Betroffenheit
Wieder so ein Tag der Betroffenheit auf dem Nachrichtenmarkt. Ein Weltklimaindex zeigt die Betroffenheit aller Länder dieser Erde auf; bei Schalke 04 hat der überraschende Rücktritt des Managers Rudi Assauer angeblich totale Betroffenheit ausgelöst; Belgien ist tief betroffen vom rassistischen Mord in Antwerpen; Presseorganisationen äußern ihre tiefe Betroffenheit über die BND-Affäre; und so weiter und so weiter.
Ja, sie blüht und gedeiht unsere so genannte Betroffenheitskultur, die solchermaßen in eine unverbindliche Beliebigkeit abrutscht, Betroffenheitsfolklore, gewissermaßen.
Es ist ja so einfach: Je weniger wir von einem Ereignis direkt betroffen sind, umso mehr grassiert die angeblich gefühlte Betroffenheit. Dabei wächst dieser Faktor im proportionalen Verhältnis zur Distanz des Geschehens, das uns so sehr betroffen macht. Auslöser sind Naturkatastrophen, Skandale, soziale Verwerfungen. Die wachsende Fremdenfeindlichkeit in Deutschland, sie betrifft uns alle, Auswüchse werden flugs mit großer Betroffenheit registriert. Doch was geschieht? Nachdem wir unserer aller Betroffenheitsscherflein meist in kleiner Münze bei der öffentlichen Kummerkasse entrichtet haben, dürfen wir uns den Nächsten seismographischen Ausschlägen auf der nach oben offenen Betroffenheitsskala zuwenden.
Manchmal, bei großen und fernen Naturkatastrophen entrichten wir sogar mehr, ganz viel sogar. Besonders hilfreich sind dabei, siehe Tsunami und Folgen, so genannten Spendengalas. Da trieft es dann nur so von Betroffenheit, die zum Schluss in Heller und Pfennig subsummiert wird. So kommen dann einige Milliönchen zusammen. Tatsächlich waren viele doch mittelbar betroffen, schließlich galt es in Sri Lanka oder Thailand "unsere" Urlaubsstrände wieder herzurichten
Manchmal kommen wir angesichts der täglich auf elektronischen Kanälen ins Haus gespülten Schreckensnachrichten kaum noch mit unserer Betroffenheit hinterher. Tägliche Redundanzen wie Selbstmordanschläge in Bagdad, Bombenterror in Nahost, Flüchtlingselend und Hunger in Afrika, globale Erwärmung, Menschenrechtsverletzungen in China – unsere wohlfeile Betroffenheit, die oft genug auch in Sensationsgier und virtuelle Katastrophensucht mutiert, scheint grenzenlos zu sein. Diesen Luxus können wir uns eben leisten. Kostet ja nichts, ja die Betroffenheitsfolklore blüht und gedeiht – die Bänkelsänger und Herolde unserer Medienwelt wissen es zudem trefflich, uns mit dem Grausam-Schönen zu unterhalten. Ein Flugzeugabsturz in der Karibik, kein Überlebender, wie schrecklich, da kann man doch schon mal irgendwie betroffen sein, auch wenn es einen nicht betrifft.
Zu anderen Verwerfungen des menschlichen Mit- und Gegeneinanders werden nicht zuletzt auch aus einer merkwürdigen Melange von Heuchelei und Demonstrationssucht, Kongresse, Podiumsdiskussionen, Lichterketten, Unterschrift-Stellerlisten, Aufrufe, Events, Parlamentsdebatten inszeniert. Unausgesprochenes Motto: Du bist Betroffenheit.
Da gibt es kein Entrinnen. Wer heute in unserer permissiven Öffentlichkeit wahrgenommen werden will, muss, ganz gleich wozu, ein gerüttelt Maß an Betroffenheit stets einsatzbereit haben. Wenn sich also beispielsweise ein Ex-Regierungssprecher besorgt über zunehmenden Rassismus in einer bestimmten Region unserer Republik äußert, so erntet er im Handumdrehen flächendeckende Betroffenheit. Jedoch weniger über den besorgniserregenden Faktor der Gewalt gegen Ausländer dunkler Hautfarbe, sondern über diese Feststellung. Da sind wir jetzt aber wirklich betroffen, so etwas sagt man doch nicht, schon gar nicht öffentlich und dann so direkt.
Solchermaßen lässt sich unter dem Deckmantel der virtuellen Betroffenheit so manches Problem ungelöst konservieren. Betroffen und abgehakt, ließe sich formulieren. Und wenn demnächst die Deutschen doch nicht Weltmeister, in Sachen Fußball allenfalls Geldmeister werden, so dürfen wir auch das mit tiefer Betroffenheit registrieren. So war die Formel "Die Welt zu Gast bei Freunden" doch wohl nicht gemeint. Bei soviel Gastfreundschaft hätte man uns ruhig auch mal gewinnen lassen können. Den dann fälligen Rücktritt des Bundestrainers, was bleibt uns anderes, werden wir mit großer Betroffenheit zur Kenntnis nehmen. Und die Mannschaft wird weiterbolzen wie bisher, obwohl uns das ja nun alle betrifft.
