Bierbichler inszeniert das Holzhacken als Vergangenheitsbewältigung
Der Schauspieler Josef Bierbichler hat an der Schaubühne die Aufführung "Holzschlachten. Ein Stück Arbeit" inszeniert. Er spielt auch selbst die Hauptrolle. Das Stück basiert auf Interviews eines KZ-Arztes, der Menschenversuche durchführte. Bierbichler hält einen Monolog und hackt auf offener Bühne Holz. Anderthalb Stunden.
Josef Bierbichler – "Sepp" Bierbichler – ist ein Schauspieler, der richtig zupacken kann. Sprachlich, aber auch körperlich:
" Ja, seit 40 Jahren. Seit 40 Jahren übe ich Holzhacken. Im Herbst oft. Wenn der Winter droht, manchmal im Frühjahr, damit’s über Sommer trocknet. Und ganz selten im Sommer."
Bierbichler ist einer vom Land, aufgewachsen am Starnberger See, wo ihm seine Eltern ihren Gasthof vererbt haben. Die einsam-meditative und schweißtreibende Arbeit des Holzspaltens ist dem Schauspieler, der in Stücken von Herbert Achternbusch oder Franz Xaver Kroetz als rebellischer Charakter berühmt wurde, vertraut.
"Drum mach ich des auch: Weil ich’s kann. Sonst hätte ich es nicht gemacht. Ich wollte mal etwas machen, was ich wirklich kann."
An der Berliner Schaubühne will Bierbichler das Holzhacken als Theaterarbeit inszenieren. Bierbichler anderthalb Stunden allein auf der Bühne: dazu nur ein Beil, Musik von Mahler – und der Text.
"Ich bereite sehr genau vor. Die ganzen technischen Sachen. Es passiert ja mehr, ein bisschen Bühnenzauber. Und ich lern den Text auswendig. Aber den eigentlichen Hack- und Textsprechvorgang gleichzeitig, den heb ich mir auf für die Premiere. Weil ich ja rauskriegen will: Was macht körperliche Erschöpfung mit dem Text, den ich dann zu sprechen hab. Wenn der Körper völlig erschöpft ist, gibt es, glaub ich, nicht mehr viel Spielraum, um Texte zu manipulieren oder zu schönen oder um Eitelkeit unterzubringen."
Der Text: die Bekenntnisse des KZ-Arztes Hans Münch. Der Mitarbeiter und Bewunderer von Josef Mengele in Auschwitz hatte in Interviews ein markerschütterndes Dokument andauernder Verblendung durch die biologistische Nazi-Ideologie abgeliefert. Ein Überzeugungstäter, der sich noch ein halbes Jahrhundert nach den Menschenversuchen dazu bekennt – und keine Schuld bei sich erkennt.
Bei Bierbichler klingen Münchs Zitate so:
Zitat: "Ich bin, ich bin ja als Kriegsverbrecher angeklagt worden und frei gesprochen worden, weil mir nicht nachgewiesen wurde, dass ich in diesem Kriegsverbrechermilieu etwas getan habe, was gegen die Menschlichkeit verstößt."
Bierbichler interessiert sich weniger für die Person des KZ-Arztes als für dessen gefährliches Denk-Muster.
"Ich sag ihnen nen Satz von Heiner Müller. Heiner Müller war der Ansicht, dass die Selektionen in Auschwitz das Modell für die Selektionen des kommenden Jahrhunderts sind. (...) Und so wie Münch die Notwendigkeit behauptet hat, unter der er gearbeitet hat, dass es quasi nicht verhinderbar war und auch richtig war. Ich glaub, dass in Verwaltungsetagen durchaus ähnliche Gespräche geführt werden, wenn’s eng wird aufm Globus. Immer da, wo Ressourcen zu suchen sind, wird’s eng aufm Globus."
