Bilder der Verletzung im Land der Folterer
Er wolle mit seinen Werken auf die Bedrohung des Menschen und seine Verletzbarkeit hinweisen, sagt der Bildhauer Günther Uecker über seine Ausstellung "Verletzungen - Verbindungen" in Teheran. Die Ausstellung kommt an, denn: "Der Besuch ist enorm", sagt Uecker.
Katrin Heise: Mit Installationen, Gemälden, Grafiken will Günther Uecker in künstlerischen Dialog treten. Der 1930 in Mecklenburg geborene Günther Uecker ist einer der bekanntesten deutschen Gegenwartskünstler. Er wurde vor allem mit seinen Nagelbildern ja sehr bekannt. Diesmal sucht er den Dialog mit den Menschen im Iran. "Verletzungen – Verbindungen", so heißt die Ausstellung des Malers und Objektkünstlers, für das das Museum für zeitgenössische Kunst in Teheran zwölf Räume leergeräumt hat. Es ist die erste Ausstellung von Werken des Künstler im Iran und zugleich die erste Präsentation zeitgenössischer deutscher Kunst seit 2005 in diesem Land. Herr Uecker, ich freue mich, dass Sie sich Zeit nehmen. Ich grüße Sie!
Günther Uecker: Ja, seien Sie auch herzlich gegrüßt!
Heise: Herr Uecker, ist Ihr Wunsch eines Dialogs in Erfüllung gegangen? Setzen sich die Menschen in Teheran mit Ihrer Kunst auseinander?
Uecker: Ja, also, ausgerechnet dieses kann ich nun nicht so gut beurteilen, aber der Besuch ist enorm. Man sagt mir immer: Man kann den Fußboden nicht sehen. Und dadurch ist es dann auch geschehen, dass die Ausstellung verlängert ist. Also die läuft weiterhin und soll dann auch noch nach Isfahan wie nach Avaz gehen, sodass sie wahrscheinlich ein halbes Jahr im Iran ist.
Heise: Sie wollen aufrütteln, Sie wollen verstören. In dieser Ausstellung geht es zum Beispiel auch um Aggression, um Folter. Verletzungen werden erwähnt auf Schriftrollen oder auf den Wänden sind in Farsi Verletzungswörter zu lesen. Mit was treten Sie da dem Betrachter entgegen? Mit was muss der sich auseinandersetzen?
Uecker: Also das Thema ist Verletzung des Menschen durch den Menschen. In dieser Ausstellung habe ich Skulpturen wie Ackergeräte, wie Foltergeräte auf Verletzungswörter gestellt, die ich aus dem alten Testament entnommen habe. Die Bedrohung des Menschen, seine Gefährdung, seine Verletzbarkeit sind bildhafte Themen dieser Ausstellung. Das Alphabetische und das Unalphabetische bildet hier einen künstlerischen Zusammenhang. Das ist sozusagen die Thematik dieser Ausstellung.
Und da sind nun, wie Sie schon erwähnt haben, die Farsi-Schrift, also die Wörter, die ich aus dem alten Testament entnommen habe, auf die Wände gehängt hinter Glas, sodass man die schrecklichen Wörter, die durch Menschen am Menschen, durch Folter und durch Kriege stattfanden, dass die dann doch sehr präsent sind. Anstatt von Bildern beherrschen die Wörter doch einen Großteil dieser Wände.
Und in deutscher Sprache habe ich, in lateinischen Buchstaben Wörter auch hinter Glas im Rahmen auf Papier geschrieben und die auf den Boden gelegt. Auf die sind natürlich dann diese Foltergeräte, wie sie eben genannt waren, gestellt, sodass doch diese Assoziation von Verletzung und Gerätschaft, so wie man auf dem Acker Geräte dann verwendet, um Frucht aus der Erde zu nehmen, zu pflügen, zu eggen und dann doch diese Tortur an der Erde vollzieht, für unsere Erhaltung. Also man könnte sagen, die Lebenserhaltung wird durch solche Gerätschaften auf mörderische Art an der Erde – die Indianer sagen ja, die Erde ist die Mutter aller Hervorbringungen und unseres Lebens - also durch diese Tortur der Gerätschaften wird ja Frucht hervorgebracht und entnommen.
