Betrug am Patienten
Der Pharmaindustrie geht es prächtig. Jahr für Jahr werden Rekordgewinne eingefahren. Markus Grill entlarvt in seinem Buch "Kranke Geschäfte" die Machenschaften der Pharmaindustrie und führt die Gewinne auf Betrug und Korruption zurück.
Es fällt schwer, bei der Lektüre des Buches nicht wütend zu werden, denn die Fakten, die der Redakteur der Zeitschrift "Stern" Markus Grill über die Manipulationen der Pharmaindustrie zusammengetragen haben, hinterlassen ein Gefühl zorniger Ohnmacht. Zwar hat man immer wieder über Korruption im Medizinbereich gelesen, aber das ganze Ausmaß des Patientenbetrugs im Namen des medizinischen Fortschritts macht einem erst dieser Report klar – nicht zuletzt weil er sich nicht hinter Fachbegriffen versteckt, sondern für jeden Laien verständlich übersetzt, was sich hinter dem oftmals einschüchternd autoritativen medizinischem Vokabular verbirgt: Im besten Fall heiße Luft, im schlimmsten Fall fahrlässige Bagatellisierung von Gefahren.
Die Lügen der Pharmaindustrie beginnen bereits bei der Forschung. Das öffentliche Klagen über die horrenden Kosten, die die Entwicklung neuer Medikamente verursacht, ist beeindruckend. Angeblich verschlingt jede Innovation rund 618 Millionen Euro Forschungsgelder. Die Pharmaindustrie verschweigt allerdings, dass auch die Ausgaben für Vermarktung, Pharmareferenten, Tagungen, Vertrieb dazuzählen. Es gäbe bei neuen Medikamenten einen hohen Erklärungsbedarf, rechtfertigt man die Werbeausgaben. Markus Grill – und das ist typisch für seinen leicht spöttischen Stil – schreibt dazu, mit gleicher Berechtigung könne jedes Elektrogeschäft seine Werbeprospekte als Forschungsausgaben deklarieren, immerhin hätten auch Waschmaschinen einen hohen Erklärungsbedarf. Die tatsächlichen Forschungsausgaben liegen denn auch erheblich niedriger: bei nur noch rund 77 Millionen Euro. Für Marketing wird rund doppelt soviel ausgegeben wie für Forschung – eine ziemlich ernüchternde Erkenntnis.
Der Branche geht es ausgesprochen gut: der durchschnittliche Gewinn liegt im Jahr bei etwa 17 Prozent. Nur Hedgefonds dürften besser abschneiden. Die hohen Profite sind nicht zuletzt ein Ergebnis der Einführung patentgeschützter neuer Medikamente. Die versprechen zwar bessere Behandlungsergebnisse, aber hinter den neuen Namen verbergen sich oft nur altbekannte Wirkstoffe in anderer Zusammensetzung. Die sind aber keineswegs wirksamer, nur erheblich teurer als die bisherigen Medikamente. Solche Scheininnovationen kosten die Krankenkassen laut Markus Grill jedes Jahr rund zwei Milliarden Euro.
Kein Wunder, dass die Industrie gegen eine neue Einrichtung des Bundes zu Felde zieht, das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, das genau solche Wirksamkeitsüberprüfungen vornimmt und dann Empfehlungen für die Krankenkassen abgibt, auch zum Preis-Leistungsverhältnis. Man testet nicht selbst, wertet vielmehr alle bekannten wissenschaftliche Studien aus, orientiert sich dabei an der evidenzbasierten Medizin. Das heißt nichts anderes als eine Medizin, die sich auf konkret nachprüfbare Beweise stützt, nicht auf Gefälligkeitsgutachten.
Mit Verleumdungen reagiert die Pharmaindustrie auch auf alle Versuche einer unabhängigen Berichterstattung, wie sie zum Beispiel das "Arzneitelegramm" verbreitet. Vor objektiver Bewertung scheut sie zurück wie der Teufel vor dem Weihwasser.
Man mag es kaum glauben, aber Markus Grill legt die Beweise vor: der Medizinsektor ist extrem korrupt. Klinikdirektoren, Medizinprofessoren lassen sich für hohe Honorare als Berater und Referenten kaufen, Ärzte für Medikamentenverschreibungen mit Laptops, Espressomaschinen und teuren Reisen belohnen oder erhalten sogar Bares für sogenannte Anwendungsbeobachtungen, meistenteils als Studien getarntes Kopfgeld.
Selbst Patientenselbsthilfegruppen wie der Diabetikerbund verkaufen inzwischen ihre Glaubwürdigkeit für eine paar tausend Euro Spenden von der Pharmaindustrie. Schlimm ist in all diesen Fällen, dass keiner der Nehmenden den Patienten darüber aufklären muss, von wem er Geld bekommt.
