Bilanz eines Super-Wahljahres

Von Andreas Baum |
Es war das Superwahljahr mit sieben Landtagswahlen. Die schwarz-gelbe Bundesregierung wollte 2011 die Mehrheit im Bundesrat zurückholen - und scheiterte. Wie hat das veränderte Kräfteverhältnis die Arbeit der Berliner Regierung beeinflusst?
Als der Präsident des Bundesrates, der Bürgermeister der Freien Hansestadt Bremen, Jens Böhrnsen (SPD), am 24. September 2010 die Sitzung eröffnet, hat er gleich zwei Bemerkungen zu diesem historischen Datum zu machen: Erstens ist fast auf den Tag genau zehn Jahre zuvor der Bundesrat von Bonn nach Berlin gezogen. Und zweitens hat mit der Neukonstituierung der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen die Bundesregierung ihre Mehrheit in der Länderkammer verloren - zum ersten Mal in dieser Legislaturperiode. Auf den Plätzen, die dem bevölkerungsreichsten Bundesland zustehen, hat ein neues Team Platz genommen.

"Die neu gebildete Landesregierung hat mit Wirkung vom 15. Juli 2010 Frau Ministerpräsidentin Kraft, die ich hier herzlich begrüße."

Nordrhein-Westfalen stehen sechs Sitze im Bundesrat zu - genauso viele, wie Baden-Württemberg, Bayern oder Niedersachsen. Obwohl Nordrhein-Westfalen mit Abstand die meisten Einwohner hat, 17 Millionen, sind es nicht mehr. Da das Land traditionell ohnehin sozialdemokratisch regiert wird, versuchte die Bundesregierung, den Verlust der entscheidenden sechs Stimmen im Bundesrat anfangs als Betriebsunfall zu verharmlosen. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) war sich sicher, dass dies nicht der Anfang vom Ende der eigenen Regierungsfähigkeit sein würde, denn eigentlich, so glaubte sie, stand sie mit ihrer Koalition gut da, bis auf einige Schönheitsfehler:

"Die Bilanz der christlich-liberalen Regierung in ihrem ersten Jahr, sie kann sich sehen lassen. In der Sache. Aber nicht immer im Stil. Und unsere Freunde in Nordrhein-Westfalen haben darunter besonders gelitten."

Da waren die Entgleisungen von Außenminister Guido Westerwelle (FDP) in denen er Sozialhilfeempfängern "spätrömische Dekadenz" attestierte, gerade geschehen, und kurz zuvor überboten sich CSU und FDP in gegenseitigen Herabwürdigungen: "Wildsauen", "Gurkentruppe" - Flora und Fauna mussten herhalten, um die gegenseitige Abneigung auch deutlich genug zu machen. Eigentlich aber, da war sich die Kanzlerin sicher, wäre die Scharte der Verlustes der Mehrheit in der Länderkammer schnell wieder ausgewetzt:

"Wir sagen: Dies ist der Herbst der Entscheidungen für wichtige Weichenstellungen in Deutschland. Für das neue Jahrzehnt zwischen 2010 und 2020."

Der Herbst der Entscheidungen sollte die Wende herbeiführen - und 2011 sollte zum Jahr der neuen Machtverhältnisse werden. Dabei fiel Angela Merkel dem Trugschluss zum Opfer, dass eine bequeme Mehrheit in beiden Kammern unproblematisches Regieren erlauben würde. Die Kanzlerin brauchte ein Ziel, um die eigenen Leute zu motivieren: Die schwarz-gelbe Mehrheit im Bundesrat. Sie schien vergessen zu haben, dass dies alleine noch kein Freifahrtschein zum sorglosen Regieren war. Der Parteienforscher Gero Neugebauer erinnert sich an den Anfang der jetzigen Legislaturperiode.

"Die Bundesregierung hat ja bereits bei ihrem Start erleben müssen, dass selbst eine in ihren Augen freundliche Mehrheit nicht ausreicht, um die Zustimmung zu erhalten, beispielsweise zu den Gesetzen Mehrwertsteuerreduzierung für Hotels. Da hat die schleswig-holsteinische CDU-geführte Landesregierung ihr erhebliche Schwierigkeiten in den Weg gelegt. Sie musste mit der verhandeln."

Angela Merkel hatte also, als das Jahr 2011 anbrach, nicht weniger als sieben Landtagswahlen zu bestehen. Und die Meinungsforscher attestierten ihr, dass dies ein schwerer Gang werden würde - mit dem Rücken an der Wand, so schien es, gelang es ihr am besten, die eigenen Anhänger zu motivieren und in die Begeisterung zu versetzen, die nötig sein würde, um gegen den Trend zu gewinnen.