Und jetzt, in der Ausstellung, wirken diese Foltergeräte auf den Wörtern, die weiß geschrieben sind, hinter Glas auf dem Boden liegen, wie im Winter, im Herbst stehen gelassene Ackergeräte eben wie Foltergeräte und so fast verschneit, gebrochen und mit Tüchern umwickelt, sodass man diese Melancholie des Stillehaltens vor dem Winter erspürt, und bevor diese Gerätschaften wieder in den Einsatz kommen, wie man sagt.
Heise: Melancholie auf der einen Seite, auf der anderen Seite: Folter ist das Thema in einem Land, in dem gefoltert wird. Wie sind da die Reaktionen?
Uecker: Also, diese bildhafte Form der Rezeption, dass man das wahrnimmt, was ja nun nicht an Buchstaben gebunden ist, die aus der Gegenwart herrühren, dass man nur eine moralische Position einnimmt und Anklage erhebt. Hier wird einfach aus der Geschichte das eigene Drama auch verstanden, also man kann auch sagen, theokratischen Diktatur, die im Hintergrund ja seit der Revolution im Land auf diese Menschen dort wirkt und die Vielfalt der Erlebnisse und der Aussagen auch, die dann zu dem münden in dem Gespräch, dass Menschen sagten: Ja, also eigentlich ist alles verboten, was wir tun mögen, aber es kann alles erlaubt werden. Also, man muss schon um Erlaubnis fragen. Das ist doch diese im Hintergrund wahrnehmbare Kontrolle, die auf vorsichtige Art und Weise Ausdruck findet, und das rührt einen schon sehr an.
Aber viel intensiver ist die Wahrnehmung einer existenziellen Bedrohung dieser Menschen, wenn man in ihre Augen schaut, kommen mir schon die Tränen, wenn ich mich erinnere, dass sie doch eine panische Angst davor haben, dass ein Atomschlag erfolgt. Der Atomschlag wird natürlich ausgehen von ihren Atomforschungsstätten, die bombardiert werden, und das macht ihnen wirklich existenzielle Sorge. Dass man sagen könnte – man könnte es vergleichen, wenn man vorher in Hiroshima gesagt hätte, da fällt eine Bombe dieser Art, dass dann man sich vorstellen kann, wie die Japaner damals reagiert hätten. Also in der Vorankündigung eines möglichen Bombardements dieser Forschungsanlagen sind die Menschen in tiefe existenzielle Not versetzt.
Heise: Denn Sie waren zur Ausstellungseröffnung selber in Teheran. Der Künstler Günther Uecker ist im Deutschlandradio Kultur zu hören. Herr Uecker, Sie haben eben von Erlaubnis, Um-Erlaubnis-Fragen gesprochen. Man kann sich ja diese Art der – ich nenne es jetzt mal politische Kunst, Ihre Kunst – nur sehr schwer in Teheran vorstellen. Welche Vorgaben, welche Einschränkungen hatten Sie denn?
Uecker: Gar keine! Also, die einzigen Einschränkungen, die ich wohl hatte, die waren die, dass das Embargo die Arbeiten also nicht so leichtfertig über die Grenze hat gehen lassen. Also wir können das mit dem Schiff und mit normalen Transportunternehmen nicht transportieren, eben weil die Hafenanlagen dann doch so kontrolliert waren, dass das eben noch wer weiß wie lange dort liegen würde.
Aber zum zweiten haben wir dann versucht, über den Landweg das, über Türkei und Kurdistan zu bringen mit zwei großen Tiefladern. Das sind zwei Schiffscontainer, die dort dann hingefahren wurden. Und es ist auch gut angekommen, aber das größte Hindernis war, dass keine europäische Versicherungsgesellschaft diese Versicherung abschließen wollte.
