"Beziehung zum Betrachter"

Max Hollein im Gespräch mit Britta Bürger · 10.02.2011
Für Max Hollein, Direktor der Frankfurter Schirn, ist Objektkunst ein ganz wesentliches Element der Surrealisten. Es gehe auch darum, den Betrachter im Grunde auch zu anderen Reflexionen zu bringen.
Britta Bürger: Messer, Gabel, Schere, Licht dürfen kleine Kinder nicht. Aber die Surrealisten, die durften. Genau diese Gegenstände haben sie in die Hand und auseinandergenommen, neu zusammengesetzt, auf dass Traum und Alptraum häufig sehr nah beieinanderlagen.

Die Frankfurter Schirn widmet sich in ihrer großen Jubiläumsausstellung zum 25-jährigen Bestehen der Kunsthalle ab heute den surrealen Dingen. Präsentiert werden 180 Objekte von über 50 Künstlerinnen und Künstlern. Max Hollein, der Direktor der Schirn, hat sie alle vor Augen, zur Stunde stellt er sie der Presse vor, und so habe ich ihn gefragt, warum er das Jubiläum ausgerechnet mit den Surrealisten feiert, ob man die Arbeiten von Dalí, Duchamp und Max Ernst nicht schon x-mal gesehen hat.

Max Hollein: Gerade bei der Kunst des Surrealismus ist die Objektkunst ein ganz wesentliches Element, und es gab im Grunde in dieser Form noch keine große Überblicksausstellung rund um das skulpturale Schaffen der Surrealisten, das von André Breton ganz klar auch eingefordert wurde als eigenes, im Grunde wichtiges Bestandteil der surrealistischen Bewegung.

Der andere Grund war aber insbesondere auch, dass gerade die surrealistische Ausstellungspraxis, also sozusagen das Ausstellen des Objektes in einem gewissen Kontext und damit auch die Beziehung zum Betrachter, also den Betrachter im Grunde auch zu anderen Reflexionen zu bringen, ihn im Grunde vielleicht auch in die Irre zu führen, dass das sehr viel auch insgesamt mit der Ausstellungspraxis auch der Schirn zu tun hat.

Wir versuchen ja immer wieder auch, aufgrund auch unserer Inszenierungen, aufgrund auch der Fragestellungen, die wir treffen, so einen eigenen Bezug auch zwischen Betrachter und Objekt herzustellen, und da fühlen wir uns oft auch einer gewissen Ausstellungspraxis, die die Surrealisten im Grunde entwickelt haben, verwandt und nahe. Insofern fanden wir, dass das die ideale Ausstellung ist zum Jubiläum der Schirn.

Bürger: Welche Bedeutung hatten denn die Objekte für die Surrealisten, was konnten sie in den Dingen ausdrücken, was sie auf der Leinwand oder mit der Fotografie nicht ausdrücken konnten?

Hollein: Natürlich haben diese Objekte eine große Nähe auch zur Wirklichkeit gehabt. Viele Objekte sind ja im Grunde zusammengesetzt, auch aus Fundstücken, quasi wie vom Flohmarkt im Grunde gefunden und dann zusammengesetzt, also ganz nahe am Leben, an einem Leben, das sozusagen die Surrealisten ja neu im Grunde analysieren wollten, gerade auch das Unterbewusste, das Traumhafte im Grunde in den Vordergrund stellen. Die surrealistischen Objekte haben natürlich auch alle Grundelemente des Surrealismus in sich drinnen, in einer Einheit, also die Idee in der Kombinatorik, als des coulagenhaften Zusammensetzens von verschiedenen Elementen, die Idee dann der Transformation, also das Objekt dann im Grunde in einen anderen Wirkungskontext zu setzen, und dann die Idee der Metamorphose, also sozusagen dem Ganzen noch einen ganz anderen Bedeutungshorizont auch zu geben. Das haben sie alles in einem Objekt oft inhärent verbunden.

Insofern sind sie wie ein Nukleus, ein Nukleus auch der surrealistischen Kunst, welche ja nicht nur die Zwischenkriegszeit ganz wesentlich künstlerisch beeinflusst hat, sondern auch bis heute noch wirkt. Sie haben viele Künstler, die sich heute auch gerade auf surrealistische Elemente wieder beziehen, und insofern ist das auch ein Thema in der zeitgenössischen Kunst.

Bürger: Da hat die Brille nur ein Glas, Messer und Gabel liegen auf einem Teller, statt eines Schnitzels liegt dort aber eine Schachfigur, und es gibt die berühmte pelzbezogene Tasse von Meret Oppenheim, bei deren Betrachten man natürlich weiß, dass man daraus nicht trinken kann, aber trotzdem reizt einen das, diesen Pelz mit den Lippen zu berühren und zu gucken, wie sich das anfühlt. Welche Rolle spielten solche körperlichen Impulse für die surrealistischen Objektkünstler?

