Bilder der Selbstfindung
Die Fotos und Videos der Ausstellung "Selbstauslöser" sind ungewöhnliche Zeugnisse weiblicher Selbstbefragung. Fünf finnische Künstlerinnen zeigen ihre Arbeiten im Kunsthaus Fredericianum in Kassel. Eines der Fotos zeigt eine Frau im Regenwald beim Einsammeln von Schmetterlingen.
Ein Mädchen möchte einen Jungen zum Joggen abholen, auf ihr Türläuten reagiert er nicht, sie geht um das Haus, blickt durch das Verandafenster und sieht ihn Kunststücke mit der Lassoschlinge vollführen: konzentriert, fanatisch, autoerotisch. Das Mädchen schaut zu, fasziniert und befremdet, dann weicht sie langsam zurück bis zum Gartentor.
Als dieses Video der finnischen Künstlerin Salla Tykkä vor einigen Jahren auf der Biennale von Venedig gezeigt wurde, ging es einem nicht mehr aus dem Kopf. Wegen der eigenartigen Stimmung, die es erzeugte. Da ist nichts eindeutig, es geht um Begehren, das zugleich Selbstentdeckung ist, es geht um Voyeurismus, um Leidenschaft, die seltsam fehlgeleitet wirkt. Zugleich ist ein heiliger Moment dargestellt, wie er sich im Leben Heranwachsender oft unvorhersehbar ereignet.
Die Musik von Ennio Morricone, dem Starkomponisten der Italo-Western, bringt allerdings Ironie ins Spiel: Da wird eine Gefühlskulisse aufgebaut, um die es nicht wirklich geht. Aber das ist das Kennzeichen der in Kassel präsentierten fünf Künstlerinnen aus Finnland: Die Bilder der Selbstfindung, die hier im Medium von Fotografie und Video erscheinen, sind auf geheimnisvolle Art mehrdeutig. Das heißt allerdings nicht, dass sie beliebig wären. Im Gegenteil.
So eigenartige Kunst hat man selten gesehen. Aino Kannisto zum Beispiel lässt sich fotografieren in Umgebungen, die sie sorgfältig danach auswählt, ob sie bei ihr bestimmte Assoziationen und Rollenvorstellungen auslösen. Sie steht am Fenster eines lichtdurchfluteten Holzhauses und blickt hinaus, als hätte sie gerade etwas Beunruhigendes gesehen. Oder sie posiert mit Jaghund in der Landschaft und blickt misstrauisch den Feldrand entlang. Oder sie sitzt vornübergebeugt an einem Küchentisch und schiebt sich gedankenverloren einen Bissen in den Mund.
Da ereignet sich nicht viel und trotzdem sind das alles hochkonzentrierte Geschichten. Das erinnert von fern an fotografische Selbstdarstellung amerikanischer Künstlerinnen der 70er Jahre. Birgit Eusterschulte, Kuratorin der Kasseler Ausstellung:
" Bei Aino Kannisto gibt es aber einen entscheidenden Unterschied zu den Film-Stills, wie sie vielleicht bei Cindy Sherman auftauchen, dadurch, dass es bei Sherman immer eine Brechung innerhalb der Inszenierung gibt. Bei Aino Kannisto wird man keinen Selbstauslöser entdecken können und man wird auch keine übertriebene Künstlichkeit finden. Es ist vielmehr so, dass sie innerhalb einer Geschichte bleibt, oder sagen wir, eine Geschichte andeutet, diese aber so offen lässt, dass sie den Betrachtenden animiert, eigene Geschichten zu konstruieren. Also es bleibt immer ein kleines Geheimnis in ihren Konstruktionen vom Selbst. "
Die Fotografien der jungen Sanna Kannisto fallen in dieser Ausstellung weiblicher Selbstbefragung und Rollenspiele aus dem Rahmen. Sie hat monatelang mit Wissenschaftlern in Forschungscamps des südamerikanischen Regenwaldes gelebt und ihre eigene Methode zur Erkundung des faszinierenden Terrains entwickelt.
