Bilder aus der Parallelwelt

Von Guylaine Tappaz |
Für viele Türken und Araber sind sie eine Art zweites Wohnzimmer: die Männercafes. Im grellen Neonlicht sitzen sie stundenlang, trinken Tee, spielen Karten, schauen fern. Die rumänische Fotografin Loredana Nemes hat diese Läden und ihre Gäste porträtiert.
"Kamera um den Hals ist therapeutisch. Nicht im Heilen eines Problemfalls, sondern weil es wohltuend ist, meditativ."

"Diese Entschleunigung durch die Fotografie ist mir wichtig und die Reduktion auf ein Rechteck. Die sonst einen überflutende Welt wird reduziert, und man kann etwas konzentrierter wahrnehmen."

Das schließt für Loredana Nemes eines aus: digital zu fotografieren. Zu groß ist das Risiko, sich zu zerstreuen. Und dann würde ihr die Stille in der Dunkelkammer fehlen - und auch der "Kick", wie sie sagt. Bisher fotografiert die 38-Jährige nur schwarz-weiß.

Loredana Nemes strahlt eine angenehme Ruhe aus. Das Wollkleid hängt lässig über der Jeans, das lange, braune Haar trägt sie offen. In ihrem Foto-Studio in Berlin-Kreuzberg zieht sie Abzüge aus den schützenden Pergamentfolien. Darauf sind Milchglasscheiben, auf denen sich Schatten abzeichnen: von einer Pflanze, einer Reihe Wasserpfeifen oder von Pokalen. Schatten manchmal eines Mannes, der am Tisch sitzt. An einer Tür steht: "Privaträume, nur für Mitglieder." Und der Zutritt bleibt dem Betrachter dieser Bilder verwehrt. Die Fotografin hat für die Reihe "Beyond" Berliner Männercafés ausschließlich von außen und nachts fotografiert.

"Ich wollte nicht einen Beitrag machen über die Türken und wie sie in den Cafés leben, sondern viel mehr wollte ich eine Arbeit machen über unseren Blick, den Blick der Deutschen, Angst vor dem Fremden, das Mysterium vor dem Fremden. Dafür eignete sich diese Trennung beizubehalten."

Die Bilder sind extrem scharf und verhüllen doch das Wichtigste. Noch deutlicher wird es bei den Porträts der Cafébesucher. Die Fotografin bleibt draußen, ihr Sujet posiert drinnen. Hinter den unterschiedlich gemusterten Fensterscheiben kann man die Gesichter von Ali, Ünal oder Kemal nur erahnen. Sie bleiben schemenhaft, verzerrt, fremd.

"Sie müssen sich vorstellen, wie befremdlich es für den Mann sein muss: Er sitzt fünf Zentimeter mit der Nase von der Scheibe entfernt und glotzt in eine milchige Leere."

Loredana Nemes wächst in den 70er-Jahren in Sibiu auf, in Rumänien. Ihr Vater, ein Bauingenieur, muss beruflich viel reisen. Und weil er immer zurückkehrt, bekommt er schließlich ein Reisevisum für Westeuropa. Die Familie fährt 1986 in den Urlaub – in Wien heißt es plötzlich: Wir gehen nicht mehr zurück. Loredana ist damals 13 - und durch ihre deutsche Kinderfrau die einzige, die Deutsch spricht. Ein Jahr lang lebt die Familie zu dritt im Zimmer eines Asylbewerberheims.

"Ich sehe es mittlerweile als Reichtum, von zwei Kulturen beeinflusst worden zu sein und zwei Lebensabschnitte gehabt zu haben, die mich geformt haben. Aber der Verlust war und ist nach wie vor groß."

Zu ihrem 18. Geburtstag wünscht sich die zierliche Frau keinen Führerschein, sondern eine Kamera. Sie studiert Literatur und Mathematik in Aachen, bevor sie mit 28 Jahren den Sprung ins kalte Wasser wagt - als freischaffende Fotografin.

"Ich habe einen kleinen Kurs Dunkelkammertechnik bei der Volkshochschule belegt. Das war’s. Das Leben ist der beste Lehrmeister."

Inzwischen hat Loredana Nemes Lehraufträge an Kunsthochschulen, ihre Fotos werden von Museen gekauft. Nähe und Distanz, Vertrautheit und Fremde – mit ihrer Kamera begibt sich die Fotografin gern in Zwischenräume.

Für ihre Reihe "Über Liebe" wagt sich Loredana Nemes 2006 erstmals vor die Kamera. Sie schlüpft in ein Brautkleid. Nicht in irgendeines, sondern in ihr eigenes, das aber nie zum Einsatz kam: Die Hochzeit wurde abgesagt.

"Weil es dann lange im Kleiderschrank hing und sich nicht verkaufen ließ, habe ich irgendwann gedacht, ja, wahrscheinlich soll es mein sein, ich soll es tragen. Und so wusste ich, ich will etwas probieren."

Und so bittet die Fotografin in verschiedenen Ländern Männer, sich mit ihr für ein Hochzeitsfoto abbilden zu lassen und ihr von der Liebe zu erzählen. Einfach so, auf offener Straße. Aus der Aufarbeitung der eigenen Liebesgeschichte sind kitschige, rührende, skurrile Hochzeitsbilder entstanden – und kleine Antworten auf die mysteriöse Frage: Was macht Liebe aus? Doch die Fotos sagen auch etwas über das Brautmodell aus:

"Ich sehe nicht aus wie auf den Bildern, sondern wie die Frau von Greg, oder die Frau von Dan. Welcher Teil von mir wird gerade herausgekitzelt, in welcher Beziehung? Ja, spannende Reise."

Ob sie noch heiraten möchte? Das verrät Loredana Nemes nicht. Nur so viel: Das Brautkleid will sie weiter auf Reisen mitnehmen.