"Werft die Prognosen in den Papierkorb, geht raus und kämpft für unsere Ziele."

Die Stimmung also war gut, nun konnte das Superwahljahr kommen. Den Anfang machte, am 20. Februar, die Hansestadt Hamburg. Hier regierte ein relativ glückloser CDU-Bürgermeister, Christoph Alhaus, der nur deswegen die Stadt in die Wahl führen durfte, weil sein Vorgänger, Ole von Beust, im Sommer zuvor von der eigenen Partei aus dem Amt gemobbt worden war: Dessen Liebe zu einem jungen Mann, die er nicht mehr verstecken wollte, passte den Konservativen von der Elbe nicht ins Weltbild. Die Quittung der Wähler fasst am Wahlabend Hermann Gröhe zusammen, Generalsekretär der CDU:

"Die CDU hat in Hamburg eine schwere Niederlage erlitten, ausgesprochen schmerzhafte Verluste einstecken müssen. Dies ist ein schwerer Schlag für die CDU in Hamburg."

Das Ergebnis für die Union ist historisch schlecht. Sie verliert fast die Hälfte der Stimmen, über 20 Prozent. Die SPD gewinnt über 14 Prozent und springt mit Leichtigkeit in den Bereich der absoluten Mehrheit. Olaf Scholz (SPD) regiert die Stadt, Thomas Oppermann, Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD, kann sein Glück kaum fassen.

"Ich kann mich gar nicht erinnern, dass so viele Menschen bei einer Landtagswahl SPD gewählt haben, wie in Hamburg. Das ist ein großartiges Ergebnis für Olaf Scholz und die Hamburger Sozialdemokraten. Olaf Scholz und die Hamburger SPD haben ja nicht nur die eigene Anhängerschaft mobilisiert, sondern sie haben die gesellschaftliche Mitte für die SPD zurückgewonnen, und das zeigt uns das Hamburger Wahlergebnis."

Bei den Wahlen in Sachsen-Anhalt, am 20. März, verlor die CDU dann nur gut drei Prozent, es veränderte sich kaum etwas. Die offenkundige Lieblingskoalition der Sachsen-Anhaltiner, die schwarz-rote, blieb im Amt. Für eine Partei jedoch veränderte sich viel: Für die FDP. Cornelia Pieper (FDP), Staatsministerin im Auswärtigen Amt, zeigte ihre Enttäuschung am Wahlabend offen.

"Wir mussten hier einen Wahlkampf führen, ohne funktionales Element, aus der Opposition Themen vertreten wie Arbeit, bessere Bildung, Kommunalpolitik. Das hat die Schwierigkeit des Wahlkampfes für die FDP ausgemacht, dass wir mit den Themen nicht durchdringen konnten."

Die FDP verliert fast drei Prozent, fliegt aus dem Landtag und bekommt am Ende weniger Stimmen als die rechtsradikale NPD. Die Hoffnungen der Kanzlerin liegen nun auf den Wahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg, die am selben Tag stattfinden, dem 27. März 2011. Auch hier gilt: Die CDU konnte ihr Ergebnis knapp halten. Die SPD verlor sogar neun Prozent - zumeist an die Grünen. Aber die FDP versagte in großem Stil.

"Es sieht nach dem jetzigen Stand der Auszählung nach einer bitteren Niederlage aus."'

Rainer Brüderle, damals von Wirtschaftsminister, heute Fraktionsvorsitzender der FDP, kommentiert das Ergebnis seiner Partei: Fast die Hälfte der Stimmen hat sie verloren, es bleiben ihr 4,2 Prozent. Brüderle sucht nach Schuldigen.

"Die Wahl war dann überlagert, nachdem wir uns wieder hochgearbeitet haben, aber die Ereignisse in Japan, Krieg in Libyen, Euro-Diskussion, vieles andere hat die Landespolitik überlagert, so dass die landespolitischen Vorstellungen nicht so zum Tragen kamen."

Am selben Tag wählt ein weiteres Land - das bisher für die Union stets eine sichere Bank gewesen ist. Hier zu verlieren, das hatte man bei den Christdemokraten eigentlich für unmöglich gehalten.

"Dies ist ein bitterer Tag für die CDU in Baden-Württemberg."