Hollein: Natürlich ist Eros beziehungsweise die Sexualität eine der ganz wesentlichen Themen der Surrealisten. Gerade die Sexualität, auch in ihren Abgründen, in ihren ganz speziellen Formen auch zu thematisieren, das ist ein Hauptstrang, der sich durch den Surrealismus zieht und von denen im Grunde viele dieser Objekte auch erzählen. Und gerade die Fetischisierung auch von nicht nur Objekten, sondern im Grunde auch die Fetischisierung wiederum dieser Kunstwerke als solche ist natürlich auch noch ein eigenes Thema.

Bürger: Wollten die Künstler mit diesen Objekten in erster Linie eigentlich schockieren, den bürgerlichen Kunstbetrieb attackieren, oder war die Bewegung weniger aggressiv, sondern eher humorvoll und ironisch?

Hollein: Es war sicherlich eine sehr aggressive, revolutionäre Bewegung. Man wollte sicherlich gegen die Bürgerlichkeit, gegen die Spießbürgerlichkeit, gegen das Verstecken ankämpfen. Aus heutiger Sicht natürlich rezipieren wir manche dieser Objekte vielleicht etwas weniger im Sinne ihres aufrührerischen, revolutionären Potenzials, sondern sehen noch vordergründig oft auch die Ironie und das Subversive da drinnen, was aber sozusagen den Wirkungsgrad insgesamt überhaupt nicht schwächt.

Bürger: Es gibt ja das Vorurteil, die Surrealisten, das sei ein geschlossener Männerzirkel gewesen – können Sie mit diesem Vorurteil aufräumen?

Hollein: Wir werden in dieser Ausstellung eine ganze Reihe auch von weiblichen Künstlern des Surrealismus natürlich zeigen – um ein Beispiel zu nennen: Dorothea Tanning oder eben Meret Oppenheim, die Sie bereits erwähnt haben. Es ist sicherlich nicht so, dass Surrealisten nur ein Männerbund waren, aber natürlich, die tonangebenden Männer sind natürlich in der Rezeption dieser Richtung immer im Vordergrund gestanden – denken Sie eben an André Breton, Duchamp, (…), Dalí, Picasso. Das ist aber auch eine Geschichte, muss man sagen, nicht der Surrealisten an sich, sondern eine Geschichte auch der Kunstgeschichtsschreibung. Auch zu diesem Thema haben wir uns ja immer wieder geäußert, denken Sie nur zuletzt an unsere große Ausstellung zu den Impressionistinnen.

Bürger: "Surreale Dinge" ist das Motto der großen Jubiläumsausstellung, die heute Abend in der Frankfurter Schirn eröffnet wird, und mit deren Direktor Max Hollein sind wir hier im Deutschlandradio Kultur im Gespräch. Seit 25 Jahren gibt es die Frankfurter Kunsthalle, seit zehn Jahren unter Ihrer Leitung, Herr Hollein, und am Beispiel der neuen Ausstellung sieht man, wie gut sie international vernetzt sind mit den bedeutenden Museen, Galerien und Sammlern in London, Paris und New York. Ist dieses Networking eine Ihrer wichtigsten Aufgaben?

Hollein: Ich denke, es geht darum, natürlich eine Ausstellungshalle für ein Publikum zu führen und auch an das Publikum zu vermitteln, es geht aber natürlich auch darum, einen internationalen Ruf für diese Ausstellungshalle aufrechtzuerhalten und hier auch Verbindungen herzustellen und weiterzuentwickeln.

Das ist nicht nur meine Aufgabe, sondern auch die Aufgabe natürlich gerade der Kuratoren dieser Ausstellung, und ich glaube, dass wir uns da in den letzten Jahren weiterhin einen Ruf entwickeln konnten, einen Ruf, den die Schirn von Anfang an gehabt hat und der sie aber heute sicherlich zu einer der führenden Ausstellungsinstitutionen auch in Europa macht.

Umso mehr freuen wir uns, dass wir mit vielen Museen, aber auch Privatsammlern zusammenarbeiten können, dass die im Grunde uns immer wieder helfen, uns Werke ausleihen und im Grunde so uns auch langfristig eigentlich unterstützen, denn viele dieser Institutionen sind natürlich nicht einmal Leihgeber, sondern immer wieder dabei, wenn wir ihnen einen Vorschlag machen über ein Projekt, welches wir gerne machen würden, wo wir aber deren Hilfe brauchen.

