Betrug und Selbstbetrug

Doping ist kein Straftatbestand

Von Stefan Osterhaus |
Es ist ausgesprochen populär, gegen Doper zivil- und strafrechtliche Handhabe zu fordern. Für den Sportjournalisten Stefan Osterhaus ist das kein gangbarer Weg. Der Sport und seine Gremien selbst müssen mit dem Thema "Doping" fertig werden.
Sport lebt von Emotionen. Das ist eine banale Erkenntnis. Aber sie trägt ziemlich weit. Anders ist die Aufregung nicht zu erklären, die um ein strafrechtliches Anti-Doping-Gesetz gemacht wird. Befürworter verweisen auf etliche Fahndungserfolge in anderen Ländern. Die Realität sieht leider anders aus.
Sicher, vor allem in Italien, Frankreich und Spanien gab es viele Ermittlungen. Doch kaum einem Sportler wurde der Prozess gemacht, weil er im Wettkampf gedopt war. Es macht ja auch keinen Sinn, sie strafrechtlich zu verfolgen. Da wird argumentiert, sie würden betrügen. Man kann es so sehen, gerät dann jedoch in ein Dilemma. Genauso steckt nämlich eine Betrugsabsicht dahinter, wenn ein Fußballer mit einer Schwalbe im Strafraum einen Elfmeter ergaunern will.
Ist ein schauspielender Ball-Artist ein Fall für den Staatsanwalt? Das wäre absurd. Doch ebenso wenig ist einzusehen, warum es schwerwiegender sein soll, mit Medikamenten die eigene Leistung zu manipulieren, als den Unparteiischen absichtlich zu täuschen.
Der Weg vom Ladendieb zum Millionenbetrüger
Ist es wirklich verhältnismäßig, einen tricksenden Sportler zum Straftäter zu machen und lebenslang mit dem Makel zu behaften, kriminell zu sein? Ich meine: Nein! Welches Rechtsgut verletzt denn der Dopingsünder? Und nehmen wir einmal an, ein Gericht würde ihn verurteilen, wie hoch sollte die Strafe ausfallen? Dem hysterischen Tonfall der Debatte nach dürfte unter einer mehrjährigen Freiheitsstrafe gar nichts zu machen sei.
Ein Doper, der zum ersten Mal erwischt wird, wäre einem Ladendieb allerdings näher als einem Millionenbetrüger. Er erhielte folglich eine Geldstrafe. In einem Strafverfahren läge die Beweislast beim Staatsanwalt. Einem versierten Strafverteidiger böten sich viele Möglichkeiten, den Prozess über Jahre hinzuschleppen.
Nein, in solchen Fällen sollte das Strafgesetzbuch mal schön im Regal bleiben. Wenn sich die Politik schon einschalten will, dann sollte sie dafür sorgen, dass die Nationale Anti-Doping-Agentur ordentlich finanziert wird, damit sie dopende Athleten endlich effektiv verfolgen kann.
Um aufgeputschte Sportler empfindlich zu treffen, genügt das Regelwerk des Sports - vorausgesetzt, es wird konsequent angewandt. Erst kürzlich wurde beschlossen, dass auch bei ersten Regelverstößen bis zu vier Jahre Sperre möglich sind.
Ein Sportverband kann jeden Aktiven, der positiv getestet wurde, schnell sperren. Das Vereinsrecht bietet diesen Spielraum. Denn die Athleten haben eine Vereinbarung unterschrieben, wonach die Beweislast bei ihnen liegt. Diese Abmachung hat sich auch vor Zivilgerichten bewährt.
Natürlich sind Anti-Doping-Maßnahmen unangenehm. Freiwillig treten Sportler das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ab, weil sie sich verpflichten, zu jeder Zeit persönliche Daten preiszugeben. Sie haben sich zur Verfügung der Kontrolleure zu halten, müssen ihnen dazu lange im Voraus mitteilen, wo sie sich aufhalten werden. Es ist der Preis des Profis, dass er seine Privatsphäre aufgibt.
Das reicht doch wohl. Denen, die das Strafrecht in den Sport holen wollen, geht dies jedoch nicht weit genug. Sie wollen die Aktiven erst total überwachen und im Sündenfall doppelt bestrafen – zum einen disziplinarisch durch die Verbandsgremien, zum anderen strafrechtlich mit Hilfe des Staatsanwaltes. Das wäre eine Horrorvision – und ganz sicher nicht verhältnismäßig.
Und es ist schlicht nicht Aufgabe der Justiz, in den Sportorganisationen aufzuräumen, nur weil die Gesellschaft den Funktionären nicht über den Weg traut. Das Vertrauen des Publikums in Athleten und Verbände ist leicht verspielt. Der Radsport kann allen anderen als Mahnung dienen: Heute kräht in Deutschland kein Hahn mehr nach der Tour de France.
Stefan Osterhaus, 1973 im sauerländischen Neheim-Hüsten geboren, lebt und arbeitet seit 2000 in Berlin - zunächst als Redakteur der "Berliner Zeitung". Seit 2005 ist er Sportkorrespondent der "Neuen Zürcher Zeitung". Er schreibt für die "taz", den WDR-Hörfunk und Deutschlandradio Kultur.
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Stefan Osterhaus© Foto: Deutschlandradio Kultur
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