BGH-Entscheidung

Können Raser Mörder sein?

Die Lichter der Fahrzeuge auf dem Kurfürstendamm sind am 27.02.2017 in Berlin bei der Langzeitbelichtung als bunte Streifen zu sehen. Nach den lebenslangen Gefängnisstrafen für die beiden Kudamm-Raser, die bei einem illegalen Autorennen auf dem Kurfürstendamm einen Mann bei einem Zusammenstoß getötet hatten, wird bundesweit über das Urteil diskutiert. Foto: Paul Zinken/dpa | Verwendung weltweit
Eine beliebte Rennstrecke: Der Kudamm in Berlin © Paul Zinken/dpa
Gisela Friedrichsen im Gepräch mit Liane von Billerbeck · 01.03.2018
Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe entscheidet am Donnerstag, ob das bundesweit erste Mord-Urteil nach einem illegalen Autorennen in Berlin Bestand haben kann. Gerichtsreporterin Gisela Friedrichsen rechnet auf jeden Fall mit einer hohen Strafe.
Liane von Billerbeck: Ein tödliches Autorennen in der Nacht zum 1. Februar 2016, mit 170 Stundenkilometern fuhren zwei damals 24 und 26 Jahre alte Männer den Berliner Kurfürstendamm hinab und dabei einen Mann tot. Das Landgericht Berlin verurteilte sie zu lebenslangen Freiheitsstrafen, und zwar wegen Mordes. Das war bundesweit erstmals ein Urteil gegen Raser eben wegen Mordes. Dagegen haben die beiden Revision eingelegt, und vor dem BGH geht es heute genau darum. Und vor dieser Entscheidung will ich darüber mit Gisela Friedrichsen reden, der langjährigen "Spiegel"-Gerichtsreporterin, die jetzt für "Die Welt" schreibt. Schönen guten Morgen, Frau Friedrichsen!
Gisela Friedrichsen: Schönen guten Morgen, Frau von Billerbeck!
von Billerbeck: Im vorigen Monat hat das Hamburger Landgericht einen Raser zu lebenslanger Haft verurteilt, ein Jahr zuvor urteilte auch das Berliner Landgericht, wer durch die Stadt rast und dabei Menschen tötet, der muss lebenslang hinter Gitter. Finden Sie diese Urteile angemessen?
Friedrichsen: Ein Grund zur Freude ist es eigentlich nicht, wenn man mitbekommt, dass Menschen andere töten aus solchen Motiven, nämlich nur, um das eigene Ego aufzuplustern und sich dabei über alle Regeln des menschlichen Zusammenlebens hinwegsetzen. Auf der anderen Seite hat die Justiz gezeigt, dass sie solche Verstöße durchaus gewillt ist, mit der Höchststrafe zu ahnden, und das ist eine Entwicklung in diesem Bereich, die durchaus zu begrüßen ist.
von Billerbeck: Ob verantwortungslose Raser tatsächlich Mörder sind und deshalb ja Höchststrafe 25 Jahre im Gefängnis sitzen müssen, das entscheidet ja heute der Bundesgerichtshof. Was wird denn die entscheidende Frage für die Richter dabei sein?

Die entscheidende Frage: Mordmerkmale, oder nicht?

Friedrichsen: Die entscheidende Frage wird sein, ob das erste Gericht zu Recht ein Mordmerkmal in diesen Taten gesehen hat. Den Mord unterscheidet ja vom Totschlag das Vorliegen von Mordmerkmalen, also das Motiv meinetwegen der Heimtücke oder der Habgier oder sexueller Gründe, das kommt hier natürlich nicht in Frage. In Frage kommen aber die niedrigen Beweggründe. Ist ein solches Verhalten, steht dieses Verhalten auf unterster sittlicher Stufe? Und darüber, das ist ein auslegungsfähiger Begriff, das kann man wahrscheinlich so oder man kann es auch anders sehen. Es gibt Stimmen, die sagen, nein, diese Mordverurteilung wird nicht zu halten sein, weil es ein Unterschied ist, ob ich jetzt eine geladene Waffe auf jemanden halte und abdrücke, um diesen Menschen zu töten, oder ob ich nur in Kauf nehme, dass ein Mensch ums Leben kommt. Aber man kann es auch anders sehen und kann sagen, wer rote Ampeln so bedenkenlos und mit einer so unglaublichen Leichtfertigkeit, so einer Geschwindigkeit überfährt, der nimmt in Kauf, dass andere Menschen getötet werden, und deshalb ist das genauso zu verurteilen wie das Benutzen einer Waffe.
von Billerbeck: Die Verteidiger der beiden argumentieren ja damit, dass die beiden einfach unter totaler Selbstüberschätzung gelitten haben, und deshalb sei es kein Mord gewesen.
Friedrichsen: Wer eine rote Ampel mit 170 Stundenkilometern überfährt, innerorts, der weiß, was er damit anrichtet. Der kann sich nicht herausreden, er sei ja so ein toller Autofahrer, und er schafft das schon oder hat die Sache im Griff. Das weiß jeder, dass er da eine Situation heraufbeschwört, die er nicht mehr im Griff hat.
von Billerbeck: Wie wird denn der BGH Ihrer Einschätzung nach heute entscheiden?

"Es ist ja nicht der einzige Fall"

Friedrichsen: Es ist schwer zu sagen, wie die Richter diese Sache einordnen. Es haben sich immerhin in verschiedenen Städten in der Bundesrepublik solche Szenen gebildet, wo junge Männer mit getunten Autos illegale Wettrennen fahren. Es ist ja nicht der einzige Fall gewesen. Es gab ja schon mehrere solcher Unfälle. Es gab schon mehrere Todesfälle dabei. Und ob da der Bundesgerichtshof nicht sagt, ja, dieses Signal ist ein wichtiges gewesen, das bleibt jetzt mal abzuwarten. Man muss jedenfalls, glaube ich, nicht fürchten, dass diese Täter nicht zu hohen Strafen verurteilt werden. Die Begründung dann, ob das jetzt Mord ist oder Totschlag, das ist dann eine andere Frage.
von Billerbeck: Aber angenommen, die Richter entscheiden und sagen, es war kein Mord. Wäre das dann ein typisches Beispiel für die Kluft zwischen Rechtsempfinden und Rechtsprechung? Denn die Unterschiede in den Strafzumessungen sind ja schon erheblich, zwischen Mord und fahrlässiger Tötung.
Friedrichsen: Ich denke, es wird in keinem Fall auf eine fahrlässige Tötung hinauslaufen, denn der Vorsatz bleibt bestehen, auch beim Totschlag. Es wird also eine hohe Strafe auf jeden Fall geben. Denn was da passiert ist, das ist nicht mehr als kleiner Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung zu werten. Wir sind damit wieder bei dem Punkt, hat Recht irgendetwas mit Gerechtigkeit zu tun. Das Recht fasst unser Zusammenleben in ein gewisses Korsett, das für alle gilt. Die Gerechtigkeit aber ist eine ganz subjektive Sache, und die Angehörigen der Angeklagten werden sich etwas anderes für gerecht empfinden als die Angehörigen des Getöteten. Das ist eine Gratwanderung, die die Justiz in jedem dieser Fälle begehen muss, aber ich denke, mit einer hohen Strafe ist auf jeden Fall zu rechnen, egal, wie diese Strafe begründet wird, ob es nun Mord war, oder ob es ein Totschlag war.
von Billerbeck: Die Gerichtsreporterin Gisela Friedrichsen über den Fall, der heute die Bundesrichter beschäftigt.
Friedrichsen: Gern!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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