Parallelen zur Gegenwart: Für Sepp Bierbichler sind die grundlegenden Mechanismen und bürokratischen Sprachregelungen, die Auschwitz möglich gemacht haben, noch heute wirksam. In anderer Form, in anderer Verpackung.
"Dass überhaupt noch so etwas wie Patriotismus oder Nationalismus eine Rolle spielt, hätte ich nicht gedacht. Dass das noch mal hochkommen kann, dass man sich daran noch mal aufgeilen kann. Mir ist es völlig fremd, absolut fremd."
Als einer aus dem Jahrgang 1948, der in der alle nationale Symbolik skeptisch betrachtenden Bundesrepublik aufwuchs, ist die im Augenblick fußballbedingt in Deutschland zelebrierte Lust am Schwarz-Rot-Gold suspekt:
"Ich hab [gestern] einen Fernsehbericht gesehen, dass 1974 bei der WM nicht einmal halb so viele Deutschlandfahnen verkauft worden sind wie jetzt. Und die haben richtig Lieferschwierigkeiten. Also, wenn ich den Kudamm nach so einem Spiel anschaue, und die schreien auch richtig "Deutschland", die sind alle so zwischen 20 und 30, 40 Jahre alt. Das ist ein Event, das da abläuft, vielleicht ist es gar nicht gefährlich, aber es klingt wirklich bedrohlich."
"Die Freude kann doch trotzdem da sein, ohne dass sie sich in so einen Begriff bündelt. Und es ist bei uns noch mal was anderes, wenn die Italiener oder Brasilianer genauso ausflippen und ihre Fahnen schwenken. Wir haben eine andere Geschichte. Wir können die nicht ignorieren. Wieweil sie es ganz gerne hätten, dass das endlich vorbei wäre. Ich glaub, das ist ein Fehlgedanke."
Vergangenheitsbewältigung, das ist wie Holzhacken, meint Bierbichler. Eine schier endlose und immer wieder aufs Neue notwendige Arbeit. Heute Abend hackt Bierbichler. Anderthalb Stunden. Auf offener Bühne.
Service:
"Holzschlachten. Ein Stück Arbeit" von und mit Josef Bierbichler hat heute um 20 Uhr in der Berliner Schaubühne am Lehniner Platz Premiere.
Weitere Aufführungen: 22. Juni und 3. Juli
" Ja, seit 40 Jahren. Seit 40 Jahren übe ich Holzhacken. Im Herbst oft. Wenn der Winter droht, manchmal im Frühjahr, damit’s über Sommer trocknet. Und ganz selten im Sommer."
Bierbichler ist einer vom Land, aufgewachsen am Starnberger See, wo ihm seine Eltern ihren Gasthof vererbt haben. Die einsam-meditative und schweißtreibende Arbeit des Holzspaltens ist dem Schauspieler, der in Stücken von Herbert Achternbusch oder Franz Xaver Kroetz als rebellischer Charakter berühmt wurde, vertraut.
"Drum mach ich des auch: Weil ich’s kann. Sonst hätte ich es nicht gemacht. Ich wollte mal etwas machen, was ich wirklich kann."
An der Berliner Schaubühne will Bierbichler das Holzhacken als Theaterarbeit inszenieren. Bierbichler anderthalb Stunden allein auf der Bühne: dazu nur ein Beil, Musik von Mahler – und der Text.
"Ich bereite sehr genau vor. Die ganzen technischen Sachen. Es passiert ja mehr, ein bisschen Bühnenzauber. Und ich lern den Text auswendig. Aber den eigentlichen Hack- und Textsprechvorgang gleichzeitig, den heb ich mir auf für die Premiere. Weil ich ja rauskriegen will: Was macht körperliche Erschöpfung mit dem Text, den ich dann zu sprechen hab. Wenn der Körper völlig erschöpft ist, gibt es, glaub ich, nicht mehr viel Spielraum, um Texte zu manipulieren oder zu schönen oder um Eitelkeit unterzubringen."