Stefan Mappus, damals noch Ministerpräsident in Baden-Württemberg. 58 Jahre lang hatte seine Partei das Ländle fest im Griff gehabt:

"Dies ist ein bitterer Tag für mich persönlich. Ich füge hinzu, dies ist auch nach fester Überzeugung meiner politischen Freunde und von mir kein guter Tag für Baden-Württemberg. Und trotzdem gilt es in der Demokratie solch einen Tag auszuhalten und sich auch als Opposition an die Arbeit für Baden-Württemberg zu machen."

Ein guter Vorsatz, der allerdings für ihn selbst nicht gelten sollte. Mappus legte nach und nach alle Ämter nieder, im August 2011 auch sein Landtagsmandat - er bereitete sich auf eine Karriere beim Pharma-Konzern Merck vor. Dort sollte er ab März 2012 Mercks Geschäfte in Brasilien leiten. Dazu wird es nicht kommen. Ende November schied Mappus auch bei Merck aus. Der Grund: Noch immer muss er sich für Kungeleien aus seiner Zeit als Ministerpräsident verantworten. So hat er 2010 dafür gesorgt, dass sich das Land Baden-Württemberg wieder beim Energieriesen EnBW einkauft - und er hat dafür gesorgt, dass Hunderte von Millionen von Steuergelder dafür ausgegeben wurden, Atomkraftwerke zumindest teilweise in Landesbesitz zu bringen. Der Ärger, den das nach sich zieht, war manchem in der Spitze von Merck wohl zuviel. Am Wahlabend jedoch, dem 27. März, war all das noch weit weg. Mappus' Herausforderer freuten sich, beispielsweise Nils Schmidt von der SPD.

"Wir haben den historischen Wechsel geschafft mit einem Wahlkampf, der klar Kurs gehalten hat. Über Monate hinweg haben wir als SPD, habe ich als Spitzenkandidat die wichtigen Zukunftsthemen für das Land vorangetragen."

Bitter nur für Schmidt: Auch er wird nicht Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg. Das wird ein anderer.

"Wir werden in diesem Land einen Politikwechsel einleiten (Jubel)"

Winfried Kretschmann (Die Grünen), der Studienrat aus Sigmaringen. Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik wird der Ministerpräsident eines Landes von den Grünen gestellt.

"Und wir werden den versprochenen Weg in die Bürgergesellschaft gehen und wir werden diesen Politikwechsel mit der Bevölkerung von Baden Württemberg zusammen einleiten."

Die Bevölkerung von Baden-Württemberg dankte es ihm, indem sie Monate später in einem Volksentscheid verfügte, dass der umstrittene Bahnhof Stuttgart 21 weiter gebaut werden soll - wäre dies nicht geschehen, hätte Kretschmann wohl wortbrüchig werden müssen. Sein Versprechen, Stuttgart 21 nicht durchzuführen, hatte ihn an die Macht gebracht. Als er Ministerpräsident war, gestand er seinen Bürgern relativ schnell ein, dass der Bahnhof gebaut werden muss - trotz aller Proteste.

Für die Union hingegen war der Verlust dieses, ihres Hinterlandes mehr als nur eine verlorene Schlacht. Bundeskanzlerin Merkel macht nach der Wahl keinen Hehl aus ihrer Vermutung, dass dies eine Zeitenwende bedeuten könnte.

"Das ist ein tiefer Einschnitt in der Geschichte des Landes Baden-Württemberg und damit auch in der Geschichte der christlich demokratischen Union. Und sicherlich wird man auch an einem Tag diesen Schmerz nicht verkraften können, sondern wir werden daran noch länger arbeiten an dieser schmerzhaften Niederlage."

Wie die Einschätzungen sich von nun ab gleichen…

"Es ist eine schmerzhafte Niederlage. Und es ist eine herbe Enttäuschung, auf Platz drei zu landen, in einer Stadt wie Bremen."

Hermann Gröhe, CDU-Generalsekretär, nach der Wahl zur Bürgerschaft in Bremen. Die Union hat lange vor der Niederlage in Baden Württemberg die Hoffnung verloren, in dieser Legislaturperiode wieder mit und nicht gegen den Bundesrat zu regieren. Nun aber reicht es nicht einmal mehr für den schönen Schein. Nach der Bremer Wahl folgt die in Mecklenburg-Vorpommern am 4. September. Die CDU verlor fast sechs Prozent, die SPD gewann mehr als fünf und blieb stärkste Kraft. Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD):

"(Jubel) Liebe Freunde, alle die ihr mitgekämpft habt, bitte vergesst das nicht, was für ein tiefes Tal das war, 16,6 Prozent und wir haben es geschafft, weil wir zusammengehalten haben, weil wir einen sehr guten Programmprozess gemeinsam gemacht haben, mit den Menschen im Land."

