Betroffenheitsprosa der unangenehmsten Sorte
Eine Patchworkfamilie versucht, harmonische Ferien auf dem Land zu verbringen und scheitert kläglich an den eigenen Ansprüchen und Wünschen. Daraus hätte man ein berückendes Kammerspiel machen können, Brigitte Giraud produziert jedoch nur allerschlimmste Betroffenheitsprosa.
Eine Patchworkfamilie versucht, harmonische Ferien auf dem Land zu verbringen. Die äußeren Umstände stimmen: Das Wetter ist gut, das gemietete Landhaus mit Pool idyllisch, und die Tage weisen die ideale Mischung aus Leere und kleinen Alltagsabenteuern auf. Einmal bildet die Fahrt zum nahen Meer den Höhepunkt des entspannten Tages, ein anderes Mal die Entdeckung eines Bienennests zwischen den Scheiben des Badezimmerfensters.
Dass die Idylle natürlich trügt gehört zum Genre. Wo in Romanen oder Filmen ein Swimmingpool vorkommt, taucht entweder bald die bürgerliche Verlogenheit oder gleich eine Leiche aus dem seidig glänzenden Wasser auf, wie zuletzt zu erleben in Francois Ozons gleichnamigem Film mit Charlotte Rampling.
Auch in dem kurzen Roman „Die Schatten der Wellen“ der französischen Schriftstellerin Brigitte Giraud spielt der Tod eine Hauptrolle, gleich eine doppelte sogar. Einmal tritt er lange vor, das andere Mal ganz am Ende der Handlung auf.
Vor Jahren ist die erste Frau des Mannes an Krebs gestorben, doch weder er noch der vierzehnjährige Sohn Vincent sind über diesen Schicksalsschlag hinweg gekommen, so dass der Schatten der Toten noch das gegenwärtige Leben verdüstert und wie eine unsichtbare Mauer zwischen ihm und seiner neuen Freundin steht.
Aber auch das erzählende weibliche Ich hatte keine leichte Vergangenheit. Ihr Ehemann hat sie mit den zwei Töchtern allein gelassen. Die letzten Jahre hat sie in trostloser Routine verbracht:
„Ich hatte nichts zu bieten, nichts zu erwarten.“
Doch dann ist der Mann, von der Erzählerin ausschließlich „Du“ genannt, in ihr Leben getreten:
„Du hast meinen Tagen wieder einen Sinn gegeben, dem Warten vor dem Schultor, du hattest Augen, die mich anschauten, und alles war plötzlich anders.“
Anders, aber nicht glücklicher, denn die Familienzusammenführung scheitert aufs kläglichste, weil beide Erwachsenen wollen, aber nicht können. Die Vorbehalte, Empfindlichkeiten, Ängste und unterschwelligen Allianzen führen dazu, dass das Ich völlig überfordert ist. Sie will nicht nur leidenschaftliche Ferien mit ihrem Partner erleben, sondern wäre auch gern für den pubertierenden Vincent da. Doch dessen beobachtender Blick ruft wie ein Gespenst immer wieder nur die Ex-Frau herbei.
Da ist es nicht nur mit der Leidenschaft ("Ich hatte Angst, mich dir so zu nähern, wie sie es getan hätte"), sondern auch mit jeglicher Spontaneität und Ausgelassenheit vorbei. Man stolpert linkisch umeinander und tut an der Oberfläche, als sei man eine Familie – bis am Ende ein Unglück passiert.
Der Stoff hätte für ein atmosphärisch dichtes Kammerspiel getaugt. Dass dieses Buch beim Lesen anstatt Empathie oder Spannung nur Ärger auslöst, liegt an der selbstgerechten Gekränktheit, aus der heraus es geschrieben ist. „Der Schatten der Wellen“ ist Betroffenheitsprosa der unangenehmsten Sorte.
Obwohl die 1960 geborene Autorin betont knapp erzählt, führt jeder Satz einen öligen Film aus wehleidiger Anklage und pathetischer Opferstilisierung mit sich. Das beginnt beim penetranten „Du“ und hört bei der Aufzählung der männlichen Versäumnisse lange nicht auf.