Der Text: die Bekenntnisse des KZ-Arztes Hans Münch. Der Mitarbeiter und Bewunderer von Josef Mengele in Auschwitz hatte in Interviews ein markerschütterndes Dokument andauernder Verblendung durch die biologistische Nazi-Ideologie abgeliefert. Ein Überzeugungstäter, der sich noch ein halbes Jahrhundert nach den Menschenversuchen dazu bekennt – und keine Schuld bei sich erkennt.
Bei Bierbichler klingen Münchs Zitate so:
Zitat: "Ich bin, ich bin ja als Kriegsverbrecher angeklagt worden und frei gesprochen worden, weil mir nicht nachgewiesen wurde, dass ich in diesem Kriegsverbrechermilieu etwas getan habe, was gegen die Menschlichkeit verstößt."
Bierbichler interessiert sich weniger für die Person des KZ-Arztes als für dessen gefährliches Denk-Muster.
"Ich sag ihnen nen Satz von Heiner Müller. Heiner Müller war der Ansicht, dass die Selektionen in Auschwitz das Modell für die Selektionen des kommenden Jahrhunderts sind. (...) Und so wie Münch die Notwendigkeit behauptet hat, unter der er gearbeitet hat, dass es quasi nicht verhinderbar war und auch richtig war. Ich glaub, dass in Verwaltungsetagen durchaus ähnliche Gespräche geführt werden, wenn’s eng wird aufm Globus. Immer da, wo Ressourcen zu suchen sind, wird’s eng aufm Globus."
Parallelen zur Gegenwart: Für Sepp Bierbichler sind die grundlegenden Mechanismen und bürokratischen Sprachregelungen, die Auschwitz möglich gemacht haben, noch heute wirksam. In anderer Form, in anderer Verpackung.
"Dass überhaupt noch so etwas wie Patriotismus oder Nationalismus eine Rolle spielt, hätte ich nicht gedacht. Dass das noch mal hochkommen kann, dass man sich daran noch mal aufgeilen kann. Mir ist es völlig fremd, absolut fremd."
Als einer aus dem Jahrgang 1948, der in der alle nationale Symbolik skeptisch betrachtenden Bundesrepublik aufwuchs, ist die im Augenblick fußballbedingt in Deutschland zelebrierte Lust am Schwarz-Rot-Gold suspekt:
"Ich hab [gestern] einen Fernsehbericht gesehen, dass 1974 bei der WM nicht einmal halb so viele Deutschlandfahnen verkauft worden sind wie jetzt. Und die haben richtig Lieferschwierigkeiten. Also, wenn ich den Kudamm nach so einem Spiel anschaue, und die schreien auch richtig "Deutschland", die sind alle so zwischen 20 und 30, 40 Jahre alt. Das ist ein Event, das da abläuft, vielleicht ist es gar nicht gefährlich, aber es klingt wirklich bedrohlich."
"Die Freude kann doch trotzdem da sein, ohne dass sie sich in so einen Begriff bündelt. Und es ist bei uns noch mal was anderes, wenn die Italiener oder Brasilianer genauso ausflippen und ihre Fahnen schwenken. Wir haben eine andere Geschichte. Wir können die nicht ignorieren. Wieweil sie es ganz gerne hätten, dass das endlich vorbei wäre. Ich glaub, das ist ein Fehlgedanke."
Vergangenheitsbewältigung, das ist wie Holzhacken, meint Bierbichler. Eine schier endlose und immer wieder aufs Neue notwendige Arbeit. Heute Abend hackt Bierbichler. Anderthalb Stunden. Auf offener Bühne.
Service:
"Holzschlachten. Ein Stück Arbeit" von und mit Josef Bierbichler hat heute um 20 Uhr in der Berliner Schaubühne am Lehniner Platz Premiere.
Weitere Aufführungen: 22. Juni und 3. Juli