Bilder, Herkunft, Identität
Die Städtische Galerie Esslingen widmet ihre Triennale der Fotografie und zwar schon seit 1989. Thema der diesjährigen Ausgabe ist nichts Geringeres als die Identität beziehungsweise das, was man dafür halten mag.
Identity card lesen wir auf dem amtlichen Dokument auf Englisch, carte d'identité auf Französisch oder im Behördendeutsch: Personalausweis: ein amtliches Dokument, das einen Menschen umfasst - jedenfalls für den Staat - dokumentiert mit Angabe der Körpergröße und Augenfarbe, natürlich mit einer amtlichen Nummer und einem Foto. Andreas Baur, der Leiter der Städtischen Galerie in Esslingen, hat auf eine Wand in seinen zahlreichen Ausstellungsräumen ein einziges solches Dokument angebracht: Die weiße Wand, darauf zehn mal sieben Zentimeter der Personalausweis von Nasan Tur.
"Nasan Tur ist ein sehr gepflegter junger Mann mit etwas rundlichem Gesicht und deutlich längerem Haar als das Foto verrät. Er ist auch ohne Schnurrbart und sieht bedeutend weniger gefährlich aus. Es ist ein ganz anderer Mensch."
Tur kam in Deutschland zur Welt, lebt in Deutschland, hat aber türkische Eltern - was also ist er, fragte er sich, und fing an, für sein Passfoto sein Äußeres zu verändern. Er ließ sich einen Bart wachsen, der dem Klischee Türke entspricht. In einem Text an der Wand erläutert er, was dann geschah. In gewissen Kreisen war er plötzlich nicht mehr gern gesehen, von so mancher weiblicher Seite wurde er plötzlich als unsexy angesehen, von seinen türkischen Verwandten erntete er begeisterte Komplimente. Was ist Identität? Nasan Tur hat jetzt einen deutschen Personalausweis mit einem Passfoto, das mit ihm eigentlich nichts gemein hat, so sein Fazit - und diese Erkenntnis zieht sich wie ein roter Faden durch die ganze Ausstellung. Sage mir, welcher Nation du angehörst, und ich sage dir, wer du bist, so könnte das Motto zu Nasan Tur lauten.
Ein anderes "Identitätsmerkmal" könnte sein: Sage mir, wie du wohnst, und ich sage dir, wer du bist. Die Dänin Anette Merrild fotografierte Wohnzimmer, leer, ohne Bewohner, in Hamburg, in Tallin, in New York - und man fängt an, sich die Menschen dazuzuerfinden: Alte Menschen zu den Möbeln mit gehäkelten Decken, Yuppies in dem durch Glas und Leder bestimmten Ambiente.
"Es ist in der Tat so, dass wir in Konstruktionen blicken und nicht in Seinsdimensionen. Es sind bisweilen vordergründige Konstruktionen, manchmal höchst diffizile und fein austarierte, aber es sind tatsächlich eher Konstrukte, Stereotypen, nicht so sehr die monadische Identität, von der man vielleicht träumen mag, sie aber als ziel ständig aus den Augen verliert."
Aber irgendwie sehen diese Fotos alle doch auch wieder gleich aus. Die verschiedenen Identitäten verschmelzen zu einer einzigen: der des Menschen, der sich gern in sein Wohnzimmer zurückzieht und die Welt hinter sich lässt, allenfalls durchs Fenster betrachtet. Im Wohnzimmer ist man nicht weit vom intimen Bereich eines Menschen entfernt. Die Familie als Identitätsstiftende Institution.
Der Franzose Thierry Geoffroy hat sich mit seinem Vater alte Familienfilme angesehen. Wir sehen sie mit ihm und hören aus dem Off den Kommentar seines Vaters. Als diese Filme gedreht wurden, war Thierry gerade einmal ein Jahr. Ist das seine Familienidentität. Der Familienfilm sieht eher aus wie ein historisches Dokument, eine fremde Welt tut sich da auf. Wer also ist Thierry Geoffroy? Offenbar nur bedingt das Kind dieser Menschen, die er da als seine Eltern agieren sieht. Es scheint, dass die Identität immer fragwürdiger wird, je genauer man sie bestimmen will, sogar auf den Fotos, dabei sollte man doch meinen, das Foto könne ein unvoreingenommenes Dokument der Realität sein, zumal wenn es, wie meist in dieser Ausstellung, ohne nachträgliche technische Bearbeitung und Manipulierung auskommt.