„Ich wollte so vieles für dich tun, doch du hieltest mich auf Distanz.“
Innere Distanz, die Fähigkeit zur De-Identifizierung fehlt auch der Autorin, die schon im Vorgängerroman „Das Leben entzwei“ zum Exhibitionismus neigte. Die Geschichte, so der Eindruck, ist ihr noch gar nicht zum Stoff geworden, sondern im Schlick unverarbeiteter Emotionen steckengeblieben. So intim wollte man es aber gar nicht wissen.
Brigitte Giraud: Im Schatten der Wellen
Aus dem Französischen von Anne Braun.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2005.
133 Seiten, 14.90 Euro.
Dass die Idylle natürlich trügt gehört zum Genre. Wo in Romanen oder Filmen ein Swimmingpool vorkommt, taucht entweder bald die bürgerliche Verlogenheit oder gleich eine Leiche aus dem seidig glänzenden Wasser auf, wie zuletzt zu erleben in Francois Ozons gleichnamigem Film mit Charlotte Rampling.
Auch in dem kurzen Roman „Die Schatten der Wellen“ der französischen Schriftstellerin Brigitte Giraud spielt der Tod eine Hauptrolle, gleich eine doppelte sogar. Einmal tritt er lange vor, das andere Mal ganz am Ende der Handlung auf.
Vor Jahren ist die erste Frau des Mannes an Krebs gestorben, doch weder er noch der vierzehnjährige Sohn Vincent sind über diesen Schicksalsschlag hinweg gekommen, so dass der Schatten der Toten noch das gegenwärtige Leben verdüstert und wie eine unsichtbare Mauer zwischen ihm und seiner neuen Freundin steht.
Aber auch das erzählende weibliche Ich hatte keine leichte Vergangenheit. Ihr Ehemann hat sie mit den zwei Töchtern allein gelassen. Die letzten Jahre hat sie in trostloser Routine verbracht:
„Ich hatte nichts zu bieten, nichts zu erwarten.“
Doch dann ist der Mann, von der Erzählerin ausschließlich „Du“ genannt, in ihr Leben getreten:
„Du hast meinen Tagen wieder einen Sinn gegeben, dem Warten vor dem Schultor, du hattest Augen, die mich anschauten, und alles war plötzlich anders.“
Anders, aber nicht glücklicher, denn die Familienzusammenführung scheitert aufs kläglichste, weil beide Erwachsenen wollen, aber nicht können. Die Vorbehalte, Empfindlichkeiten, Ängste und unterschwelligen Allianzen führen dazu, dass das Ich völlig überfordert ist. Sie will nicht nur leidenschaftliche Ferien mit ihrem Partner erleben, sondern wäre auch gern für den pubertierenden Vincent da. Doch dessen beobachtender Blick ruft wie ein Gespenst immer wieder nur die Ex-Frau herbei.
Da ist es nicht nur mit der Leidenschaft ("Ich hatte Angst, mich dir so zu nähern, wie sie es getan hätte"), sondern auch mit jeglicher Spontaneität und Ausgelassenheit vorbei. Man stolpert linkisch umeinander und tut an der Oberfläche, als sei man eine Familie – bis am Ende ein Unglück passiert.
Der Stoff hätte für ein atmosphärisch dichtes Kammerspiel getaugt. Dass dieses Buch beim Lesen anstatt Empathie oder Spannung nur Ärger auslöst, liegt an der selbstgerechten Gekränktheit, aus der heraus es geschrieben ist. „Der Schatten der Wellen“ ist Betroffenheitsprosa der unangenehmsten Sorte.
Obwohl die 1960 geborene Autorin betont knapp erzählt, führt jeder Satz einen öligen Film aus wehleidiger Anklage und pathetischer Opferstilisierung mit sich. Das beginnt beim penetranten „Du“ und hört bei der Aufzählung der männlichen Versäumnisse lange nicht auf.
„Ich wollte so vieles für dich tun, doch du hieltest mich auf Distanz.“
Innere Distanz, die Fähigkeit zur De-Identifizierung fehlt auch der Autorin, die schon im Vorgängerroman „Das Leben entzwei“ zum Exhibitionismus neigte. Die Geschichte, so der Eindruck, ist ihr noch gar nicht zum Stoff geworden, sondern im Schlick unverarbeiteter Emotionen steckengeblieben. So intim wollte man es aber gar nicht wissen.
Brigitte Giraud: Im Schatten der Wellen
Aus dem Französischen von Anne Braun.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2005.
133 Seiten, 14.90 Euro.