Prof. Rainer Burchardt lehrt an der Hochschule Kiel im Bereich Medien- und Kommunikationsstrukturen. Er hat zudem seit längerer Zeit eine Honorarprofessur an der Hochschule Bremen inne. Rainer Burchardt war zuvor seit Juli 1994 Deutschlandfunk-Chefredakteur. Vor seiner fast zwölfjährigen Tätigkeit beim Deutschlandfunk war Burchardt langjähriger ARD-Korrespondent in Brüssel, Bonn, Genf und London. Unter anderem schrieb er für "DIE ZEIT", "Sonntagsblatt" und andere Zeitungen und ist Vorstandmitglied der Journalistenvereinigung "Netzwerk Recherche".
Es ist ja so einfach: Je weniger wir von einem Ereignis direkt betroffen sind, umso mehr grassiert die angeblich gefühlte Betroffenheit. Dabei wächst dieser Faktor im proportionalen Verhältnis zur Distanz des Geschehens, das uns so sehr betroffen macht. Auslöser sind Naturkatastrophen, Skandale, soziale Verwerfungen. Die wachsende Fremdenfeindlichkeit in Deutschland, sie betrifft uns alle, Auswüchse werden flugs mit großer Betroffenheit registriert. Doch was geschieht? Nachdem wir unserer aller Betroffenheitsscherflein meist in kleiner Münze bei der öffentlichen Kummerkasse entrichtet haben, dürfen wir uns den Nächsten seismographischen Ausschlägen auf der nach oben offenen Betroffenheitsskala zuwenden.
Manchmal, bei großen und fernen Naturkatastrophen entrichten wir sogar mehr, ganz viel sogar. Besonders hilfreich sind dabei, siehe Tsunami und Folgen, so genannten Spendengalas. Da trieft es dann nur so von Betroffenheit, die zum Schluss in Heller und Pfennig subsummiert wird. So kommen dann einige Milliönchen zusammen. Tatsächlich waren viele doch mittelbar betroffen, schließlich galt es in Sri Lanka oder Thailand "unsere" Urlaubsstrände wieder herzurichten
Manchmal kommen wir angesichts der täglich auf elektronischen Kanälen ins Haus gespülten Schreckensnachrichten kaum noch mit unserer Betroffenheit hinterher. Tägliche Redundanzen wie Selbstmordanschläge in Bagdad, Bombenterror in Nahost, Flüchtlingselend und Hunger in Afrika, globale Erwärmung, Menschenrechtsverletzungen in China – unsere wohlfeile Betroffenheit, die oft genug auch in Sensationsgier und virtuelle Katastrophensucht mutiert, scheint grenzenlos zu sein. Diesen Luxus können wir uns eben leisten. Kostet ja nichts, ja die Betroffenheitsfolklore blüht und gedeiht – die Bänkelsänger und Herolde unserer Medienwelt wissen es zudem trefflich, uns mit dem Grausam-Schönen zu unterhalten. Ein Flugzeugabsturz in der Karibik, kein Überlebender, wie schrecklich, da kann man doch schon mal irgendwie betroffen sein, auch wenn es einen nicht betrifft.
Zu anderen Verwerfungen des menschlichen Mit- und Gegeneinanders werden nicht zuletzt auch aus einer merkwürdigen Melange von Heuchelei und Demonstrationssucht, Kongresse, Podiumsdiskussionen, Lichterketten, Unterschrift-Stellerlisten, Aufrufe, Events, Parlamentsdebatten inszeniert. Unausgesprochenes Motto: Du bist Betroffenheit.
Da gibt es kein Entrinnen. Wer heute in unserer permissiven Öffentlichkeit wahrgenommen werden will, muss, ganz gleich wozu, ein gerüttelt Maß an Betroffenheit stets einsatzbereit haben. Wenn sich also beispielsweise ein Ex-Regierungssprecher besorgt über zunehmenden Rassismus in einer bestimmten Region unserer Republik äußert, so erntet er im Handumdrehen flächendeckende Betroffenheit. Jedoch weniger über den besorgniserregenden Faktor der Gewalt gegen Ausländer dunkler Hautfarbe, sondern über diese Feststellung. Da sind wir jetzt aber wirklich betroffen, so etwas sagt man doch nicht, schon gar nicht öffentlich und dann so direkt.
Solchermaßen lässt sich unter dem Deckmantel der virtuellen Betroffenheit so manches Problem ungelöst konservieren. Betroffen und abgehakt, ließe sich formulieren. Und wenn demnächst die Deutschen doch nicht Weltmeister, in Sachen Fußball allenfalls Geldmeister werden, so dürfen wir auch das mit tiefer Betroffenheit registrieren. So war die Formel "Die Welt zu Gast bei Freunden" doch wohl nicht gemeint. Bei soviel Gastfreundschaft hätte man uns ruhig auch mal gewinnen lassen können. Den dann fälligen Rücktritt des Bundestrainers, was bleibt uns anderes, werden wir mit großer Betroffenheit zur Kenntnis nehmen. Und die Mannschaft wird weiterbolzen wie bisher, obwohl uns das ja nun alle betrifft.
Prof. Rainer Burchardt lehrt an der Hochschule Kiel im Bereich Medien- und Kommunikationsstrukturen. Er hat zudem seit längerer Zeit eine Honorarprofessur an der Hochschule Bremen inne. Rainer Burchardt war zuvor seit Juli 1994 Deutschlandfunk-Chefredakteur. Vor seiner fast zwölfjährigen Tätigkeit beim Deutschlandfunk war Burchardt langjähriger ARD-Korrespondent in Brüssel, Bonn, Genf und London. Unter anderem schrieb er für "DIE ZEIT", "Sonntagsblatt" und andere Zeitungen und ist Vorstandmitglied der Journalistenvereinigung "Netzwerk Recherche".