Betrug scheint normal zu sein

Von Matthias Sprackties |
Auch wenn es noch Moralisten gibt, die den olympischen Gedanken der Antike verherrlichen, es ist längst bewiesen, dass auch im antiken Griechenland gelogen und betrogen wurde. Heute sind die Mittel subtiler, mit denen sich die Sportler fit halten.
Um den modernen Leistungssport zu begreifen, fließen längst medizinische, ökonomische politische und juristische Aspekte in den Profi-Kreislauf. Der Betrug scheint normal zu sein, weil es um die Existenz geht. Schon Anfang der 20er Jahre sagte der Tour-Begründer Henri Desgrange: "Ich habe nichts dagegen, wenn sich die Fahrer vorübergehend stimulieren,
wenn nichts mehr anderes geht."

Inzwischen drängt sich der Eindruck auf, es gehe allzeit im internationalen Spitzensport nichts mehr anderes. Eine Leistungsschau der Pharma-Industrie. Gedopt wird flächendeckend, da viel Geld und Anerkennung im Spiel sind. Das beschränkt sich nicht nur auf die bösen Radsportbuben, die jetzt täglich in Deutschland an den Pranger gestellt werden, nein - es stinkt fast überall.

Ob bei den Leichtathleten, Schwimmern, Triathleten, nordischen Skisportlern, Biathleten oder Eisschnellläufern – um nur einige Disziplinen zu nennen . Überall soll die Wissenschaft den Sportlern Flügel verleihen. Der Profisport ist eine Industrie mit Milliardenumsätzen, die bis in den Freizeit- und Breitensport reicht. Der Sport ist längst eine gigantische Unterhaltungsindustrie, die mit Helden utopische Summen umsetzt. Sport ist leider Business und Show. Hier an Unschuld zu glauben, ist blauäugig und heuchlerisch.

Dies muss man Sportfunktionären und Verbänden ebenso vorhalten wie der Politik. Wer Sieger und Medaillengewinner bejubeln will, muss in unserer Leistungsgesellschaft zu stimulierenden Mitteln greifen - sonst funktioniert es nicht.

Und so verwundert es in diesen Tagen, wie in Deutschland das Dopingproblem dargestellt wird. Wollen wir sauberen Sport - oder wollen wir erfolgreichen Sport? Wie sauberer Sport zu interpretieren ist, darüber sind sich Funktionäre und Politiker in der Öffentlichkeit uneins.

Hinter dem geführten Streit wird auch die Verlogenheit des Systems sichtbar. Alle wissen zu genau ,dass international keine Spitzenplätze erreicht werden können, wenn man nicht zu ähnlichen Mitteln und Substanzen greift wie die Konkurrenz.

Den täglichen Aufschrei im Sport kann ich nicht mehr nachvollziehen, denn unsere Leistungsgesellschaft treibt sich mit leistungssteigernden Mitteln durch das tägliche Leben. In der Unterhaltungsindustrie nehmen Popsänger Drogen - und keiner beschwert sich.

Journalisten, Politiker stressgeplagte Manager neigen dem Alkohol, Nikotin und Muntermachern zu. Sie und viele mehr haben das tägliche Gefühl den Stress nur überstehen zu können , wenn sie zu stimulierenden Mitteln greifen, was oftmals in einer Medikamentensucht endet. Das fängt im jugendlichen Alter an, wo Kinder mit Hilfe der Medizin auf die Erfolgsspur geschickt werden, um den Leistungsdruck standzuhalten und zieht sich wie ein roter Faden durch unsere Gesellschaft - von der Bewerbung des Einzelnen bis zur akademischen Karriere. Man könnte es auch so interpretieren: Wer bei ständiger Anspannung mehr Erfolg haben will, hilft medikamentös dämpfend oder stimulierend nach.

Warum sollen Hochleistungssportler, wo der Kampf um die Medaillenplätze direkt ausgetragen wird auf leistungssteigernde Mittel verzichten? Die Olympischen Spiele im kommenden Jahr in Peking werden uns deutlich zeigen, wie eng Hightech-Medizin und Spitzenleistungen verknüpft sind. Das Thema Doping -und darüber müssen wir uns alle im Klaren sein, ist unter den gegebenen Voraussetzungen weltweit nicht mehr beherrschbar.

Die Übermacht ist jetzt schon zu groß. Die Verzahnungen sind grenzenlos. Daher ist es pure Heuchelei ,wenn wir eine Diskussion über sauberen ,ethisch wertvollen Sport anstimmen. Hier geht es ausschließlich darum, die Produktgruppen der Sponsoren zu veredeln, die dafür viel Geld investieren und gleichzeitig Höchstleistungen verlangen.

Der augenblickliche Aktionismus, die Hysterie - in die Politiker, Sportfunktionäre und Medien verfallen, zeigt die Ratlosigkeit aber auch die Angst, dass das bisher gut gehütete Geheimnis des unverfälschten Leistungssports in sich zusammenbrechen kann. Der Profisport ist ein Abbild unserer Gesellschaft. Mit Tricksereien und Scheinheiligkeiten, versteckten Fouls verdeckten und vertuschten Arzneien wird die Faszination Sport manipuliert und transportiert, denn alle wollen davon profitieren.

Die Kommerzialisierung des Sports hat es so gewollt. Auch wenn der moralische Stachel jetzt tief sitzt, das weltweite Sportpublikum lässt sich von pharmazeutischen Schadensmeldungen nicht in die Flucht schlagen. Die internationale Begeisterung wird durch die jetzigen Vorkommnisse und den folgenden kaum in Frage gestellt.

Im Gegenteil! Spätestens im kommenden Jahr bei den Olympischen Sommerspielen in Peking zählen auch die deutschen Funktionäre und das Bundesinnenministerium als größter Geldgeber die Medaillen. Gibt’s noch Fragen?