Bibel-Epos als Kapitalismuskritik
Peter Hacks (1928–2003) war einer der bedeutendsten deutschen Dramatiker der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Da er politisch höchst umstritten war und ist, gibt es im Nachlass des produktiven Stückeschreibers noch Texte, die der Uraufführung harren. Das Wuppertaler Schauspiel wagte sich trotz oder wegen der politisch-ästhetischen Brisanz an einen der Texte: "Jona", vollendet 1988, kurz vor dem Fall der Mauer.
"Ninive, Tigris-Terrassen der Königsburg. Die Handlung spielt Ende des 9. Jahrhunderts." Königin Semiramis und ihr Hof werden Zeuge der Ankunft von Jona, den eben der Walfisch an den Ufern des Stroms ausspeit. Majestät ist von der Weltgewandtheit des Propheten angetan, begrüßt ihn umgehend als Hofrat, sodass Jona die Konflikte im Reich Aussur aus nächster Nähe verfolgen kann.
Wie in jedem guten Drama geht es um Macht und Liebe. Die Politik wird von drei Schichten bestimmt: Außenpolitisch muss ein Ausgleich mit den großen und kleinen Nachbarn herbeigeführt werden, um den prekären Frieden zu wahren. Innenpolitisch ringen der Feldherr und die Prinzessin um die Macht, die Königin Semiramis inne hat und klug verteidigt. Erotisch steht Feldherr Eskar im Mittelpunkt: Um ihn werben nicht nur zwei Prinzessinnen, sondern auch die Königin selbst. Eskar stellt mit seiner Heeresmacht natürlich auch einen Machtfaktor dar, den Semiramis zu berücksichtigen hat.
Hacks ordnet die Intrigen übersichtlich, sie widern Jona immer mehr an: Verrat und Mord sind an der Tagesordnung, Verruchtheit eine überlebensnötige Tugend am Hof. Obwohl Gott Jona eindringlich warnt, übermannt den Propheten, der deutlich Züge von Hacks trägt, Abscheu – und er spricht seinen Fluch aus. Hacks hat ihn unmissverständlich formuliert: "Die Stadt Ninive will nichts, nur bleiben; vergehe sie denn!" Und erklärt zur Begründung: "Glaubt ihr nicht, sagt Gott, so bleibt ihr nicht." Der Fluch bleibt, wie wir aus dem Alten Testament wissen, folgenlos. Schlimmer. Im Machtkampf obsiegt, durch eine List, die alte Macht, Königin Semiramis.
Die Aneignung einer Bibelgeschichte durch einen orthodoxen Kommunisten ist schon erheiternd, der Hinweis auf ihre Gültigkeit auch in unserer Gegenwart ironisch, geistreich und unübersehbar. Mag Hacks' Fluch gegen den Kapitalismus nicht in Erfüllung gegangen sein, der Epilog weist darauf hin, dass Ninive dennoch verging, wenn auch zweihundert Jahre später.
Hacks widerspricht der These, die Geschichte sei an ihr Ende gekommen, entschieden und überzeugend, da er sich der Mythen des Gegners bedient. Aber das "Trauerspiel" ist vieldeutig und kann als Parabel auch für die dem Untergang entgegeneilende DDR gelesen werden. Hacks' "Jona"-Modell gilt für das 9. Jahrhundert vor Christus im Zweistromland wie für unsere Epoche – nicht nur in Europa.
Marc Pommerening inszenierte mit Schauspielschülern: Sie waren, trotz allen Fleißes und ernster Bemühung, weit entfernt, Hacks Blankverse zu meistern. Zu oft eilten sie über die komprimierte Bedeutungsebene hinweg. Aber gerade der Abstand zwischen dem Text des alten Meisters und den unzureichenden Versuchen der Jungen weist mit der Lücke auf die Vollendung des Dramas.
Kim Doerfel spielt Semiramis, eine Schauspielschülerin Mitte zwanzig eine alte, mit allen Wassern gewaschene, verschlagene Königin – der Unterschied hebt hervor, das dieses Stück sich der epischen Tradition Brechts bedient. Die Komik der Figur, nicht zuletzt in ihrem Anachronismus begründet, wird so sichtbar – wie bei allen anderen Gestalten auch.
Pommerening hielt trotz der Schwächen seiner Schauspielschüler, die er, ganz im Sinne seines dialektischen Autors, in Stärken umzuwandeln verstand, die Handlung übersichtlich zusammen, sodass die meisterliche Fügung des makellos gebauten Fünfakters deutlich wurde.
