentriert."

So schauen also die Porträtierten auf den Fotografen – und belohnen dessen aufwendige Arbeit hinter der schweren Plattenkamera mit einem in gewisser Weise ehrlichen, nicht zu sagen: "authentischen" Auftritt ohne modische Attribute, auch ohne jene Gesten, die der Werbung oder den Soap Operas des Fernsehens abgeschaut sind. Und das kommt den Absichten diese Fotografen sehr entgegen.

Thomas Struth: " Die sollen etwas Zeitloses haben, ohne dass man denkt: 'Ach, das ist ein Paar aus den siebziger Jahren.' Das hier soll darüber hinaustragen."

Darin unterscheidet sich das "Familienleben" des Thomas Struth, der für seine Fotos in Europa, den USA und auch in Asien unterwegs war, von den meisten seiner Kollegen, die auf angeblich ungekünstelte "Spontaneität" setzen:

Thomas Struth: " Etwa sonntags mit Croissants und New York Times am Frühstückstisch, die Kinder rennen rum. Das ist mir zu beliebig, könnte ja auch eine Sekunde später sein oder eine Stunde später – und dann wäre alles schon wieder ganz anders. Was mich interessiert ist eine Bündelung von Energie, eine größtmögliche Konfrontation in diesem einen Moment und eine größtmögliche Verdichtung dieser Geschichte."

Und dabei, beim fotografischen Fortschreiben einer Geschichte des Lebens en famille, in Familie, können prominente Gesichter nur stören. Das zeigt sich am Beispiel des Malers Gerhard Richter, der für den Fotografen mit seiner jungen Frau und den beiden Kindern regelrecht Modell gesessen hat – für ein konventionelles Familienporträt, das einerseits so gar keine Auskunft gibt und andererseits im Reigen der unterschiedlichsten Familienkonstellationen kaum auffällt:

Thomas Struth: " Das ist vielleicht auch eine Art "Anti-Celebrity-Energie", die mir da Spaß macht. Ich habe schon mal Porträts von Richard von Weizsäcker gemacht, das ist in einer halben Katastrophe geendet. Ich sage immer: Ich kann lieber normale Leute berühmt machen, als berühmten Leuten noch weiteren Raum zu geben. "