Also die Erschwernis ist dann doch schon sehr groß, aber es ist dort hin gelangt, also ich kann das auch nur als ein Wunder betrachten. Wenn ich dort im Museum saß, dachte ich, ja, nun bin ich hier. Also das ist gar nicht zu fassen, dass das möglich ist, ja. Aber es ist keine Einschränkung dann mehr erfolgt.
Heise: Hatten Sie, Herr Uecker, keine Sorge, inhaltlich beschnitten zu werden oder vom Mullah-Regime instrumentalisiert zu werden auch?
Uecker: Ja natürlich. Also das sage ich auch, also, ich lasse mich in dem Fall instrumentalisieren, denn ...
Heise: Sie lassen sich instrumentalisieren?
Uecker: Ja. Das ist so wie Orfeo. Wenn also der Orpheus, der sich natürlich umgewandt hat, aber wenn wir nicht die Instrumente der Kultur verwenden – ich sehe das auch poetisch und musikalisch, also wie auf der Harfe oder einer Gitarre zu spielen – wenn wir also nicht mit den Mitteln, die unseren Kulturausdruck zum Thema und zum Inhalt haben, wenn wir diese nicht dort aufführen, dann sind diese Menschen davon isoliert.
Und ich kenne das ja auch aus den 70er-Jahren noch aus Lateinamerika, wo in Sao Paolo meine Ausstellung auch, von hier aus betrachtet, in Frage gestellt wurde – wie kann man ausstellen, wo eine Diktatur vorherrscht? Da kann ich dann nur antworten, eben dort in Brasilien haben diese Menschen ihre Regierung dieser Art nicht gewählt. Und warum soll man sie doppelt bestrafen, indem man sie dann noch von der Welt isoliert und ihnen keinen kulturellen Austausch erlaubt.
Heise: Das heißt, Kritik sind Sie sowieso gewöhnt, auch in diese Richtung Kritik, aber Sie sind nach wie vor für den Dialog eben mit den Leuten und haben auch das Gefühl, dass da so ein Dialog durch künstlerische Mittel in Gang gesetzt wird?
Uecker: Also ich sage dann auch immer: Die Kunst kann den Menschen nicht retten, aber mit den Mitteln der Kunst ist ein Dialog möglich, der zum bewahrenden Handeln des Menschen aufruft. Sonst hat die Kunst ja gar keinen Sinn, wenn es nicht ein Mitgefühl zum Thema hat, dass man eine menschliche Mitteilung als Dialog versucht, wo diese Mitteilung dann auch tragend sein kann für ein bewahrendes Handeln des Menschen. Daran glaube ich in meinem Werk. Sonst hat das ja gar keinen Sinn.
Heise: Sie sind ja auch schon immer politisch gewesen, möchte ich mal sagen. Sie haben sich zu Tschernobyl geäußert, Sie haben sich zu Rostock-Lichtenhagen, zu den fürchterlichen Übergriffen dort künstlerisch geäußert. Sie wollen mit dieser Ausstellung auch noch mehr, sage ich mal. Also erstens zieht sie ja weiter nach Isfahan und Avaz, das hatten Sie erwähnt. Gleichzeitig läuft eine Ausstellung unter gleichem Namen "Verletzung – Verbindung" in New York, und Sie wollen diese Ausstellungen auch zusammenfassen. Das heißt, Künstler als Vermittler zwischen allen Fronten?
Uecker: Tja, meine Illusionen kann ich ja dann doch nur noch dadurch zum Ausdruck bringen, dass ich es versuche. Und wenn wir über unsere Verletzungen spreche: Wir wissen das aus unserer jüdisch-christlichen Geschichte, dass wir auf der Grundlage der Verletzbarkeit des Anderen und unserer friedfertigen Art, das zu beenden oder es zu verhindern oder zu vermeiden, doch eine der grundlegenden ethischen Möglichkeiten sehen, unsere Gemeinschaft zu bewahren.