Wie steht es zum Beispiel mit der Identität der schwarzen Bevölkerung in Südafrika. Die Ausstellung zeigt Bilder von heute - Schnappschüsse aus dem täglichen Leben: eine Frau mit Turban und Sonnenschirm, ein Mann, der Wäsche in einer Blechschüssel wäscht - primitiv, aber in sich ruhend. Dagegen Fotos aus der Zeit der Apartheid. Nelson Mandela sehen wir - gekleidet in grauen Anzug mit weißem Hemd und perfekt geknüpfter Krawatte: Deutlicher kann der Versuch, sich an die Gepflogenheiten der herrschenden Macht, der weißen, anzupassen, nicht mehr ausfallen. Ein traurig stimmendes Bild.
"In der Tat belegen zwei Länderschwerpunkte, die wir gesetzt haben, auf die Kunst aus Südafrika und mexikanische Kunst, dass die Frage von Identitätsfindung oder auch Identitätsverbot oder auch Verbot von Zugehörigkeit ganz stark politische Hintergründe hat, und die Frage, wie nach Ablösung dieses Systems nun heute dort Identitäten gefunden und konstruiert werden können."
Den Versuch einer Neubestimmung nationaler Identität nach Abschüttlung einer Fremdherrschaft kann man an Mexiko sehen. Dort wendet man sich alten Riten zu, verherrlicht die Zapatistas - und fällt doch wieder in ein Klischee: Man ahmt Vergangenes nach, ohne es heutigen Standards anzupassen.
"Mexiko war für uns insofern hochinteressant, als in Mexiko um 1910 eine Revolution stattfindet, die sich von Revolutionen, wie wir sie in der Regel kennen, deutlich unterscheidet - nicht der Blick nach vorn, sondern der Blick zurück auf die kulturellen Wurzeln war entscheidend und hat einen Prozess ausgelöst, der als Mexicanidad, also die Mexikanisierung der Gesellschaft bezeichnet wird, über kulturelle Selbstfindung und über kulturelles Selbstbewusstsein. Das ist ein ganz interessanter Vorgang, der bis heute in der mexikanischen Gesellschaft spürbar ist."
So geht man durch die Ausstellung, analysiert die unterschiedlichen Möglichkeiten, Identität oder Heimat zu definieren - und entdeckt allenthalben, dass Identität meist ein höchst fragiles Gebilde ist, das ständigen Einschränkungen und Veränderungen unterworfen ist. Angesichts einer solchen Erkenntnis wird der Begriff Personalausweis oder Identity card mit Passfoto fast schon zu einer Farce.
"Nasan Tur ist ein sehr gepflegter junger Mann mit etwas rundlichem Gesicht und deutlich längerem Haar als das Foto verrät. Er ist auch ohne Schnurrbart und sieht bedeutend weniger gefährlich aus. Es ist ein ganz anderer Mensch."
Tur kam in Deutschland zur Welt, lebt in Deutschland, hat aber türkische Eltern - was also ist er, fragte er sich, und fing an, für sein Passfoto sein Äußeres zu verändern. Er ließ sich einen Bart wachsen, der dem Klischee Türke entspricht. In einem Text an der Wand erläutert er, was dann geschah. In gewissen Kreisen war er plötzlich nicht mehr gern gesehen, von so mancher weiblicher Seite wurde er plötzlich als unsexy angesehen, von seinen türkischen Verwandten erntete er begeisterte Komplimente. Was ist Identität? Nasan Tur hat jetzt einen deutschen Personalausweis mit einem Passfoto, das mit ihm eigentlich nichts gemein hat, so sein Fazit - und diese Erkenntnis zieht sich wie ein roter Faden durch die ganze Ausstellung. Sage mir, welcher Nation du angehörst, und ich sage dir, wer du bist, so könnte das Motto zu Nasan Tur lauten.
Ein anderes "Identitätsmerkmal" könnte sein: Sage mir, wie du wohnst, und ich sage dir, wer du bist. Die Dänin Anette Merrild fotografierte Wohnzimmer, leer, ohne Bewohner, in Hamburg, in Tallin, in New York - und man fängt an, sich die Menschen dazuzuerfinden: Alte Menschen zu den Möbeln mit gehäkelten Decken, Yuppies in dem durch Glas und Leder bestimmten Ambiente.