Bürger: Die Schirn hat ja keine eigene Sammlung, ist also besonders auf prominente Leihgeber angewiesen. Sie haben mal gesagt, Sie spielen auf einem relativ kleinen Instrument groß auf, was haben Sie damit genau gemeint?

Hollein: Ich denke, wenn Sie sich die Schirn anschauen und ihre Gesamtgröße – knapp 2000 Quadratmeter Ausstellungsfläche, eine Ausstellungshalle, die quasi jetzt von ihrer Proportion durchaus sozusagen eine Herausforderung ist, dieser lange im Grunde Raumkomplex, 25 Jahre ist im Grunde noch kein großes Alter für eine Kulturinstitution –, dann muss man schon sagen, dass wir im Grunde in den letzten 25 Jahren eben aus dieser Ausstellungshalle, denke ich, sehr viel gemacht haben, dass sozusagen die Schirn im Grunde wirklich einer der Institutionen ist, die auch international wahrgenommen wird, die international auch auf höchster Ebene kooperiert, die Ausstellungen von der Schirn aus an viele Museen weiterschickt, die von uns konzipiert wurden. Also da muss man sagen, sind wir sicherlich eine Institution, die auf der obersten Liga mit dabei ist. Und das ist nicht nur schön, es ist auch wichtig für uns, und ich denke, wir reizen die Möglichkeiten dieser Institution durchaus aus.

Bürger: Warum wird Ihnen das manchmal eigentlich als Großspurigkeit vorgeworfen?

Hollein: Ja, das müsste man natürlich auch die andere Seite fragen. Natürlich ist es so, dass unser Auftreten dann mit diesen Programmen nicht ein leises ist. Das heißt, wir zeigen Ausstellungen, die oft auch a priori nicht aufgrund des Namens ein riesiges Publikum anziehen. Unsere nächste Ausstellung, die wir eröffnen, ist Eugen Schönebeck, ein Künstler der 60er-Jahre, der nahezu in Vergessenheit geraten ist.

Das heißt, wir bemühen uns dann natürlich mit allen Kräften, ein möglichst breites Publikum dafür zu interessieren, als auch eine mediale Aufmerksamkeit dazu zu erreichen, und das könnte wiederum einem vielleicht als Großspurigkeit ausgelegt werden, ist aber eine verquere Sicht der Dinge, denn ich glaube, es geht hier hauptsächlich für uns darum, diese Programme, diese Projekte, viele, die sich eben nicht von sich aus selbst vermitteln – es ist eben nicht alles van Gogh, Monet oder Picasso –, die im Grunde an ein möglichst breites Publikum zu kommunizieren. Und da hilft nur ein etwas lauteres und nicht ein allzu leises Auftreten.

Bürger: Lässt sich überhaupt kalkulieren, welche Ausstellungen erfolgreich werden könnten?

Hollein: Ich denke, Sie können, wenn Sie nur eingefahrene Wege gehen, relativ gut prognostizieren, dass eine Picasso-Ausstellung oder eine Ausstellung "Das Gold des Tutanchamuns" und so weiter eine gewisse Besucherzahl erreicht. Wenn Sie aber Ausstellungen machen, wie sie oft die Schirn macht, über etwa eine Skulpturengruppe der Mao-Zeit oder jetzt im Sommer eine Ausstellung über Geheimgesellschaften und sonstiges, dann tappen Sie nicht im Dunklen, aber dann sind immer wieder Überraschungen auch dabei.

Und dann ist es sozusagen natürlich so, dass das Publikum gar nicht so sehr darauf vorbereitet ist, sondern da geht es darum, dass ein Vertrauen auch des Publikums ist in die Schirn, ein Vertrauen, dass die Schirn immer wieder eigentlich sehr interessante Projekte macht und dass man sie sich auf jeden Fall anschauen soll, auch wenn man vielleicht davon noch gar nicht so viel gehört hat in Bezug auf den Namen des Künstlers oder auch das Thema, das vielleicht sozusagen noch mal etwas anderes auch darstellt.

Bürger: "Surreale Dinge", heute Abend wird Max Hollein, der Direktor der Frankfurter Schirn, die große Jubiläumsausstellung eröffnen. Ich danke Ihnen, Herr Hollein, fürs Gespräch!

Hollein: Danke sehr!

Bürger: Und zu sehen ist die Ausstellung in Frankfurt bis zum 29. Mai, und in unserer Sendung "Fazit" werden wir heute Abend nach 23 Uhr noch einen ausführlichen Rundgang durch die Schau machen.