Also das Desaster auch, das uns bedroht und verängstigt, auf Mitteilung, also man teilt etwas miteinander, und das wird dann Mitteilung. Also das ist dann auch wortwörtlich bei mir der Fall, wo ich mich ja auf dem Grat des Alphabetischen und Unalphabetischen, des Bildhaften und des Nichtbildhaften bewege, des Sprachlichen – da kann man dann sagen, ja, wo die Sprache dann versagt, da beginnt das Bild. Und das kann eine ganz große Stärke zum Inhalt haben, die uns daran erinnert, dass wir gemeinsam auf diesem Planeten uns befinden.
Heise: Künstlerischer Dialog – Günther Uecker, ich danke Ihnen ganz herzlich für das Gespräch!
Uecker: Danke Ihnen auch, dass Sie angerufen haben. Alles Gute Ihnen, bis bald.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Günther Uecker: Ja, seien Sie auch herzlich gegrüßt!
Heise: Herr Uecker, ist Ihr Wunsch eines Dialogs in Erfüllung gegangen? Setzen sich die Menschen in Teheran mit Ihrer Kunst auseinander?
Uecker: Ja, also, ausgerechnet dieses kann ich nun nicht so gut beurteilen, aber der Besuch ist enorm. Man sagt mir immer: Man kann den Fußboden nicht sehen. Und dadurch ist es dann auch geschehen, dass die Ausstellung verlängert ist. Also die läuft weiterhin und soll dann auch noch nach Isfahan wie nach Avaz gehen, sodass sie wahrscheinlich ein halbes Jahr im Iran ist.
Heise: Sie wollen aufrütteln, Sie wollen verstören. In dieser Ausstellung geht es zum Beispiel auch um Aggression, um Folter. Verletzungen werden erwähnt auf Schriftrollen oder auf den Wänden sind in Farsi Verletzungswörter zu lesen. Mit was treten Sie da dem Betrachter entgegen? Mit was muss der sich auseinandersetzen?
Uecker: Also das Thema ist Verletzung des Menschen durch den Menschen. In dieser Ausstellung habe ich Skulpturen wie Ackergeräte, wie Foltergeräte auf Verletzungswörter gestellt, die ich aus dem alten Testament entnommen habe. Die Bedrohung des Menschen, seine Gefährdung, seine Verletzbarkeit sind bildhafte Themen dieser Ausstellung. Das Alphabetische und das Unalphabetische bildet hier einen künstlerischen Zusammenhang. Das ist sozusagen die Thematik dieser Ausstellung.
Und da sind nun, wie Sie schon erwähnt haben, die Farsi-Schrift, also die Wörter, die ich aus dem alten Testament entnommen habe, auf die Wände gehängt hinter Glas, sodass man die schrecklichen Wörter, die durch Menschen am Menschen, durch Folter und durch Kriege stattfanden, dass die dann doch sehr präsent sind. Anstatt von Bildern beherrschen die Wörter doch einen Großteil dieser Wände.
Und in deutscher Sprache habe ich, in lateinischen Buchstaben Wörter auch hinter Glas im Rahmen auf Papier geschrieben und die auf den Boden gelegt. Auf die sind natürlich dann diese Foltergeräte, wie sie eben genannt waren, gestellt, sodass doch diese Assoziation von Verletzung und Gerätschaft, so wie man auf dem Acker Geräte dann verwendet, um Frucht aus der Erde zu nehmen, zu pflügen, zu eggen und dann doch diese Tortur an der Erde vollzieht, für unsere Erhaltung. Also man könnte sagen, die Lebenserhaltung wird durch solche Gerätschaften auf mörderische Art an der Erde – die Indianer sagen ja, die Erde ist die Mutter aller Hervorbringungen und unseres Lebens - also durch diese Tortur der Gerätschaften wird ja Frucht hervorgebracht und entnommen.
Und jetzt, in der Ausstellung, wirken diese Foltergeräte auf den Wörtern, die weiß geschrieben sind, hinter Glas auf dem Boden liegen, wie im Winter, im Herbst stehen gelassene Ackergeräte eben wie Foltergeräte und so fast verschneit, gebrochen und mit Tüchern umwickelt, sodass man diese Melancholie des Stillehaltens vor dem Winter erspürt, und bevor diese Gerätschaften wieder in den Einsatz kommen, wie man sagt.
