Bewegende Szenen im Fluglärm

Von Hartmut Krug · 27.04.2013
Dreimal zwei Menschen in schwieriger Lage treffen sich in Simon Stephens' "Wastwater" nahe dem Londoner Flughafen Heathrow. Der Schauspieler Ulrich Matthes hat dem routiniert konstruierten Stück in seiner sensiblen Inszenierung am Berliner Deutschen Theater die Härten genommen.
Simon Stephens ist ein vielgespielter Autor. Er schreibt "well made plays", in denen er die von gesellschaftlichen Zuständen bestimmten Verhaltensweisen von Menschen unserer Tage auszustellen sucht. In "Motortown" ist ein Kriegsheimkehrer aus dem Irak so von der erfahrenen Gewalt bestimmt, dass er sie auch im zivilen Leben ausübt, und in "Pornographie" begleitet Stephens acht Personen in London auf ihrem Weg in den Alltag des 7.Juli 2005, als Selbstmordattentäter einen Anschlag auf die U-Bahn verübten.

Simon Stephens
Simon Stephens© dpa / picture alliance / PA Simon Brooke-Webb
Konstruiertes Erklärstück
Leider lässt jedoch die allzu routinierte, mechanistische Konstruktion seiner Erklärstücke, die stets unter ihrer realistischen Oberfläche auf existentielle Abgründe verweisen wollen und mit anspielungsreichem "Herumgeheimnissen" tiefere Bedeutung herzustellen suchen, sie schnell wie Ping-Pong-Dialog-Werke vom Reißbrett erscheinen. Überdeutlich wird das bei "Wastwater", das dreimal zwei Personen in Abschieds- und Aufbruchssituationen vorführt. So verweist der Titel des Stückes auf den tiefsten See Englands im Lake Distrikt, dem wegen seiner abgründigen Dunkelheit viele verborgene Leichen zugeschrieben werden. Und die drei Zusammenkünfte finden in der Nähe des Londoner Flughafens Heathrow statt, dessen Start- und Landegeräusche bedrohlich die Natur und das normale Leben der Menschen übertönen.

Bühnenbildner Florian Lösche hat, anders als Katie Mitchells Londoner Uraufführung mit ihren atmosphärisch realistischen Bühnenbildern, die leere Bühne der Kammerspiele geschickt als Bedeutungsraum genutzt. Die Spielfläche ist leicht nach vorn abgeschrägt, und die Leuchtstoffröhren, die in den Boden eingelassen oder über der Szene hängen, lassen, auch mit ihrer flackernden Reaktion auf Flugzeuggeräusche , an ein Flugfeld denken. In diesen leeren Raum stellt der Schauspieler Ulrich Matthes in seiner dritten Regiearbeit seine Schauspielkollegen immer wieder so auf, dass ihr vergebliches Bemühen nach Nähe durch die deutliche Distanz im leeren Raum sinnlich erfahrbar wird.

Konzentrierte Darsteller
In der ersten Szene verabschiedet sich ein junger Mann zu einem Job nach Kanada von seiner Pflegemutter, die ihn nicht gern ziehen lässt, weil sie weiß, sie wird ihn nicht wiedersehen. Beide mögen sich, können dies aber nicht zeigen. Was die Darsteller mit konzentrierter Lakonie wunderbar zu zeigen verstehen. Wie Barbara Schnitzler die emotionale Not der Frau offenbart, indem sie diese mit scheinbar distanzierter Nüchternheit ausstattet, wirkt auf unaufgeregte Weise anrührend. Während Thorsten Hierse sich in tiefere Bedeutung verlieren muss. Er erinnert sich an einen Autounfall, bei dem er sich schuldig am Tod eines Freundes fühlt. Außerdem erzählt er von einem Feuer, das er als Kind gelegt hat und dem eine Scheune zum Opfer fiel. Was die Figur weder interessant macht noch irgendwie erklärt.

Aber diese Art, den Figuren individuelle oder problematische Verhaltensweisen wie Problemschablonen überzustreifen, prägt das gesamte Stück auf ungute Weise. In der zweiten Szene treffen sich zwei Verheiratete in einem Hotel zum Seitensprung, und die Frau offenbart dem Mann ihre besondere Vergangenheit: Die Polizistin war von Heroin abhängig und hat wilde Pornofilme gedreht. Mit ihrem Mann hat sie, natürlich, nie Sex gehabt. Nun aber möchte sie beim Sex angezogen bleiben, dafür aber geschlagen werden. Wie Susanne Wolff diese Frau, die wirkt, als sei sie direkt entstiegen aus dem Klischee-Katalog eines Sozialpsychologen, mit einer Fülle von Emotionen zwischen Sicherheit und Scheu ausstattet, macht die Szene dann doch ungemein spannend.

Leider hat der Regisseur wegen seiner souveränen Darstellerin deren Partner weitgehend vergessen. So steht Thorsten Hierse als der verblüffte männliche Teil des Seitensprungs die ganze Zeit, die Hände in den Hosentaschen, nur verklemmt herum.

Die letzte Szene zeigt eine Kinderhändlerin und ihren Kunden bei den Übergabeverhandlungen eines philippinischen Mädchens. Die Frau malträtiert den Mann, den Bernd Stempel langsam aus dem hilflosen Ausgeliefertsein in protestierenden Unwillen führt, mit einer Menge sehr privater und inquisitorischer Fragen. Da Elisabeth Müller als Kinderhändlerin deren perfide Lust, mit der diese ihren Geschäftspartner mit ihren Verhören quält, nicht ausspielt, nicht ausspielen kann, weil die Anspielungen darauf, dass der Mann das kleine Mädchen nicht zur familiären Adoption, sondern zur pädophilen Lust bestellt haben könnte, in dieser Inszenierung weitgehend fehlen, wird irgendein Sinn für ihre Fragen nicht ersichtlich.

Gefühlvolle Inszenierung
Ohnehin hat Regisseur Ulrich Matthes den Szenen weitgehend ihre Härte genommen. Es ist eine sensible Inszenierung, die sonst menschliche Beziehungsversuche zwischen Nähe, Angst, Zuneigung und Unsicherheit sehr genau auslotet. Ganz aber kann auch diese handwerklich ungemein solide Inszenierung nicht überspielen, dass die Figuren weder psychologisch noch emotional genau entwickelt sind, sondern eher als Funktionsträger in einem Bedeutungs-Andeutungskonstrukt fungieren.

Immerhin: Ulrich Matthes hat sich zwar nicht als eine große neue Regiebegabung aufgedrängt, doch er hat bewiesen, dass er Schauspieler in doppeltem Wortsinn sehr schön bewegen kann.

Wastwater
Von Simon Stephens
Regie: Ulrich Matthes
Deutsches Theater Berlin
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