Biedermeierliches Porträt eines Mitbewohners

Von Bernhard Doppler · 09.01.2009
Joseph Fouché war Napoleons Polizeipräsident und galt während der Französischen Revolution als einer der grausamsten Politiker. Später ging er nach Linz ins Exil. Die Kulturhauptstadt hat Franz Hummel den Auftrag gegeben, über diesen ehemaligen Mitbewohner eine Oper zu schreiben. Möglicherweise hatte man etwas anderes erwartet.
Napoleons Polizeipräsident, Joseph Fouché (1759-1820), später als Herzog von Otranto geadelt, war einer der schlimmsten Intriganten und Massenmörder, ein Politiker, der zwar immer nur in der zweiten Reihe agierte, aber gerade von dort um so wirkungsvoller und tödlicher, ein Techniker der Macht, der nie von eigenen Idealen aus handelte. (Shakespeares Schurke Richard III. sieht ihm gegenüber harmlos aus.)

Fouché war Mönch und unterrichtete Priester, aber er war auch Jakobiner und plünderte Kirchen, er war Helfer und Freund Robespierres, aber er verriet und entmachtete ihn schließlich, er war Polizeipräsident Napoleons und schließlich der Metternichschen Restauration verbunden. Alle überlebte er, schließlich war Fouché als Chef der Geheimpolizei mit seinem Wissen jedem gefährlich geworden, kurz vor seinem Tod war er – von allen gehasst, aber dennoch mit komfortablem Einkommen - im Exil in der Kleinstadt Linz, vermittelt von Metternich.

Die Kulturhauptstadt Linz hat Franz Hummel den Auftrag gegeben, über diesen ehemaligen Mitbewohner eine Oper zu schreiben. Aus dem Auftrag, der Eröffnung der Opernsaison, ist ein opulenter, sinnlicher Theaterabend geworden, doch möglicherweise hatten man sich anderes erwartet. Nicht ein Psychogramm eines zynischen besessenen politischen Drahtziehers wird gezeigt, sondern ein biedermeierlicher Rückblick auf die französische Revolution präsentiert.

Die Schatten der Erinnerung verfolgen in Hummels Oper einen alten Mann. Im eindrucksvollen Bühnenbild von Bernhard Hammer, das aus fünf großen verschiebbaren aus Holz gefertigten Wellen besteht, tauchen alle Figuren, die seinen Lebensweg gekreuzt haben, wieder auf: Marie Antoinette, Robespierre, Tayllerand, Napoleon, Josephine, Ludwig XVIII…., aber auch Familienangehörige.

Hummel nennt "Fouché" eine "Schauspieloper", denn die Titelrolle ist eine Sprechrolle. Fouché erinnert sich voll Selbstmitleid, hustet, röchelt, krächzt, versucht, wie ein heiserer alter Volksschauspieler auch ein Lied anzustimmen, und bringt schließlich nur mehr Konsonanten hervor. Imponierend, wie der Schauspieler Harald Heinz so über seine Stimme die Figur profiliert! Biedermeierliche Assoziationen bietet vor allem die Musik: betörende Geigenklänge, sentimentale Kinderlieder, ein klagendes Akkordeon; dazwischen sicherlich auch Trommelwirbel, wenn Massenerschießungen erinnert werden. Das für das Kulturjahr gegründete Orchester "Ensemble 09" unter Alexei Kornienko musiziert sehr einfühlsam und kulinarisch, bisweilen berührend sentimental. Wie in seinen letzten Opern hat Hummel den Sängern auch Tänzer zur Verstärkung beigesellt und Susan Orwell als Regisseurin und Choreographin arrangiert klug und temporeich die Erinnerungen Fouchés auf den hölzernen Wellen des Bühnenbilds.

Die Linzer haben die Eröffnungspremiere über den Mitbewohner ihrer Stadt, von dem bisher nur wenig wussten, heftig akklamiert. Und vielleicht gibt Hummels Oper auch die Anregung, ein Meisterwerk Stefan Zweigs zu lesen, das, wie der Zusatz im Titel zeigt, die soziologische Dimension im Gegensatz zu Hummels Schauspieloper nicht ausklammert: "Joseph Fouché. Bildnis eines politischen Menschen."