Fehlt noch eine: Die Wahl zum Abgeordnetenhaus in Berlin am 18. September 2011. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit kann sich den Koalitionspartner aussuchen und schwebt im siebten Himmel.

"(seufzt) Ach, es ist so schön, bei Euch zu sein, ich hab eben im Fernsehen geguckt, die Wahlparties der anderen Parteien, ich muss sagen, unsere ist die schönste und die beste, und schönen Dank für Eure Unterstützung."

Die Berliner Wahl bestätigt einen weiteren Trend. Die FDP wird zur Splitterpartei. Sie bekommt, wie Spitzendkandidat Christoph Meyer einräumen muss, weniger Stimmen als die rechtsradikale NPD, nämlich 1,8 Prozent.

"Das ist heute ein harter Tag für uns. Ich hätte mir gewünscht, dass wir ein schöneres Ergebnis heute hier verkündet bekommen hätten."

Dafür zieht eine andere ins Abgeordnetenhaus ein: Die Piratenpartei, mit fast neun Prozent. Pirat Andreas Baum:

"Ja, sensationeller Erfolg, oder? Ich meine, wir brauchen nicht viel zu analysieren. Wahnsinn. Ihr könnt das jetzt alle nicht sehen. Mir steht noch ein bisschen der Kopf offen."

Während die Piraten nicht aus dem Staunen herauskommen, stellt sich für die Bundesregierung die Frage, wie es nun weitergehen soll. Die Mehrheit im Bundesrat ist unerreichbar geworden. Regieren muss sie trotzdem, gewählt wird erst in mehr als anderthalb Jahren.

"Also dieses System, auf der einen Seite haben wir eine Bundestagsmehrheit, und ne Regierungsmehrheit, und auf der anderen Seite die Opposition, die sich des Bundesrats bedient, um ihre Ziele durchzusetzen, ist teilweise ne Erzählung, ne Schimäre, und nur selten Wirklichkeit gewesen."

Gero Neugebauer, Parteienforscher an der Freien Universität Berlin:

"Beispielsweise in den neunziger Jahren, damals hat die SPD unter Lafontaine das versucht, vorher, als die SPD-FDP-Koalition war, hat es die CDU versucht unter Kohl. Grundsätzlich gehen die Länder davon aus, dass sie spezifische Interessen haben, sie gehen davon aus, dass in Aushandlungsprozessen mit der Regierung ihre Interessen berücksichtigt werden können. Das kann dazu führen, dass selbst bei solch lächerlichen Angelegenheiten wie der Wahl eines Richters am Bundesverfassungsgericht die Länder, die von Oppositionsparteien geführt werden, sagen: Wir stimmen dem nicht zu. Aber wenn ihr uns was anbietet, stimmen wir dem vielleicht doch zu."

Die Wahl des ehemaligen Ministerpräsidenten des Saarlands, Peter Müller (CDU), zum Verfassungsrichter in Karlsruhe ist ein gutes Beispiel für die Kuhhändel in Zeiten unterschiedlicher Mehrheiten im Bundesrat. Die SPD-geführten Ländern waren an und für sich gegen Peter Müller als Verfassungsrichter - nicht nur, weil er CDU-Politiker ist. Sondern auch, weil dessen Kompetenz angezweifelt wurde. Am Ende stimmten sie doch ohne Aussprache mit den unionsgeführten Ländern für ihn. Ob die SPD dafür das Recht bekommen hat, Kiel zum Tiefseehafen auszubauen, womit sie dann vor den Landtagswahlen punkten kann, oder ein anderes Zugeständnis, das inhaltlich nichts mit der Wahl eines Verfassungsrichters zu tun haben muss - das wird Gero Neugebauer zufolge möglicherweise nie ans Licht kommen. Klar ist: die Bundesregierung muss kreativ sein, um die Zeit bis zu den Wahlen 2013 zu überbrücken.

"Sie muss sehen, ob sie die Gesetze, die sie verabschiedet, so splittet, dass es möglicherweise nicht mehr Zustimmungspflichtige sind, das wird ihr bei Haushalts- und Steuersachen nicht gelingen, oder, was das einfachste wäre, mit Verwaltungs- und anderen Rechtsvorschriften regiert."

So aber sind die großen Projekte, die anstehen, nicht zu bewältigen. Beispiel Bundeswehrreform. Weil Standorte in den Ländern geschlossen werden, kann der Bundesrat mitreden - gleiches gilt für die Reform der Mehrwertsteuer. Dass die unterschiedlichen Besteuerungen - 19 Prozent auf einen Esel, aber nur sieben Prozent auf ein Maultier - schwach begründet sind, ist seit Jahren unumstritten. Bislang aber ist es aufgrund der komplizierten Gemengelage keiner Bundesregierung gelungen, das Durcheinander zu entwirren. Der Politikwissenschaftler Gero Neugebauer.