Einerseits fotografiert sie die seltsamen Versuchsanordnungen der Wissenschaftler, zum Beispiel zur Erforschung bestimmter Bienenarten, andererseits zeigt sie in kleinen fotografischen Tableaus bestimmte Orchideen, Pilze oder Raupenarten, die sie bei ihren Ausflügen selbst gefunden hat. Die extreme Künstlichkeit und Inszeniertheit des wissenschaftlichen Arbeitens wird bei Sanna Kannisto augenfällig, indem sie die Rahmenbedingungen des Beobachtens mit thematisiert.
Birgit Eusterschulte: " Sanna Kannisto interessiert sich sehr für die Ideen der Aufklärung und die Sichtweise, die man auf die Welt gehabt hat, eben nicht einzelne Details herauszunehmen, sondern sie in ihrer Gesamtheit zu sehen, und auch wenn sie so vorgeht, dass sie einzelne Teile aus dem Regenwald isoliert und sie auf kleinen Bühnen inszeniert und zeigt, hebt sie damit eher die Einzigartigkeit und Magie des einzelnen Objekts hervor, und arbeitet somit entgegen einer Methode, wie sie Naturwissenschaftler benutzen würden. "
Eines der Fotos zeigt die Künstlerin im nächtlichen Regenwald, beim Einsammeln von Schmetterlingen, die sie mit einer Lichtfalle, einem beleuchteten Gazeschleier, angelockt hat. Titel des Fotos: Private Collection, Privatsammlung. Ein sehr finnischer Scherz. Denn in Finnland gibt es nicht die ausgeprägte Galerienstruktur, wie wir sie in Deutschland und Europa kennen.
Aufgrund eines großzügigen Stipendiensystems können sich junge Künstler unbehelligt von Markterfordernissen entwickeln. Die Kasseler Schau zeigt, zu welchen eigenartigen und beeindruckenden Ergebnissen das führen kann. Auch deshalb ist der Ausstellungstitel programmatisch: "Selbstauslöser".
Service:
Die Ausstellung "Selbstauslöser" mit Arbeiten von Elina Brotherus, Aino Kannisto, Sanna Kannisto, Fanni Niemi-Junkola und Salla Tykkä ist vom 21. Dezember 2005 bis 26. Februar 2006 in der Kunsthalle Fridericianum zu sehen.
Als dieses Video der finnischen Künstlerin Salla Tykkä vor einigen Jahren auf der Biennale von Venedig gezeigt wurde, ging es einem nicht mehr aus dem Kopf. Wegen der eigenartigen Stimmung, die es erzeugte. Da ist nichts eindeutig, es geht um Begehren, das zugleich Selbstentdeckung ist, es geht um Voyeurismus, um Leidenschaft, die seltsam fehlgeleitet wirkt. Zugleich ist ein heiliger Moment dargestellt, wie er sich im Leben Heranwachsender oft unvorhersehbar ereignet.
Die Musik von Ennio Morricone, dem Starkomponisten der Italo-Western, bringt allerdings Ironie ins Spiel: Da wird eine Gefühlskulisse aufgebaut, um die es nicht wirklich geht. Aber das ist das Kennzeichen der in Kassel präsentierten fünf Künstlerinnen aus Finnland: Die Bilder der Selbstfindung, die hier im Medium von Fotografie und Video erscheinen, sind auf geheimnisvolle Art mehrdeutig. Das heißt allerdings nicht, dass sie beliebig wären. Im Gegenteil.
So eigenartige Kunst hat man selten gesehen. Aino Kannisto zum Beispiel lässt sich fotografieren in Umgebungen, die sie sorgfältig danach auswählt, ob sie bei ihr bestimmte Assoziationen und Rollenvorstellungen auslösen. Sie steht am Fenster eines lichtdurchfluteten Holzhauses und blickt hinaus, als hätte sie gerade etwas Beunruhigendes gesehen. Oder sie posiert mit Jaghund in der Landschaft und blickt misstrauisch den Feldrand entlang. Oder sie sitzt vornübergebeugt an einem Küchentisch und schiebt sich gedankenverloren einen Bissen in den Mund.