Hacks steht als kompromissloser Kommunist völlig im Gegensatz zum Mainstream. Gerade als radikaler Gegner findet er im Theater seinen Platz. Sein Stück provoziert – auf höchstem Niveau. Zu seinen Hochzeiten wurden Hacks' Stücke auf der besten Bühne der DDR uraufgeführt, im Deutschen Theater. Dort könnte er jetzt wieder gespielt werden – seine Verse sind eine Herausforderungen für die renommiertesten Schauspieler deutscher Zunge. Wenn Wuppertal kühn genug ist, Hacks zu spielen, sollten Zaghafte, Angepasste & Affirmative auch Mut fassen.
Peter Hacks: Jona
Uraufführung am 6. November am Schauspielhaus Wuppertal
Regie: Marc Pommerening
Wie in jedem guten Drama geht es um Macht und Liebe. Die Politik wird von drei Schichten bestimmt: Außenpolitisch muss ein Ausgleich mit den großen und kleinen Nachbarn herbeigeführt werden, um den prekären Frieden zu wahren. Innenpolitisch ringen der Feldherr und die Prinzessin um die Macht, die Königin Semiramis inne hat und klug verteidigt. Erotisch steht Feldherr Eskar im Mittelpunkt: Um ihn werben nicht nur zwei Prinzessinnen, sondern auch die Königin selbst. Eskar stellt mit seiner Heeresmacht natürlich auch einen Machtfaktor dar, den Semiramis zu berücksichtigen hat.
Hacks ordnet die Intrigen übersichtlich, sie widern Jona immer mehr an: Verrat und Mord sind an der Tagesordnung, Verruchtheit eine überlebensnötige Tugend am Hof. Obwohl Gott Jona eindringlich warnt, übermannt den Propheten, der deutlich Züge von Hacks trägt, Abscheu – und er spricht seinen Fluch aus. Hacks hat ihn unmissverständlich formuliert: "Die Stadt Ninive will nichts, nur bleiben; vergehe sie denn!" Und erklärt zur Begründung: "Glaubt ihr nicht, sagt Gott, so bleibt ihr nicht." Der Fluch bleibt, wie wir aus dem Alten Testament wissen, folgenlos. Schlimmer. Im Machtkampf obsiegt, durch eine List, die alte Macht, Königin Semiramis.
Die Aneignung einer Bibelgeschichte durch einen orthodoxen Kommunisten ist schon erheiternd, der Hinweis auf ihre Gültigkeit auch in unserer Gegenwart ironisch, geistreich und unübersehbar. Mag Hacks' Fluch gegen den Kapitalismus nicht in Erfüllung gegangen sein, der Epilog weist darauf hin, dass Ninive dennoch verging, wenn auch zweihundert Jahre später.
Hacks widerspricht der These, die Geschichte sei an ihr Ende gekommen, entschieden und überzeugend, da er sich der Mythen des Gegners bedient. Aber das "Trauerspiel" ist vieldeutig und kann als Parabel auch für die dem Untergang entgegeneilende DDR gelesen werden. Hacks' "Jona"-Modell gilt für das 9. Jahrhundert vor Christus im Zweistromland wie für unsere Epoche – nicht nur in Europa.
Marc Pommerening inszenierte mit Schauspielschülern: Sie waren, trotz allen Fleißes und ernster Bemühung, weit entfernt, Hacks Blankverse zu meistern. Zu oft eilten sie über die komprimierte Bedeutungsebene hinweg. Aber gerade der Abstand zwischen dem Text des alten Meisters und den unzureichenden Versuchen der Jungen weist mit der Lücke auf die Vollendung des Dramas.
Kim Doerfel spielt Semiramis, eine Schauspielschülerin Mitte zwanzig eine alte, mit allen Wassern gewaschene, verschlagene Königin – der Unterschied hebt hervor, das dieses Stück sich der epischen Tradition Brechts bedient. Die Komik der Figur, nicht zuletzt in ihrem Anachronismus begründet, wird so sichtbar – wie bei allen anderen Gestalten auch.
Pommerening hielt trotz der Schwächen seiner Schauspielschüler, die er, ganz im Sinne seines dialektischen Autors, in Stärken umzuwandeln verstand, die Handlung übersichtlich zusammen, sodass die meisterliche Fügung des makellos gebauten Fünfakters deutlich wurde.
Hacks steht als kompromissloser Kommunist völlig im Gegensatz zum Mainstream. Gerade als radikaler Gegner findet er im Theater seinen Platz. Sein Stück provoziert – auf höchstem Niveau. Zu seinen Hochzeiten wurden Hacks' Stücke auf der besten Bühne der DDR uraufgeführt, im Deutschen Theater. Dort könnte er jetzt wieder gespielt werden – seine Verse sind eine Herausforderungen für die renommiertesten Schauspieler deutscher Zunge. Wenn Wuppertal kühn genug ist, Hacks zu spielen, sollten Zaghafte, Angepasste & Affirmative auch Mut fassen.
Peter Hacks: Jona
Uraufführung am 6. November am Schauspielhaus Wuppertal
Regie: Marc Pommerening