"Bei der Mehrwertsteuer ist es so, dass da Tarifänderungen dazu führen, dass die Einnahmen der Länder verändert werden. Wenn die Einnahmen der Länder verändert werden, muss man ein solches Gesetz zustimmungspflichtig machen. Und da werden die Länder dann sagen: Wir wollen bitteschön aushandeln, dass unsere Einkommen nicht geschrumpft werden."

Nun wären alle diese Projekte aufschiebbar, bis zu einer neuen Mehrheit im Bund oder anderen Machtverhältnissen im Bundesrat. Bei dem dieser Tage wohl wichtigsten Thema ist dies nicht so: Die Euro-Rettung, sofern hierfür europäische Verträge geändert werden, ist auch Ländersache. Gero Neugebauer:

"Der Bundesrat ist seit der letzten Grundgesetzänderung mitzuständig, wenn es um Fragen der europäischen Verfassung geht, oder auch um die Entwicklung der europäischen Institutionen. Die Übertragung von nationalen Kompetenzen an die europäische Kommission ist mitbestimmungspflichtig, da muss der Bundesrat zustimmen. Insofern kann er sich durchaus eine Meinung bilden, sich quer legen und den Prozess verzögern."

Dies ist umso komplizierter, als sich die Landkarte der Bundesrepublik verändert hat. Konnte man die Bundesländer früher problemlos in rot-regiert und schwarz-regiert einteilen, zeigt sich heute ein bunter Flickenteppich. Es gibt Rot, rot-schwarz, schwarz-rot, schwarz-gelb, schwarz-gelb-grün, rot-grün, rot-dunkelrot und - neuerdings - Grün-rot.

"Es ist ein grüner Ministerpräsident dazu gekommen, der natürlich auch seine Position ausbauen möchte. Dann haben wir noch eine Ost-West-Trennung unter den Ländern. Und wir haben eine Trennung, wo man sagen kann: In den einen Ländern ist es schwarz-rot, in den anderen rot-schwarz. Diese Vielfarbigkeit der Regierungskonstellationen ist nichts, was der Bundesregierung förderlich ist."

Ohne die SPD können kaum noch Gesetze verabschiedet werden. Ist also die Sozialdemokratie in Wirklichkeit schon längst Regierungspartei? Es war ohne Zweifel lange Zeit der Wunsch vieler Sozialdemokraten, dass sie, wenn sie abends als Opposition zu Bett gehen, morgens als Regierungspartei wieder aufstehen könnten. So einfach wird es nicht. Aber bei den Entscheidungen über den europäischen Stabilitätsfonds hat die SPD gezeigt, dass sie gesamtstaatliche Verantwortung zu tragen willens und in der Lage ist. So und nicht anders gelingt es auch der Bundesregierung, die Sozialdemokratie mit einzubeziehen: Mit dem Appell an ihre Verantwortung. Gero Neugebauer sagt:

"Insofern ist die Vermutung, sie sei eine getarnte Regierungspartei, schon richtig, wenn man sich anguckt, mit welchem Harmoniebedürfnis, um das mal ein bisschen grob zu formulieren, die Sozialdemokratie die Regierungsarbeit begleitet. Und nur gelegentlich so deutliche Differenzen betont, dass der Wähler sagt: Da ist ne Alternative."

Und die FDP? Sie wird es fast allen Beobachtern zufolge schwer haben, 2013 wieder in den Bundestag gewählt zu werden - zu unklar ist den meisten Wählern, welche besonderen Leistungen die Liberalen zur jetzigen Bundesregierung beigetragen haben. Sie wird daher so lange durchhalten, wie sie kann. Dies ist auch der Grund dafür, warum Parteienforscher Gero Neugebauer zufolge der Ausweg, durch vorgezogene Bundestagswahlen Klarheit zu schaffen, wenig wahrscheinlich ist.

"Ich halte vorgezogene Neuwahlen für ausgeschlossen. Insgesamt sind die Unwägbarkeiten für die Regierungsparteien im Moment zu groß, so dass man sagen wird: Lieber Augen zu, Kopf einziehen, und durchwursteln bis zum Ende 2013, als jetzt aufgeben und dann mit der Sozialdemokratie zusammenzugehen, die zur Zeit ohnehin nur das Zusammengehen unter ihrer Führung akzeptieren würde."