"Es ist in der Tat so, dass wir in Konstruktionen blicken und nicht in Seinsdimensionen. Es sind bisweilen vordergründige Konstruktionen, manchmal höchst diffizile und fein austarierte, aber es sind tatsächlich eher Konstrukte, Stereotypen, nicht so sehr die monadische Identität, von der man vielleicht träumen mag, sie aber als ziel ständig aus den Augen verliert."
Aber irgendwie sehen diese Fotos alle doch auch wieder gleich aus. Die verschiedenen Identitäten verschmelzen zu einer einzigen: der des Menschen, der sich gern in sein Wohnzimmer zurückzieht und die Welt hinter sich lässt, allenfalls durchs Fenster betrachtet. Im Wohnzimmer ist man nicht weit vom intimen Bereich eines Menschen entfernt. Die Familie als Identitätsstiftende Institution.
Der Franzose Thierry Geoffroy hat sich mit seinem Vater alte Familienfilme angesehen. Wir sehen sie mit ihm und hören aus dem Off den Kommentar seines Vaters. Als diese Filme gedreht wurden, war Thierry gerade einmal ein Jahr. Ist das seine Familienidentität. Der Familienfilm sieht eher aus wie ein historisches Dokument, eine fremde Welt tut sich da auf. Wer also ist Thierry Geoffroy? Offenbar nur bedingt das Kind dieser Menschen, die er da als seine Eltern agieren sieht. Es scheint, dass die Identität immer fragwürdiger wird, je genauer man sie bestimmen will, sogar auf den Fotos, dabei sollte man doch meinen, das Foto könne ein unvoreingenommenes Dokument der Realität sein, zumal wenn es, wie meist in dieser Ausstellung, ohne nachträgliche technische Bearbeitung und Manipulierung auskommt.
Wie steht es zum Beispiel mit der Identität der schwarzen Bevölkerung in Südafrika. Die Ausstellung zeigt Bilder von heute - Schnappschüsse aus dem täglichen Leben: eine Frau mit Turban und Sonnenschirm, ein Mann, der Wäsche in einer Blechschüssel wäscht - primitiv, aber in sich ruhend. Dagegen Fotos aus der Zeit der Apartheid. Nelson Mandela sehen wir - gekleidet in grauen Anzug mit weißem Hemd und perfekt geknüpfter Krawatte: Deutlicher kann der Versuch, sich an die Gepflogenheiten der herrschenden Macht, der weißen, anzupassen, nicht mehr ausfallen. Ein traurig stimmendes Bild.
"In der Tat belegen zwei Länderschwerpunkte, die wir gesetzt haben, auf die Kunst aus Südafrika und mexikanische Kunst, dass die Frage von Identitätsfindung oder auch Identitätsverbot oder auch Verbot von Zugehörigkeit ganz stark politische Hintergründe hat, und die Frage, wie nach Ablösung dieses Systems nun heute dort Identitäten gefunden und konstruiert werden können."
Den Versuch einer Neubestimmung nationaler Identität nach Abschüttlung einer Fremdherrschaft kann man an Mexiko sehen. Dort wendet man sich alten Riten zu, verherrlicht die Zapatistas - und fällt doch wieder in ein Klischee: Man ahmt Vergangenes nach, ohne es heutigen Standards anzupassen.
"Mexiko war für uns insofern hochinteressant, als in Mexiko um 1910 eine Revolution stattfindet, die sich von Revolutionen, wie wir sie in der Regel kennen, deutlich unterscheidet - nicht der Blick nach vorn, sondern der Blick zurück auf die kulturellen Wurzeln war entscheidend und hat einen Prozess ausgelöst, der als Mexicanidad, also die Mexikanisierung der Gesellschaft bezeichnet wird, über kulturelle Selbstfindung und über kulturelles Selbstbewusstsein. Das ist ein ganz interessanter Vorgang, der bis heute in der mexikanischen Gesellschaft spürbar ist."
So geht man durch die Ausstellung, analysiert die unterschiedlichen Möglichkeiten, Identität oder Heimat zu definieren - und entdeckt allenthalben, dass Identität meist ein höchst fragiles Gebilde ist, das ständigen Einschränkungen und Veränderungen unterworfen ist. Angesichts einer solchen Erkenntnis wird der Begriff Personalausweis oder Identity card mit Passfoto fast schon zu einer Farce.