Betroffene kritisieren Sterbehilfe-Regelung

"Zynisch, inhuman und zutiefst unchristlich"

Symbolbild für Sterbehilfe
Über die Ausgabe von tödlichen Medikamenten an Sterbewillige müssen Beamte des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte entscheiden. © imago/Becker&Bredel
Von Stefanie Müller-Frank · 02.07.2018
Unheilbar Kranken muss der Staat in Ausnahmefällen tödliches Gift zur Verfügung stellen. Bislang hat die zuständige Arzneimittel-Behörde keinen Antrag genehmigt - und nun hat Gesundheitsminister Jens Spahn ein generelles Nein zur staatlichen Sterbehilfe angeordnet.
104 Anträge zum Erwerb von Natrium-Pentobarbital liegen zurzeit beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) auf dem Tisch. Genehmigt wurde bislang noch kein einziger.
"Ich vertrete derzeit fünf Antragsteller – es waren mal sieben, zwei sind mittlerweile verstorben im Rahmen des Verfahrens."
Robert Rossbruch, Rechtsanwalt und Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben, unterstützt die Antragsteller ehrenamtlich. Er hilft ihnen dabei, die geforderten Atteste, Krankenakten und Beglaubigungen zusammenzustellen – und vor allem zu begründen, warum jemand das todbringende Medikament erhalten sollte.
Bislang In einem Fall hat er länger mit dem Antragsteller diskutiert, bevor er sich entschloss, ihn zu vertreten. Der 73-Jährige ist an Krebs erkrankt, aber sein Tumor ruht gerade. Falls der wieder ausbrechen sollte, will er vorbereitet sein.
"Weil Herr B. aufgrund seiner Diagnose eines aggressiven Karzinoms sich in einer Situation befindet, wo das Karzinom schnell wieder aufbrechen kann und dann geht es ganz, ganz schnell. Und Herr B. unbedingt für diesen Fall dieses ganze langwierige Prozedere vor dem Bundesinstitut vermeiden will und das Mittel schon griffbereit."

Der Leidensdruck wächst

Bei einem anderen Antragsteller hat Robert Rossbruch dagegen keinen Moment lang gezögert.
"Das ist ganz klar der Fall M., also der Antragsteller, der an Multipler Sklerose erkrankt ist und sich in der Endphase befindet – also nur noch im Rollstuhl sein kann, rund um die Uhr durch Assistenten betreut wird. Das berührt mich auch persönlich. Vor allen Dingen, dass man diesen Menschen, der derartig leidet, so lange warten lässt und hinhält. Aus meiner Sicht ist das absolut zynisch, inhuman und zutiefst unchristlich."
Im Juni 2017 reichte er seinen Antrag beim BfArM ein, neun Monate musste er auf eine Antwort warten. In dem Antwortschreiben vom April 2018 fordert die Behörde jetzt ärztliche Gutachten zum Krankheitsverlauf, zu Symptomen und dem zu erwartenden Leidensdruck an. Alles Unterlagen, so der Anwalt Rossbruch, die die Behörde längst habe.
"Alle Antragsteller, die ich vertrete, haben ihre gesamte Krankengeschichte, alle Krankenhausunterlagen mit dem Antrag zugeschickt – also liegt denen seit März, April, Mai letzten Jahres vor."

Eine bewusste Hinhaltetaktik?

Der Anwalt hält die Nachforderungen der Behörde für eine bewusste Hinhaltetaktik. Deshalb hat er eine Untätigkeitsklage gegen das BfArM beim Verwaltungsgericht Köln eingereicht. Vielleicht ist eine Behörde aber auch die falsche Adresse, meint Rossbruch, um über Anträge von Schwerkranken zu entscheiden, die sich mit einem Betäubungsmittel das Leben nehmen wollen.
"Die Behörde, die Mitarbeiter dieser Behörde, sind aus meiner Sicht absolut überfordert. Insbesondere deshalb, weil das Gesundheitsministerium überhaupt keine Kriterien festlegt, wie das Bundesinstitut jetzt entscheiden soll. Denn das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts ist ja relativ allgemein gehalten, das kann auch nicht anders sein. Aber es ist ganz klar, dass das Gesundheitsministerium jetzt beauftragt ist, diese konkreten Kriterien zu entwickeln. Und das hat das Ministerium bisher nicht gemacht. Das heißt also, der Minister Spahn lässt sozusagen die Mitarbeiter der Bundesinstituts im luftleeren Raum. Und die sollen jetzt als normale Beamte über Leben und Tod entscheiden. Das kann nicht sein."

Ministerium fordert Beamte auf, alle Anträge abzulehnen

Im April stellte die FDP eine Kleine Anfrage zum Thema und fragte nach, welchen konkreten Handlungsbedarf die Bundesregierung sieht. In der Antwort heißt es dazu: "Die Beratungen sind noch nicht abgeschlossen." Der Anwalt Robert Rossbruch fragt sich, wie viele seiner Mandanten noch leben, wenn die Beratungen abgeschlossen sein werden.
"Es muss entschieden werden, egal wie. Also wenn die Politik nicht reagiert, muss die Rechtsprechung das wieder in den Griff bekommen."
Jetzt hat das Gesundheitsministerium reagiert. Am Freitag (29.6.2018) wurde ein Schreiben von Staatssekretär Lutz Stroppe an das BfArM bekannt. Darin wird die Behörde aufgefordert, alle Anträge von Sterbewilligen abzulehnen. Doch das bringt die Beamten in eine neue Zwickmühle: Halten sie sich an die Anordnung, ignorieren sie ein rechtskräftiges Urteil. So oder so muss die Politik also nochmal ran.
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