Ein Buch, das in die Hand aller gehört, die regelmäßig Medikamente nehmen. Glauben Sie nicht alles, was Ihnen Ihr Arzt erzählt. Markus Grill ermutigt denn auch am Ende seines Buches seine Leser, ihrem Arzt ein paar einfache Fragen zu stellen, die Rückschlüsse auf seine Unabhängigkeit geben.
Rezensiert von Johannes Kaiser
Markus Grill: Kranke Geschäfte - Wie die Pharmaindustrie uns manipuliert
Rowohlt Verlag Reinbek bei Hamburg 2007
286 Seiten, 16,90 Euro
Die Lügen der Pharmaindustrie beginnen bereits bei der Forschung. Das öffentliche Klagen über die horrenden Kosten, die die Entwicklung neuer Medikamente verursacht, ist beeindruckend. Angeblich verschlingt jede Innovation rund 618 Millionen Euro Forschungsgelder. Die Pharmaindustrie verschweigt allerdings, dass auch die Ausgaben für Vermarktung, Pharmareferenten, Tagungen, Vertrieb dazuzählen. Es gäbe bei neuen Medikamenten einen hohen Erklärungsbedarf, rechtfertigt man die Werbeausgaben. Markus Grill – und das ist typisch für seinen leicht spöttischen Stil – schreibt dazu, mit gleicher Berechtigung könne jedes Elektrogeschäft seine Werbeprospekte als Forschungsausgaben deklarieren, immerhin hätten auch Waschmaschinen einen hohen Erklärungsbedarf. Die tatsächlichen Forschungsausgaben liegen denn auch erheblich niedriger: bei nur noch rund 77 Millionen Euro. Für Marketing wird rund doppelt soviel ausgegeben wie für Forschung – eine ziemlich ernüchternde Erkenntnis.
Der Branche geht es ausgesprochen gut: der durchschnittliche Gewinn liegt im Jahr bei etwa 17 Prozent. Nur Hedgefonds dürften besser abschneiden. Die hohen Profite sind nicht zuletzt ein Ergebnis der Einführung patentgeschützter neuer Medikamente. Die versprechen zwar bessere Behandlungsergebnisse, aber hinter den neuen Namen verbergen sich oft nur altbekannte Wirkstoffe in anderer Zusammensetzung. Die sind aber keineswegs wirksamer, nur erheblich teurer als die bisherigen Medikamente. Solche Scheininnovationen kosten die Krankenkassen laut Markus Grill jedes Jahr rund zwei Milliarden Euro.
Kein Wunder, dass die Industrie gegen eine neue Einrichtung des Bundes zu Felde zieht, das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, das genau solche Wirksamkeitsüberprüfungen vornimmt und dann Empfehlungen für die Krankenkassen abgibt, auch zum Preis-Leistungsverhältnis. Man testet nicht selbst, wertet vielmehr alle bekannten wissenschaftliche Studien aus, orientiert sich dabei an der evidenzbasierten Medizin. Das heißt nichts anderes als eine Medizin, die sich auf konkret nachprüfbare Beweise stützt, nicht auf Gefälligkeitsgutachten.
Mit Verleumdungen reagiert die Pharmaindustrie auch auf alle Versuche einer unabhängigen Berichterstattung, wie sie zum Beispiel das "Arzneitelegramm" verbreitet. Vor objektiver Bewertung scheut sie zurück wie der Teufel vor dem Weihwasser.
Man mag es kaum glauben, aber Markus Grill legt die Beweise vor: der Medizinsektor ist extrem korrupt. Klinikdirektoren, Medizinprofessoren lassen sich für hohe Honorare als Berater und Referenten kaufen, Ärzte für Medikamentenverschreibungen mit Laptops, Espressomaschinen und teuren Reisen belohnen oder erhalten sogar Bares für sogenannte Anwendungsbeobachtungen, meistenteils als Studien getarntes Kopfgeld.
Selbst Patientenselbsthilfegruppen wie der Diabetikerbund verkaufen inzwischen ihre Glaubwürdigkeit für eine paar tausend Euro Spenden von der Pharmaindustrie. Schlimm ist in all diesen Fällen, dass keiner der Nehmenden den Patienten darüber aufklären muss, von wem er Geld bekommt.
Ein Buch, das in die Hand aller gehört, die regelmäßig Medikamente nehmen. Glauben Sie nicht alles, was Ihnen Ihr Arzt erzählt. Markus Grill ermutigt denn auch am Ende seines Buches seine Leser, ihrem Arzt ein paar einfache Fragen zu stellen, die Rückschlüsse auf seine Unabhängigkeit geben.
Rezensiert von Johannes Kaiser
Markus Grill: Kranke Geschäfte - Wie die Pharmaindustrie uns manipuliert
Rowohlt Verlag Reinbek bei Hamburg 2007
286 Seiten, 16,90 Euro