Bewaffnete Gewalt im Wandel

Der Militärhistoriker Martin van Creve analysiert in „Gesichter des Krieges – Der Wandel bewaffneter Konflikte von 1900 bis heute“ die gravierenden Veränderungen bei Kriegen und Kriegsführung im 19. und 20. Jahrhundert.
Crevelds „Gesichter des Krieges“ ist ein verstörendes Buch. Es zeigt den Krieg als eines der ältesten Handwerke des Menschen. Der Untertitel „Der Wandel bewaffneter Konflikte von 1900 bis heute“ wird vom Verlag auf dem Buchdeckel mit der verheißungsvollen Ankündigung garniert, van Creveld frage, „was wir den neuen Formen terroristischer Kriegführung wirksam entgegensetzen können“. Das ist eine kleine Mogelpackung.

Gewiss: Der Band schildert brillant die Ära der alten europäischen Großmächte von 1900 bis 1945 – in der die alten Hegemonialkriege des 17. Jahrhunderts in den beiden Massenschlachten des Ersten und des Zweiten Weltkrieges fortgesetzt wurden: unterbrochen von „zwanzig Jahren Waffenstillstand“. Das ist ungeheuer dicht und ungeheuer kenntnisreich geschrieben – und wird auf empfindsame pazifistisch orientierte Gemüter ungeheuerlich wirken. Die Leiden der Zivilbevölkerung treten bei der Beschreibung des Handwerks Krieg völlig in den Hintergrund. Aber dafür gibt es schließlich auch andere Bücher. Van Crevelds Verdienst ist die nüchterne, zugleich eindringliche Analyse, wie die Handwerker des Krieges und ihre Millionenheere im 20. Jahrhundert Gesellschaften entzivilisierten, technisierten – und modernisierten: bis hin zu einer Aufwertung der Frau. Bisher durfte sie nur die Krieger gebären, nun durfte sie zunächst Handlangerdienste leisten und an der Heimatfront die Männer ersetzen – später, als die Zeit der Atombombe kam, die alles wieder neu mischte, selber mit der Waffe in der Hand kämpfen. 1945 war das Ende der europäischen Ära, 1945 gab es mit den USA und der Sowjetunion nur noch zwei bedeutende Kriegsmächte, 1945 gab es die Bombe – und damit auch das Ende der herkömmlichen Vorstellung vom Kriege: den „wohl wichtigsten Wendepunkt“, seitdem die Menschen vor 10.000en von Jahren anfingen, sich mit Stöcken und Steinen zu bekriegen. Die Logik der Bombe konnte nur bedeuten: wer mit der Bombe siegen will, besiegelt seinen eigenen Untergang. Kriege wurden Stellvertreterkriege – ob in Afrika oder Asien.
Das geht so 257 Seiten von 1900 bis 1991 – mit kleinen Schwenks in vergangene Jahrhunderte, die sich mitunter recht amüsant lesen können: wenn etwa der Männlichkeitswahn unter französischen Offizieren in der Mitte des 19. Jahrhunderts so weit ging, dass sie sich – bei mangelndem Bartwuchs – einfach schwarze Schnurrbärte anmalen mussten. Und dann kommt das Kapitel über „Die neue Weltordnung (1991 bis heute)“ und da hoffen wir dann auf die Rezepte beim Kampf gegen die neue Art der terroristischen Kriegführung – und hier enttäuscht Martin van Creveld. Der Terror ist für ihn ein altbekanntes Phänomen.

Doch sind terroristische Akte beim Kampf der Kolonialvölker gegen ihre Kolonialherren wirklich das gleiche wie der 11. September? Im ersten Fall gab es eine einfache Lösung: die Kolonialvölker in die Unabhängigkeit entlassen – das war das schlichte Ziel der Terroristen. Der Kampf gegen religiös fundierten Terrorismus, der sich gegen eine ganze Welt mit ihrer Lebensweise richtet, kennt keine einfachen Lösungen. Martin van Creveld bietet zwei an. Wie die Briten mit ihrer traditionellen militärischen Selbstdisziplin den IRA-Terrorismus in Nordirland als ein Polizei-Problem in den Griff bekamen – bei dem das Militär nur unterstützende Funktion hatte. Oder das krasseste Gegenteil: wie der syrische Diktator Assad beim Kampf gegen die islamistischen Muslimbrüder 1982 in der aufständischen Stadt Hama 30.000 Menschen töten ließ. Wenn schon barbarisch, sagt uns Martin van Creveld, dann richtig. Die islamistischen Muslimbrüder waren damit auf jeden Fall ausgeschaltet. Da ist es klar, dass die Amerikaner im Irak alles falsch machen: sie sind nicht so zivilisiert wie die Briten in Nordirland, aber sie trauen sich auch nicht zur Assadschen Barbarei. Was wir daraus für den Krieg gegen kleine terroristische Zellen lernen sollen, die heute in New York und morgen in Berlin zuschlagen können, bleibt im Nebel.

Besprochen von Klaus Pokatzky

Martin van Creveld: Gesichter des Krieges. Der Wandel bewaffneter Konflikte von 1900 bis heute
Aus dem Englischen von Norbert Juraschitz
Siedler Verlag, Berlin 2009
352 Seiten, 22,95 Euro