Heise: Melancholie auf der einen Seite, auf der anderen Seite: Folter ist das Thema in einem Land, in dem gefoltert wird. Wie sind da die Reaktionen?
Uecker: Also, diese bildhafte Form der Rezeption, dass man das wahrnimmt, was ja nun nicht an Buchstaben gebunden ist, die aus der Gegenwart herrühren, dass man nur eine moralische Position einnimmt und Anklage erhebt. Hier wird einfach aus der Geschichte das eigene Drama auch verstanden, also man kann auch sagen, theokratischen Diktatur, die im Hintergrund ja seit der Revolution im Land auf diese Menschen dort wirkt und die Vielfalt der Erlebnisse und der Aussagen auch, die dann zu dem münden in dem Gespräch, dass Menschen sagten: Ja, also eigentlich ist alles verboten, was wir tun mögen, aber es kann alles erlaubt werden. Also, man muss schon um Erlaubnis fragen. Das ist doch diese im Hintergrund wahrnehmbare Kontrolle, die auf vorsichtige Art und Weise Ausdruck findet, und das rührt einen schon sehr an.
Aber viel intensiver ist die Wahrnehmung einer existenziellen Bedrohung dieser Menschen, wenn man in ihre Augen schaut, kommen mir schon die Tränen, wenn ich mich erinnere, dass sie doch eine panische Angst davor haben, dass ein Atomschlag erfolgt. Der Atomschlag wird natürlich ausgehen von ihren Atomforschungsstätten, die bombardiert werden, und das macht ihnen wirklich existenzielle Sorge. Dass man sagen könnte – man könnte es vergleichen, wenn man vorher in Hiroshima gesagt hätte, da fällt eine Bombe dieser Art, dass dann man sich vorstellen kann, wie die Japaner damals reagiert hätten. Also in der Vorankündigung eines möglichen Bombardements dieser Forschungsanlagen sind die Menschen in tiefe existenzielle Not versetzt.
Heise: Denn Sie waren zur Ausstellungseröffnung selber in Teheran. Der Künstler Günther Uecker ist im Deutschlandradio Kultur zu hören. Herr Uecker, Sie haben eben von Erlaubnis, Um-Erlaubnis-Fragen gesprochen. Man kann sich ja diese Art der – ich nenne es jetzt mal politische Kunst, Ihre Kunst – nur sehr schwer in Teheran vorstellen. Welche Vorgaben, welche Einschränkungen hatten Sie denn?
Uecker: Gar keine! Also, die einzigen Einschränkungen, die ich wohl hatte, die waren die, dass das Embargo die Arbeiten also nicht so leichtfertig über die Grenze hat gehen lassen. Also wir können das mit dem Schiff und mit normalen Transportunternehmen nicht transportieren, eben weil die Hafenanlagen dann doch so kontrolliert waren, dass das eben noch wer weiß wie lange dort liegen würde.
Aber zum zweiten haben wir dann versucht, über den Landweg das, über Türkei und Kurdistan zu bringen mit zwei großen Tiefladern. Das sind zwei Schiffscontainer, die dort dann hingefahren wurden. Und es ist auch gut angekommen, aber das größte Hindernis war, dass keine europäische Versicherungsgesellschaft diese Versicherung abschließen wollte.
Also die Erschwernis ist dann doch schon sehr groß, aber es ist dort hin gelangt, also ich kann das auch nur als ein Wunder betrachten. Wenn ich dort im Museum saß, dachte ich, ja, nun bin ich hier. Also das ist gar nicht zu fassen, dass das möglich ist, ja. Aber es ist keine Einschränkung dann mehr erfolgt.
Heise: Hatten Sie, Herr Uecker, keine Sorge, inhaltlich beschnitten zu werden oder vom Mullah-Regime instrumentalisiert zu werden auch?
Uecker: Ja natürlich. Also das sage ich auch, also, ich lasse mich in dem Fall instrumentalisieren, denn ...
Heise: Sie lassen sich instrumentalisieren?