Da ereignet sich nicht viel und trotzdem sind das alles hochkonzentrierte Geschichten. Das erinnert von fern an fotografische Selbstdarstellung amerikanischer Künstlerinnen der 70er Jahre. Birgit Eusterschulte, Kuratorin der Kasseler Ausstellung:
" Bei Aino Kannisto gibt es aber einen entscheidenden Unterschied zu den Film-Stills, wie sie vielleicht bei Cindy Sherman auftauchen, dadurch, dass es bei Sherman immer eine Brechung innerhalb der Inszenierung gibt. Bei Aino Kannisto wird man keinen Selbstauslöser entdecken können und man wird auch keine übertriebene Künstlichkeit finden. Es ist vielmehr so, dass sie innerhalb einer Geschichte bleibt, oder sagen wir, eine Geschichte andeutet, diese aber so offen lässt, dass sie den Betrachtenden animiert, eigene Geschichten zu konstruieren. Also es bleibt immer ein kleines Geheimnis in ihren Konstruktionen vom Selbst. "
Die Fotografien der jungen Sanna Kannisto fallen in dieser Ausstellung weiblicher Selbstbefragung und Rollenspiele aus dem Rahmen. Sie hat monatelang mit Wissenschaftlern in Forschungscamps des südamerikanischen Regenwaldes gelebt und ihre eigene Methode zur Erkundung des faszinierenden Terrains entwickelt.
Einerseits fotografiert sie die seltsamen Versuchsanordnungen der Wissenschaftler, zum Beispiel zur Erforschung bestimmter Bienenarten, andererseits zeigt sie in kleinen fotografischen Tableaus bestimmte Orchideen, Pilze oder Raupenarten, die sie bei ihren Ausflügen selbst gefunden hat. Die extreme Künstlichkeit und Inszeniertheit des wissenschaftlichen Arbeitens wird bei Sanna Kannisto augenfällig, indem sie die Rahmenbedingungen des Beobachtens mit thematisiert.
Birgit Eusterschulte: " Sanna Kannisto interessiert sich sehr für die Ideen der Aufklärung und die Sichtweise, die man auf die Welt gehabt hat, eben nicht einzelne Details herauszunehmen, sondern sie in ihrer Gesamtheit zu sehen, und auch wenn sie so vorgeht, dass sie einzelne Teile aus dem Regenwald isoliert und sie auf kleinen Bühnen inszeniert und zeigt, hebt sie damit eher die Einzigartigkeit und Magie des einzelnen Objekts hervor, und arbeitet somit entgegen einer Methode, wie sie Naturwissenschaftler benutzen würden. "
Eines der Fotos zeigt die Künstlerin im nächtlichen Regenwald, beim Einsammeln von Schmetterlingen, die sie mit einer Lichtfalle, einem beleuchteten Gazeschleier, angelockt hat. Titel des Fotos: Private Collection, Privatsammlung. Ein sehr finnischer Scherz. Denn in Finnland gibt es nicht die ausgeprägte Galerienstruktur, wie wir sie in Deutschland und Europa kennen.
Aufgrund eines großzügigen Stipendiensystems können sich junge Künstler unbehelligt von Markterfordernissen entwickeln. Die Kasseler Schau zeigt, zu welchen eigenartigen und beeindruckenden Ergebnissen das führen kann. Auch deshalb ist der Ausstellungstitel programmatisch: "Selbstauslöser".
Service:
Die Ausstellung "Selbstauslöser" mit Arbeiten von Elina Brotherus, Aino Kannisto, Sanna Kannisto, Fanni Niemi-Junkola und Salla Tykkä ist vom 21. Dezember 2005 bis 26. Februar 2006 in der Kunsthalle Fridericianum zu sehen.