Bilder statt Worte

Rezensiert von Edelgard Abenstein · 04.07.2005
Die Ilias von Homer, die Medea von Euripides, König Ödipus von Sophokles - griechische Mythen kennen wir zuallererst aus der Literatur. Mit ihren großen Ereignissen wie dem Trojanischen Krieg und ihren Helden wie Herakles, Odysseus und Helena stellen sie den populärsten Zugang zur Welt der klassischen Antike dar.
Wie alle Sagen und Märchen wurden sie anfangs mündlich weitererzählt, dann aber aufgeschrieben und in dieser Form weitgehend unverändert überliefert. Was die Sänger im archaischen Griechenland über den großen Achill etwa ihrem Publikum vortrugen, erleben wir im damaligen Wortlaut heute noch nach 2500 Jahren. Bilder dieser mythischen Szenen, wie sie auf Tempeln oder Vasen erhalten sind, galten lange Zeit als nachgeordnetes Medium, das die literarischen Zeugnisse bestenfalls veranschaulichte. Klaus Junkers Buch weist diesen Bildern einen eigenständigen Status zu und eröffnet mehr als nur einen kunsthistorisch angereicherten Blick auf Götter und Heroen, auf ein buntbewegtes Panorama an menschlichen Schicksalen, von denen dort erzählt wird.

In einer Reihe von Fallbeispielen veranschaulicht er seine Methode der Sinndeutung. Wie in einem Puzzle setzt er stilgeschichtliche Details, Elemente aus der Motivtradition, realhistorische Anhaltspunkte, religiöse und literarische Fundstücke zusammen, um am Ende zu einer hochkomplexen, plausiblen Aussage zu finden. So schildert er etwa anhand einer Szene auf einer bemalten Trinkschale, in der einer der unbezwingbaren Stars der Griechen, Achill, dem verwundeten Patroklos beisteht, die Geschichte einer anrührenden Freundschaft zwischen zwei Männern. Klaus Junker erzählt dabei von deren militärischer Tüchtigkeit, aber auch von der Brutalität des Krieges und schließlich von der Unentrinnbarkeit des Todes. Mit beinahe kriminalistischem Gespür fahndet er nach Indizien, um in einem kulturhistorischen "Cross-Over" stets in der Gegenwart und damit beim heutigen Leserinteresse anzukommen. Auch wenn die fachsprachliche Redeweise zuweilen überwiegt, so nimmt er doch auch den Laien an die Hand und erläutert ganz nebenbei verschlossene Begriffswelten wie die der Hermeneutik und der Ikonographie. Und er macht bekannt mit den Kostbarkeiten europäischer Museen, allerdings leider nur in schwarz-weiß, von der homerischen Zeit bis zur Laokoon-Gruppe. Das Buch ist als Einführung in die Interpretation griechischer Mythenbilder gedacht, und somit kann sie ihren Gegenstand nicht ganz und gar erschöpfend behandeln. Doch es liefert auch einen anderen, kundigeren Zugang zum Universum an Geschichten und Ideen der Antike, wie sie uns heute in bewegten Bildern auf Cinemascope entgegentreten. Sie fesseln uns bekanntlich ja immer aus Neue, weil diese heroisch-unheroischen Gestalten aus einer nur gedachten Welt am Ende doch nur unser kleines, tapferes schwaches Ich ganz groß auf die Leinwand bringen.

Klaus Junker: Griechische Mythenbilder. Eine Einführung in ihre Interpretation
Verlag J.B. Metzler 2005
190 Seiten, 24,95 Euro