Uecker: Ja. Das ist so wie Orfeo. Wenn also der Orpheus, der sich natürlich umgewandt hat, aber wenn wir nicht die Instrumente der Kultur verwenden – ich sehe das auch poetisch und musikalisch, also wie auf der Harfe oder einer Gitarre zu spielen – wenn wir also nicht mit den Mitteln, die unseren Kulturausdruck zum Thema und zum Inhalt haben, wenn wir diese nicht dort aufführen, dann sind diese Menschen davon isoliert.
Und ich kenne das ja auch aus den 70er-Jahren noch aus Lateinamerika, wo in Sao Paolo meine Ausstellung auch, von hier aus betrachtet, in Frage gestellt wurde – wie kann man ausstellen, wo eine Diktatur vorherrscht? Da kann ich dann nur antworten, eben dort in Brasilien haben diese Menschen ihre Regierung dieser Art nicht gewählt. Und warum soll man sie doppelt bestrafen, indem man sie dann noch von der Welt isoliert und ihnen keinen kulturellen Austausch erlaubt.
Heise: Das heißt, Kritik sind Sie sowieso gewöhnt, auch in diese Richtung Kritik, aber Sie sind nach wie vor für den Dialog eben mit den Leuten und haben auch das Gefühl, dass da so ein Dialog durch künstlerische Mittel in Gang gesetzt wird?
Uecker: Also ich sage dann auch immer: Die Kunst kann den Menschen nicht retten, aber mit den Mitteln der Kunst ist ein Dialog möglich, der zum bewahrenden Handeln des Menschen aufruft. Sonst hat die Kunst ja gar keinen Sinn, wenn es nicht ein Mitgefühl zum Thema hat, dass man eine menschliche Mitteilung als Dialog versucht, wo diese Mitteilung dann auch tragend sein kann für ein bewahrendes Handeln des Menschen. Daran glaube ich in meinem Werk. Sonst hat das ja gar keinen Sinn.
Heise: Sie sind ja auch schon immer politisch gewesen, möchte ich mal sagen. Sie haben sich zu Tschernobyl geäußert, Sie haben sich zu Rostock-Lichtenhagen, zu den fürchterlichen Übergriffen dort künstlerisch geäußert. Sie wollen mit dieser Ausstellung auch noch mehr, sage ich mal. Also erstens zieht sie ja weiter nach Isfahan und Avaz, das hatten Sie erwähnt. Gleichzeitig läuft eine Ausstellung unter gleichem Namen "Verletzung – Verbindung" in New York, und Sie wollen diese Ausstellungen auch zusammenfassen. Das heißt, Künstler als Vermittler zwischen allen Fronten?
Uecker: Tja, meine Illusionen kann ich ja dann doch nur noch dadurch zum Ausdruck bringen, dass ich es versuche. Und wenn wir über unsere Verletzungen spreche: Wir wissen das aus unserer jüdisch-christlichen Geschichte, dass wir auf der Grundlage der Verletzbarkeit des Anderen und unserer friedfertigen Art, das zu beenden oder es zu verhindern oder zu vermeiden, doch eine der grundlegenden ethischen Möglichkeiten sehen, unsere Gemeinschaft zu bewahren.
Also das Desaster auch, das uns bedroht und verängstigt, auf Mitteilung, also man teilt etwas miteinander, und das wird dann Mitteilung. Also das ist dann auch wortwörtlich bei mir der Fall, wo ich mich ja auf dem Grat des Alphabetischen und Unalphabetischen, des Bildhaften und des Nichtbildhaften bewege, des Sprachlichen – da kann man dann sagen, ja, wo die Sprache dann versagt, da beginnt das Bild. Und das kann eine ganz große Stärke zum Inhalt haben, die uns daran erinnert, dass wir gemeinsam auf diesem Planeten uns befinden.
Heise: Künstlerischer Dialog – Günther Uecker, ich danke Ihnen ganz herzlich für das Gespräch!
Uecker: Danke Ihnen auch, dass Sie angerufen haben. Alles Gute Ihnen, bis bald.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.